Schmelzende Eismassen in Grönland bedrohen die Warmwasserheizung Europas, weil dabei viel Süßwasser ins Meer gelangt. Doch noch halten sich die Folgen in Grenzen.

Stuttgart - Flutwellen schießen durch die Straßen von New York, ungeahnt heftige Tornados und Hagelstürme verwüsten ganze Landstriche, ein massiver Kälteeinbruch vereist Europa und Teile Nordamerikas: In seinem Film „The day after tomorrow“ beschreibt Roland Emmerich im Jahr 2004 zwar sehr überspitzt, in den Grundzügen aber richtig die möglichen Folgen der Klimaerwärmung. Im Zuge der global steigenden Temperaturen könnte sich der verlängerte Arm des Golfstroms abschwächen, der für die westlichen Regionen Europas eine Art überdimensionale Warmwasser-Heizung ist.

 

Vollständig kollabieren dürfte dieses Strömungssystem in absehbarer Zukunft aber wohl nicht, sind Klimaforscher heute überzeugt. Dennoch könnten Auswirkungen des Klimawandels und hier vor allem die schmelzenden Gletscher Grönlands die Heizung Westeuropas durchaus beeinflussen. Aus diesem Grund haben Claus Böning vom Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung (Geomar) in Kiel und seine Kollegen die Wege dieses Schmelzwassers im nördlichen Atlantik untersucht und die Ergebnisse kürzlich im Fachblatt „Nature Geoscience“ publiziert.

Eisige Winde kühlen das Schmelzwasser ab

Für diese Studie gibt es einen triftigen Grund: Seit 1990 fließt aus Grönland rund die Hälfte mehr Wasser in den Nordatlantik als in den Jahrzehnten davor. Schmelzende Gletscher und abbrechende Eisberge haben so zusätzliche 5000 Kubikkilometer Süßwasser in das Weltmeer gekippt. Das entspricht immerhin einem Viertel des Inhaltes der gesamten Ostsee. Gelangt diese Menge in die zentrale Labradorsee zwischen Grönland und Kanada, könnte sie die europäische Warmwasserheizung durchaus beeinflussen.

Dort treffen im Winter die eiskalten Winde vom tiefgefrorenen Kanada auf das Salzwasser des Nordatlantiks und kühlen es weiter ab. Dabei wird das Wasser schwerer, sinkt in die Tiefe und fließt nach Süden. Solche kalten Tiefenströmungen entstehen nur in sehr wenigen Gebieten der Erde. Sie ziehen sich durch große Teile der Ozeane und bewegen zwischen zehn und 40 Milliarden Liter Wasser in der Sekunde.

Strömung wirkt wie riesige Pumpe

Im größten Strom der Erde, dem Amazonas, fließt gerade einmal ein Prozent dieser Menge. Erst in den Meeren weit südlich des Äquators steigt das Tiefenwasser langsam wieder auf und fließt schließlich an der Oberfläche zurück nach Norden. Von der heißen Tropensonne aufgeheizt, wärmt dann der Golfstrom und seine Verlängerung die Küsten im Westen Europas. Gleichzeitig füllen diese Massen die Lücke wieder auf, die das in die Tiefe fließende und dort nach Süden strömende Wasser hinterlässt.

Die Tiefenwasserströmung wirkt demnach wie eine riesige Pumpe, die das Wasser in den Meeren umwälzt. Allerdings kann diese Pumpe ins Stottern kommen, wenn die Eismassen Grönlands stärker schmelzen und so mehr Süßwasser ins Meer fließen lassen. Dieses Schmelzwasser ist relativ leicht und strömt als hundert oder zweihundert Meter mächtige Schicht auf dem schwereren Salzwasser des Nord-Atlantiks um die Südspitze Grönlands herum und an der Westküste entlang nach Norden. Dort kehrt die Strömung in einem großen Bogen zur kanadischen Küste um und fließt wieder nach Süden. „Dieser Küstenstrom schwemmt auch die Eisberge nach Süden, von denen einer vor mehr als hundert Jahren der Titanic zum Verhängnis wurde“, erklärt Geomar-Forscher Claus Böning.

Wasserwirbel mit 50 Kilometer Durchmesser

Für das Klima Europas könnte ein Prozess am Rande dieser Strömung sehr wichtig werden: „Südwestlich von Grönland bilden sich Wasserwirbel mit rund 50 Kilometer Durchmesser, die einen Teil des Schmelzwassers ins Innere der Labrador-See tragen“, berichtet der Forscher. Dort verdünnen sie das Salzwasser und machen es damit leichter. Ob sie auch dessen Absinken verhindern und so die Umwälzpumpe ins Stottern bringen können, hängt von der Menge des Schmelzwassers ab, die ins Meer gelangt.

Wie groß dieser von den Wirbeln abgezweigte Anteil des Schmelzwassers aber ist, wussten die Forscher bisher nicht. Dort gibt es nämlich keine langfristigen, exakten Messungen und die meisten Computermodelle der Meeresströmungen sind zu weitmaschig, um solche relativ kleinen Wirbel zu erfassen. Claus Böning und seine Kollegen aber haben sehr feine, engmaschige Modelle, die das Geschehen in der Labradorsee genau abbilden. „Die Wirbel tragen weniger als 20 Prozent des Schmelzwassers in den kritischen Bereich“, fasst der Geomar-Forscher die Ergebnisse zusammen.

Immer mehr Schmelzwasser

Damit ist der Einfluss des Schmelzwassers nur etwa halb so groß wie die ohnehin vorhandenen natürlichen Schwankungen. Diese entstehen, wenn das Meereis alle paar Jahre besonders weit nach Süden vordringt. Schmilzt im Sommer dieses Eis, verdünnt es ebenfalls das Salzwasser und lässt die Umwälzpumpe langsamer laufen.

Die Entwarnung der Geomar-Forscher verschafft dem Golfstrom aber nur eine Galgenfrist. In einer weiteren Modellrechnung haben die Wissenschaftler nämlich simuliert, wie viel Schmelzwasser ins Meer strömt, wenn Grönlands Gletscher künftig noch stärker als bisher schmelzen. 20 000 Kubikkilometer und damit rund der gesamte Inhalt der Ostsee könnte demnach in 20 bis 30 Jahren geschmolzen sein. „Dann könnte auch die Umwälzpumpe ins Stottern geraten“, befürchtet Claus Böning. Weil der Klimawandel ja weiter geht und zusätzlich Wärme in die alte Welt trägt, würde Europa durch dieses Stottern zwar nicht wie im Film vereisen. Kühler werden könnte es aber durchaus.

Gigantische Ströme im Meer

Nordmeer
Vom Eispanzer Grönlands wehen eiskalte Winde zum Eismeer hinunter und kühlen das Wasser dort kräftig ab. Dadurch wird das Wasser schwerer und sinkt in die Tiefe. Da das Eismeer zwischen Skandinavien und Grönland einer gigantischen Schüssel gleicht, schwappt das kalte Wasser durch den zusätzlichen Zufluss über den Rand dieses Beckens. Zwischen dem Südgrönland, Island, den Färöer-Inseln und Nordwest-Schottlands fließen daher jede Sekunde sechs Milliarden Liter Wasser über den Schüsselrand nach Süden ab.

Antarktis
Weiteres kaltes Tiefenwasser bildet sich im Süden Islands und in der Labradorsee zwischen Grönland und Kanada. Insgesamt trägt dieser Strom in der Tiefe des Nordatlantiks mit rund 20 Milliarden Litern pro Sekunde 20 Mal mehr Wasser nach Süden als alle Flüsse der Erde zusammen. Im Süden quillt dann das Tiefenwasser an der Küste der Antarktis wieder in die Höhe. Von dort fließt es nach Norden, wird von der Tropensonne aufgeheizt und kommt als mächtiger Warmwasserstrom aus dem Golf von Mexiko in den Nordatlantik.

Warmwasserheizung
An seiner stärksten Stelle transportiert dieser Golfstrom pro Sekunde 80 Milliarden Liter Wasser. Große Mengen davon fließen zunächst nach Süden und später nach Westen zurück in die Karibik, wo sie erneut aufgeheizt werden. Ein Teil des Golfstroms verlässt diesen Kreisverkehr und schiebt relativ warmes Wasser an Europas Küsten vorbei bis nach Skandinavien und nach Spitzbergen. Diese Warmwasserheizung erhöht im Westen und Norden von Europa die Temperaturen um rund vier Grad Celsius.