Arzneimittel, Weichmacher, Pestizide – das Land hat Gewässer auf 86 Substanzen hin untersucht. Das Ergebnis: Im Schnitt waren in den Proben die Hälfte aller Spurenstoffe vorhanden. Auch im Trinkwasser sind die Substanzen nachweisbar, wenn auch nur in sehr kleinen Mengen.

Klima/Nachhaltigkeit : Thomas Faltin (fal)

Stuttgart - Es ist die aufwendigste Suche nach Spurenstoffen, die jemals in Baden-Württemberg angestellt worden ist: 17 Bäche und Flüsse sowie sechs Kläranlagen sind ein Jahr lang auf 86 Stoffe hin geprüft worden – die Ergebnisse liegen nun vor. Die Leitfrage lautete: Wie belastet sind unsere Gewässer durch Arzneimittelrückstände, Röntgenkontrastmittel, hormonell wirksame Verbindungen, Pestizide und Biozide, synthetische Süßstoffe, Weichmacher und durch viele andere Verbindungen? Alle kommen nur in sehr geringen Konzentrationen vor, deshalb „Spurenstoffe“. Doch die Wissenschaft weiß noch wenig darüber, inwieweit die Stoffe trotzdem Auswirkungen auf die Lebewesen in den Flüssen und auf den Menschen haben.

 

Die Bilanz: Spurenstoffe sind flächendeckend in den Gewässern verbreitet – im Mittel wurden etwa 50 Prozent der 86 geprüften Stoffe in den Proben gefunden. In der Region Stuttgart sind drei Kläranlagen (Ditzingen, Aichwald-Aichelberg und Renningen) sowie fünf Flüsse untersucht worden. Die Klärwerke in Ditzingen und Renningen liegen im Durchschnitt, Aichwald-Aichelberg weist eine geringere Belastung auf. Der Neckar bei Besigheim sowie die Rems an der Mündung gelten als durchschnittlich belastet; die Enz weist eine hohe Zahl positiver Befunde auf, allerdings mit geringen Konzentrationen. Als überdurchschnittlich belastet stellten sich die Glems und die Körsch heraus – die Prüfer der Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz (LUBW) führen dies auf den geringen Frischwasseranteil zurück. Bei beiden Bächen besteht das Wasser zu 40 Prozent aus Abwasser.

Bei der Körsch fielen auch Stoffe auf, die aus Industriebetrieben stammen müssen. Klar ist aber: viele der Stoffe, gerade Arzneimittel, gelangen über die menschlichen Ausscheidungen in die Kläranlagen, wo sie bisher nur teilweise herausgefiltert werden. Im großen Klärwerk Heilbronn stellte sich heraus, dass jährlich mehr als 18 Tonnen an Spurenstoffen in die Anlage hinein- und immerhin noch 6,5 Tonnen wieder herausfließen. Insgesamt geht die Studie vor allem für die kleineren Gewässern von einer ökotoxikologischen Belastung aus – sprich: die Konzentration ist so hoch, dass die Fauna geschädigt werden kann.

Körsch und Glems sind überdurchschnittlich belastet

Die LUBW hebt bei den Arzneimitteln vor allem die sehr häufig verschriebenen Medikamente Metformin (ein Antidiabetikum) sowie die Schmerzmittel Metamizol und Diclofenac hervor. Bei Diclofenac wurde die vorgeschlagene Umweltqualitätsnorm an vielen Messstellen überschritten; bei den anderen Stoffen gibt es keine Normen oder Grenzwerte, was grundsätzlich die Bewertung erschwert. Auch Röntgenkontrastmittel stellen ein Problem dar, gerade auch in der Glems.

Daneben hebt der Umweltminister Franz Untersteller (Grüne) ein weiteres auffälliges Ergebnis hervor: Es handelt sich um den Stoff PFOS, der dazu verwendet wurde, Kleider, Teppiche oder Papier öl- und wasserfest zu machen. Der giftige Stoff ist mittlerweile verboten; doch da er in der Umwelt nicht abgebaut und von Klärwerken nur wenig zurückgehalten werden kann, wird er noch lange ein Problem sein. In der Studie wird von einer „relevanten Belastung“ für die Gewässer gesprochen.

Das Trinkwasser wird mit Ozon und Aktivkohle behandelt

Das Trinkwasser ist nicht geprüft worden, doch kommt über die Flüsse auch belastetes Wasser in die Donau und den Bodensee, von wo auch die Menschen in der Region Stuttgart ihr Trinkwasser beziehen. Die Donau ist nach dem Ergebnis aber unterdurchschnittlich belastet. Zudem betont Frieder Haakh, der technische Direktor der Landeswasserversorgung, dass das Wasser aus der Donau mit Ozon und Aktivkohle behandelt werde, den beiden heute gängigen Verfahren gegen Spurenstoffe. Er räumt aber ein: „Es bleibt auch im Trinkwasser immer noch etwas übrig.“

Laut Maria Quignon von der Bodenseewasserversorgung (BWV) wird das Trinkwasser zweimal im Monat auf Rückstände aus Arzneimitteln und auf PFOS untersucht; das Wasser werde mit Ozon behandelt. Zwei Röntgenkontrastmittel, Metformin und PFOS sind dennoch nachweisbar. Nach den Leitwerten des Umweltbundesamtes liegt die Konzentration bei PFOS aber nur bei etwa zwei Prozent des zulässigen Wertes für Trinkwasser. Doch für die Konzentration in Gewässern gilt eine viel niedrigere Norm, weil Fische oder Amphibien schneller reagieren als Menschen. Der gemessene Wert der BWV liege zehn Mal höher als die Norm, so Quignon.

Die Kläranlage Mühlhausen rüstet frühestens 2022 auf

Nicht nur in Stuttgart sind die Spurenstoffe mittlerweile eines der wichtigsten Themen der Wasserwirtschaft. Die Kläranlage in Stuttgart-Mühlhausen wurde in der Studie nicht berücksichtigt, aber die Stuttgarter Stadtentwässerung (SES) führt gerade eigene Messungen durch, deren Ergebnisse im kommenden Jahr vorliegen sollen. Der SES-Chef Hartmut Klein hat die Spurenstoffe im Blick, doch vermutlich wird es mindestens acht Jahre dauern, bis eine sogenannte vierte Reinigungsstufe eingebaut werden kann. Über Aktivkohle sollen dann zumindest deutlich mehr Spurenstoffe als bisher zurückgehalten werden. In einigen wenigen Kläranlagen im Land gibt es diese Stufe bereits; Ulm ist gerade am Bauen.

Doch Stuttgart müsse zuerst für sechs Millionen Euro eine Anlage erneuern, die Phosphate und Chemikalien eliminiere, sagt Klein; dann soll der bestehende Sandfilter den neuesten Erkenntnissen angepasst werden. Erst in einem weiteren Schritt, etwa Jahr 2022, will die SES an die vierte Reinigungsstufe gehen, sofern der Gemeinderat dies genehmigt. Ein zweistelliger Millionenbetrag sei notwendig.