Folien, Netze, Vliese: In der Landwirtschaft wird massenhaft Kunststoff eingesetzt. Bauern von der Filderebene erklären, warum sie nicht ohne auskommen und was das mit regionaler Erzeugung zu tun hat. Kritik an der Plastikflut gibt es trotzdem.
Filder - Vom klassischen Brokkoli-Look sind die Pflänzchen auf dem Acker von Klaus Wais noch Wochen entfernt. Grüne Röschen sind nicht zu sehen. Frühestens Ende September wird der Demeter-Landwirt aus Stuttgart-Riedenberg auf seinem Feld vor den Toren des Stadtbezirks ernten können. Doch große Stellen auf dem Acker sind kahl. Krähen haben die Jungpflanzen rausgerupft, „sie dachten wohl, das sind Maispflanzen“, sagt Klaus Wais. Daher sei er gezwungen gewesen, Plastiknetze auszubringen. Sonst braucht er die 12 mal 100 Meter langen Bahnen, deren Struktur an ein Haushaltssieb erinnert, um den Erdfloh fernzuhalten. Doch was gegen winzige Schädlinge hilft, hält auch große fern.
In der Landwirtschaft wird Kunststoff massenhaft eingesetzt
Plastik im Gemüse, das klingt paradox, tatsächlich aber wird Kunststoff in der Landwirtschaft massenhaft eingesetzt. Grasballen werden mit Folie eingeschlagen, Vliese und Tunnel werden ebenso genutzt wie Netze über Obstplantagen. Laut dem Bundesinformationszentrum Landwirtschaft (BZL) werden etwa im Spargel- und Erdbeeranbau Agrarfolien seit den 1950ern eingesetzt, um die Ernte zu verfrühen, „denn die Ersten am Markt erzielen für gewöhnlich die besten Preise“. Nur so könnten hiesige Landwirte den Mitbewerbern aus dem Süden etwas entgegensetzen.
„Der Verbraucher ist es gewohnt, alle Artikel das ganze Jahr zu haben“, gibt der Landwirt Albrecht Briem aus Bernhausen zu denken. Ebenso reduziere der Einsatz unterschiedlicher Kunststoffe laut dem BZL den Unkrautwuchs, halte Feuchtigkeit im Boden, schütze vor Frost und minimiere so die Produktionskosten deutlich. Gerade bei Bio entscheidend: Netze ersetzen Spritzmittel. Ohne Nachteil ist das nicht, denn „nichtsdestotrotz ist nicht von der Hand zu weisen, dass dadurch enorme Mengen an Plastikmüll anfallen“, so das BZL.
Auch Umweltschützer sehen die Synthetikflut kritisch. „Beim BUND Baden-Württemberg gehen zunehmend Meldungen über Plastikabfälle auf landwirtschaftlichen Böden ein“, sagt der Naturschutzfachmann Thomas Giesinger. Dabei handle es sich „um Rückstände der gigantischen Mengen an landwirtschaftlichen Folien“, aber auch um verschmutzten Kompost, der auf Böden gelagert oder ausgebracht wird.
Thomas Giesinger sieht die Gefahr, „dass die Plastikteile immer kleiner werden und dadurch Mikroplastik vom Boden über die Lebensmittel in den menschlichen Körper gelangt“. Tiere fänden auf verhüllten Flächen zudem keine Nahrung, könnten Teile verschlucken oder zum Nestbau verwenden, „was vor allem bei Vögeln immer wieder zu Strangulationen führt“. Reinhard Mache, der Präsident des Arbeitskreises für Vogelkunde und Vogelschutz, berichtet von ähnlichen Problemen mit Weinbaunetzen, in denen sich Kleinvögel verhaken, „das ist allgemein bekannt“.
Der Verbraucher spielt eine große Rolle
Vermeiden könnte man viel Synthetik, wenn Verbraucher bereit wären, auf klassische Erntezeiten zu warten und mehr auszugeben. Judit Pfenning vom Institut für Kulturpflanzenwissenschaften an der Uni Hohenheim ist unsicher. „Würden die Menschen das zahlen?“, fragt sie, und ihr skeptischer Gesichtsausdruck liefert die Antwort. Dass hiesige Bauern Folien verwenden, um am Markt zu bestehen, hält sie für „legitim“, denn „wenn wir abgehängt sind, haben wir ein Problem“.
Auch Klaus Wais stellt klar: „Der Landwirt kämpft um seine Marktanteile.“ Ohne den Einsatz von wärmendem Vlies etwa könne er seine Frühkartoffeln vergessen. Albrecht Briem aus Filderstadt spricht von einer Abwägung. „Was ist das kleinere Übel? 2000 Kilometer Transportwege oder Vlies drauf?“ Corona habe gezeigt: Die Versorgung mit regionalen Lebensmitteln müsse Priorität haben.
Während der Einsatz von Kunststoffen im konventionellen Anbau laut Ariane Amstutz vom Landesbauernverband nicht reglementiert ist, macht Demeter Vorgaben. Im biodynamischen Betrieb darf nur bei Kulturen mit hohem Unkrautdruck oder hohem Wärmebedürfnis Folie eingesetzt werden, und dann auch nicht jede.
PVC ist tabu, „da diese weit verbreitete Kunststoffverbindung die meisten toxischen Eigenschaften hat und unter anderem Weichmacher enthält“, teilt der Demeter-Verband mit. Recycling ist ein Muss, und „sind verrottbare oder wiederverwendbare Folien aus nachwachsenden Rohstoffen verfügbar, müssen diese bevorzugt verwendet werden“. Auch die Agrarbiologin Judit Pfenning sagt: „Eine ideale Folie wäre die, die abbaubar ist, nicht geborgen werden muss und günstig ist.“ Versuche gebe es, mit Papieren oder Zellulose, erzählt sie.
Es entstehen auch Konzepte für Recycling
Nach und nach kommt Bewegung ins Thema. Oxo-abbaubare Kunststoffe, die unter Einwirkung von Sauerstoff und Wärme oder Licht in kleine Partikel zerfallen, sind in der EU ab 2021 verboten. Zu finden sind sie unter anderem in Hülsen für Düngekügelchen.
Potenzielle Gefahren von Kunststoffen auf Äckern beleuchtet auch das Bundesministerium für Bildung und Forschung. Online verweist es auf eine geförderte Studie, die aufzeigen soll, ob und wie Mikroplastik im Boden, etwa aus untergepflügten Folien, aus Klärschlamm oder Kompost, das Wachstum von Kulturpflanzen beeinflusst.
Anderseits entstehen Recyclingkonzepte. Über die Initiative „Erde“ der Industrievereinigung Kunststoffverpackungen und der Firma Rigk als Systembetreiber wurden 2019 über bundesweit 452 stationäre Abgabestellen sowie rund 1200 mobile Sammlungen mehr als 20 000 Tonnen gebrauchte Silo- und Ballenfolien recycelt – über 40 Prozent mehr als 2018. In Baden-Württemberg ist unter anderem der Bauernverband Sammelpartner. Laut Boris Emmel, dem Verantwortlichen bei Rigk, laufen bereits Pilotprojekte für Spargel- und Lochfolien.
Der Bernhausener Landwirt Albrecht Briem ist sich des Problems bewusst, und auch Klaus Wais aus Riedenberg steht dem Kunststoff, den er benutzt, durchaus kritisch gegenüber. Während seine Netze dauerhaft wiederverwendbar seien, müsse er Vliese immer wieder tauschen. Andere Folien seien Wegwerfprodukte, bekennt er. Verzichten kann er trotzdem nicht, wie er sagt. Umfassende Recyclingkonzepte hält er daher für sinnvoll. Er sagt: „Da ist noch einiges zu tun.“