Mary Nichols leitet die kalifornische Umweltbehörde CARB. In enger Zusammenarbeit mit anderen Forschungseinrichtungen hatten die CARB-Tester herausgefunden, dass VW die Abgaswerte von Dieselfahrzeugen manipuliert hatte.

Politik/Baden-Württemberg: Rainer Pörtner (pö)

San Francisco - Sie ist die Frau, die Volkswagen das Fürchten lehrte. Und sie verheimlicht nicht, dass sie darüber Genugtuung empfindet: „Wir sind sehr stolz darauf“, sagt Mary Nichols, Chefin der kalifornischen Umweltbehörde CARB (California Air Resources Board) – und sie meint damit nicht nur die Aufdeckung des Skandals an sich, sondern vor allem, dass ihre Behörde über die Testtechnik verfügte, um die ausgeklügelten Manipulationen der VW-Ingenieure an Dieselmotoren aufzudecken.

 

Am 18. September schickte Mary Nichols den entscheidenden Brief an VW, mit dem die Tricksereien des deutschen Automobilkonzerns öffentlich wurden. In enger Zusammenarbeit mit anderen Forschungseinrichtungen hatten die CARB-Tester herausgefunden, dass VW die Abgaswerte von Dieselfahrzeugen durch eine spezielle Softwaresteuerung in Abgastests herunter geregelt hatte. Während die Fahrzeuge im Labor die Umweltstandards erfüllten, stießen sie im Alltagsbetrieb weit größere Mengen des gefährlichen Stickoxids aus. Es sei „enttäuschend und zum Teil schockierend“, sagt Nichols bei einer Begegnung in San Francisco, dass VW versucht habe, die Abgasregeln zu umgehen.

Sie baut den Ruf Kaliforniens als Umweltschutzstaat aus

Die resolut auftretende Mittsechzigerin mit den kurz geschnittenen, grauen Haaren hat sich die meiste Zeit ihres beruflichen Lebens für den Umweltschutz eingesetzt. Im Jahr 2007 machte Gouverneur Arnold Schwarzenegger sie zur Chefin der obersten kalifornischen Luftreinhaltungsbehörde CARB. Seither hat sie den Ruf Kaliforniens als Taktgeber im globalen Umweltschutz ausgebaut: Dort werden die schärfsten Standards in den USA und damit vielfach ein globaler Maßstab gesetzt. „Wir sind hier in Kalifornien oft die Testzone für Umweltauflagen“, sagt die Chefin von 1300 Wissenschaftlern, Ingenieuren und Juristen mit einem Jahresetat von 860 Millionen Dollar.

VW hatte offensichtlich versucht, mit einer neuen Dieseltechnologie den Weltmarkt zu erobern. Als die Ingenieure merkten, dass sie die strengen kalifornischen Regeln nicht erfüllen konnten, fingen sie an zu täuschen. „Wir wissen nicht, ob sie sich der Konsequenzen bewusst waren“, sagt Nichols. „Sie sind ja ein paar Jahre damit durchgekommen.“ Nun drohen den Wolfsburgern scharfe Strafen. Bis zum 20. November hat der Autobauer Zeit, der kalifornischen Behörde einen Plan vorzulegen, wie er das Problem beheben will. Rund 480 000 Autos sind allein in den USA betroffen. Falls VW keine befriedigende Lösung findet, so Nichols, „drohen die Stilllegung der Autos und zivilrechtliche Auseinandersetzungen mit den Kunden“. Laut einem Bericht der Nachrichtenagentur Bloomberg nahmen US-Behörden inzwischen eine zweite Software ins Visier, die den Schadstoff-Ausstoß von Dieselautos beeinflussen kann. Aus Konzernkreisen hieß es am Samstag dazu, bei den Untersuchungen der Manipulationsvorwürfe gehe es weiter nur um ein Programm; ein weiteres spiele aber in einem anderen Zusammenhang eine Rolle. Es komme während des Warmlaufens der Abgasanlage zum Einsatz und liege zur Genehmigung vor.

Die Kanzlerin trat als Sprecherin der Autoindustrie auf

Weder vor noch nach Entdecken des VW-Betrugs hatte CARB offiziellen Kontakt zu deutschen Behörden. Es hat wohl auch niemand aus Deutschland diesen Kontakt gesucht. Große Unterstützung aus Berlin hatte Nichols auch nicht erwartet, seit sie die deutsche Kanzlerin persönlich kennengelernt hat. Das war 2010, als Angela Merkel zu Besuch beim kalifornischen Gouverneur war. Nichols erinnert sich, dass Merkel in kleiner Runde mit Schwarzenegger als erstes die strengen kalifornischen Grenzwerte für Diesel ansprach. Diese Standards seien zu streng, beklagte sich die Kanzlerin. Sie gefährdeten die Diesel-Technologie. „Es klang so, als sei Merkel die Sprecherin der Autoindustrie“, sagt Nichols. „Das hatte ich nicht erwartet.“

Die aktuelle Debatte empfindet sie als „entscheidenden Moment“ nicht nur für ihre Behörde, sondern für die gesamte Autoindustrie. Es gehe darum, wohin sich diese entwickle. „Ich glaube zwar, dass Dieselfahrzeuge eine Zukunft haben können“, sagt Nichols. Aber wenn im Dezember in Paris der Weltklimagipfel stattfinde, dann werde es auch dort vor allem um Autos gehen, die überhaupt keine Schadstoffe mehr ausstoßen. „Zero emission“, das müsse das Ziel sein. In der Zwischenzeit wird CARB weitere Autos testen – bis alle Dieselfahrzeuge überprüft sind, die auf dem US-Markt angeboten werden. Dann wird klar sein, ob VW tatsächlich der einzige Konzern ist, der geschummelt hat. „Wir hoffen, in den nächsten Monaten mehr Informationen herausgeben zu können“, erklärt Nichols. „Wir arbeiten hart daran.“