Beim Feinstaub denken die meisten an viel befahrene Straßen in großen Städten. Aber die Gefahr kann auch von Feldern ausgehen.

Müncheberg - Plättchen liegen neben Kügelchen, Stäbchen neben Klümpchen. Dazwischen glaubt man seltsame Gurken im Miniaturformat zu entdecken. Die Bilder, die Roger Funk auf seinem Computer gespeichert hat, zeigen eine geheimnisvolle Welt. Dabei ist das alles nur Staub, der für das bloße Auge unspektakulär aussieht. Doch unter dem Elektronenmikroskop zeigt er seine ganze Vielfalt. „Da sieht man keine zwei gleichen Partikel“, sagt der Bodenkundler vom Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (Zalf) in Müncheberg. Er und seine Kollegen haben solche Staubbilder aus den verschiedensten Agrarlandschaften der Erde zusammengetragen – von den fruchtbaren Lössgebieten Argentiniens bis zur kargen brandenburgischen Streusandbüchse.

 

Welche Mengen Material wirbeln Stürme oder Landmaschinen von den Feldern der jeweiligen Regionen auf? Und welche Folgen hat das für die Bodenfruchtbarkeit, die Umwelt und die menschliche Gesundheit? Darüber wollen die Forscher mehr herausfinden. Denn bisher ist die Rolle des Agrarstaubs noch eine Gleichung mit vielen Unbekannten.

Um mehr Licht ins staubige Dunkel zu bringen, brauchen die Wissenschaftler zunächst geeignete Proben, die sie mithilfe eines Staubmonitors gewinnen. Dieses Messgerät saugt über dem Acker Luft an und bestimmt die Anzahl und die Größe der darin enthaltenden Teilchen. Genauer charakterisieren lassen sich die Partikel dann mithilfe des Elektronenmikroskops und einer Untersuchungsmethode, die Aufschluss über die chemische Zusammensetzung liefert. „Bei solchen Analysen sieht man, dass sich die Stäube aus verschiedenen Landschaften sehr deutlich unterscheiden“, sagt Roger Funk.

Der Wind trägt den Humus weg

„Sandböden etwa haben ein besonders großes Problem mit Winderosion“, erklärt der Zalf-Forscher. Schließlich werden die feinsten Teilchen am leichtesten aufgewirbelt und mit dem Wind davongetragen. Das aber sind in diesem Fall die organischen Partikel, die auch die Nährstoffe tragen. Von diesen Bestandteilen aber enthalten die brandenburgischen Sandböden zum Beispiel ohnehin nur etwa ein Prozent. Wenn davon auch noch ein guter Teil weggeweht wird, verliert der Boden massiv an Fruchtbarkeit – und gleichzeitig auch weiter an Stabilität. Denn ohne die organischen Partikel wird er auch weniger krümelig und damit noch anfälliger für weitere Erosion. „Das ist ein Teufelskreis“, sagt Roger Funk.

Allein durch die Bodenbearbeitung verlieren brandenburgische Felder so jedes Jahr mehr als 200 Kilogramm Humus pro Hektar. Das ist ungefähr so viel, wie im gleichen Zeitraum durch Stürme davongerissen wird. Pflügen die Bauern an heißen, trockenen Sommertagen, wirbeln sie besonders viel Staub auf. Mehr als 1000 Milligramm Feinstaub hat das Team aus Müncheberg über einem Quadratmeter Ackerfläche gemessen. Beim Pflügen im Frühjahr waren es dagegen nur etwa 120 Milligramm.

Das aufgewirbelte Material kann durchaus auch zur Luftbelastung in Berlin beitragen. So ist es offenbar kein Zufall, dass in der Hauptstadt die sogenannten PM10-Grenzwerte für die Feinstaubbelastung vor allem im Frühjahr und im Spätsommer immer mal wieder erreicht werden. „Das sind die Zeiten, in denen im Umland zum Beispiel die Maisaussaat oder das Dreschen auf dem Programm stehen“, erklärt Roger Funk. Die Reise des davongewehten brandenburgischen Ackerbodens muss in Berlin aber noch keineswegs zu Ende sein. Das gilt vor allem für die feinsten Teilchen, die sich besonders lange in der Luft halten und entsprechend weit verteilt werden können.

Staub rührt kräftig in der Wetter- und Klimaküche mit

Ein Trip quer durch Europa oder sogar noch weiter ist da durchaus drin. So können diese winzigen Spediteure über große Entfernungen Nährstoffe transportieren. Da sie gleichzeitig auch hoch in die Atmosphäre gelangen, haben sie aber auch noch einen ganz anderen Effekt. So rührt der Staub auch in der Wetter- und Klimaküche kräftig mit. Denn damit sich Wolken bilden, müssen winzige Wassertropfen an Partikeln kondensieren, die in der Atmosphäre schweben. An deren Oberfläche entstehen dann oft rasch wachsende Eiskristalle. Sobald diese zu schwer werden, fallen sie zu Boden und kommen dort je nach Temperatur als Regen oder als Schnee an.

Es gibt eine ganze Menge verschiedene Schwebeteilchen, die auf diese Weise als „Eiskeime“ wirken können. Die Palette reicht von Ruß über Meersalz bis zu Staub. Ein Forschungsteam um Corinna Hoose vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) interessiert sich dafür, wie solche unterschiedlichen Partikel die Eisbildung in den Wolken und damit auch die Niederschläge und das Klima beeinflussen.

„Die Bedeutung von Bodenstaub für das Klima wurde lange unterschätzt“, sagt die Forscherin. „im Vordergrund stand eher die Untersuchung von Rußpartikeln und Wüstenstaub.“ Letzterer ist bis heute die größte bekannte Quelle für Eiskeime. Immerhin liefern die Wüsten der Erde jedes Jahr rund 1,5 Milliarden Tonnen Staub, allein aus der Sahara kommen etwa eine Milliarde Tonnen. „Man schätzt, dass gleichzeitig nur etwa 20 Prozent so viel Agrarstaub in die Atmosphäre gelangt“, sagt Roger Funk.

Agrarstaub neigt zehnmal stärker zur Eisbildung als Wüstenstaub

Trotzdem scheint auch dieses Material eine sehr wichtige Rolle zu spielen. So haben die Staubexperten vom Zalf Proben aus landwirtschaftlichen Gebieten in Norddeutschland, Argentinien und China nach Karlsruhe geliefert. Deren Eisbildungseigenschaften haben die Kollegen vom KIT dann in ihrer Wolkenkammer untersucht, in der sie unter ähnlichen Bedingungen wie in der Atmosphäre Wolken schaffen und erforschen können. Das Ergebnis war verblüffend. Agrarstaub neigt demnach noch zehnmal stärker zur Eisbildung als Wüstenstaub.

Woran das liegt, wissen die Forscher noch nicht genau. „Es hängt sicherlich damit zusammen, dass der Wüstenstaub so gut wie keine organische Substanz enthält“, sagt Roger Funk. Im von den Äckern gewehten Material findet sich dagegen eine bunte Mischung von Pflanzenteilchen, Pollen und Mikroorganismen. Und gerade Letztere sind als sehr effektive Eisbildner bekannt. So setzen die Betreiber von Beschneiungsanlagen in den USA und einigen anderen Ländern ihrem Wasser abgetötete Bakterien der Art Pseudomonas syringae zu. An deren Proteinen bilden sich Eiskristalle schon bei deutlich höheren Temperaturen, als es bei reinem Wasser der Fall wäre. Und was in Schneekanonen funktioniert, scheint auch in der Atmosphäre eine Rolle zu spielen.