Die Havarie der Bohrinsel Kulluk hat die Kritik an der Ölförderung im Eismeer neu entfacht. Umweltschützer warnen vor den Risiken.

Alaska - Die Havarie der Shell-Ölbohrinsel Kulluk im Golf von Alaska mag ohne Umweltschäden und damit glimpflich verlaufen. Für den Shell-Konzern ist der Zwischenfall aber ein herber Rückschlag bei der Umsetzung seiner umstrittenen Pläne, im Arktischen Ozean Öl zu fördern. Für Umweltschützer ist er ein weiterer Beleg, dass Ölförderung im Eismeer mit gewaltigen Risiken belastet ist.

 

Der Mineralölkonzern Shell steht an der Spitze derer, die den Arktischen Ozean für Öl- und Gasgewinnung nutzen wollen. Die Kulluk ist eine von zwei Ölbohrinseln, die Shell im Sommer einsetzte, um in der Tschuktschen- und Beaufort-See an der Küste Alaskas mit Probebohrungen zu beginnen. Shell spricht von einer „langen, erfolgreichen Geschichte“ seiner Offshore-Ölförderung in Alaska. „Wir wissen, wie man in Regionen wie dieser arbeitet“, zitiert die „Anchorage Daily News“ einen Unternehmenssprecher. Aus Zwischenfällen wie dem der Kulluk werde man lernen.

Aber Ed Markey, Vertreter der Demokraten in dem für Bodenschätze zuständigen Ausschuss des US-Repräsentantenhauses, sieht das anders: „Die Ölunternehmen sagen weiter, dass sie die Arktis bezwingen können, aber die Arktis ist anderer Meinung.“ Nach einer Reihe von Zwischenfällen sei klar, dass die Ölkonzerne derzeit in der Arktis nicht sicher bohren könnten. Eine Ausweitung der Bohrungen „könnte sich als desaströs für diese sensible Umwelt erweisen“, sagt Markey.

Shell spricht von einer langen, erfolgreiche Förderung

Schauplatz der Kulluk-Havarie ist nicht der Arktische Ozean, sondern der Golf von Alaska im Nordpazifik, etwa 1500 Kilometer südlich der Bohrfelder im Eismeer. Der Unfall hat dennoch die Debatte über die Sicherheit der Ölsuche in der Arktis neu angefacht und die Frage aufgeworfen, was im Arktischen Ozean passieren kann, wenn nicht einmal das Abschleppen der Bohrinsel in südlicheren Gewässern sicher ist. Es war nicht der erste Rückschlag für Shell. Technische Probleme mit einem Ölbergungsschiff führten im Sommer dazu, dass Shell zwar den Meeresboden anbohren, aber nicht in ölführende Schichten vordringen konnte.

Anfang Oktober hatte Shell die Arbeiten in der Beaufort- und Tschuktschen-See eingestellt und die Kulluk durch die Bering-Straße nach Süden geschleppt. Sie soll in einer Werft in Seattle überholt werden. Nachdem die Aleuten-Inseln passiert waren, gerieten das Zugschiff und die Kulluk an den Weihnachtstagen in einen heftigen Sturm. Den Berichten zufolge riss bei hohem Seegang das Schlepptau zwischen der Bohrplattform und dem Zugschiff. Am Silvesterabend lief die Kulluk dann an der Insel Sitkalidak südlich der Kodiak-Insel auf Grund. Dort liegt sie bis heute.

Fachleute wurden am Donnerstag auf der Bohrinsel abgesetzt, die den Schaden untersuchen und die Verseuchung der Umwelt verhindern sollen. An Bord der Kulluk lagern 540 000 Liter Dieseltreibstoff und rund 45 000 Liter Schmier- und Hydrauliköl. Nach bisherigen Berichten scheint kein Öl ausgetreten zu sein. Der Havarieort liegt etwa 500 Kilometer südwestlich des Prince William Sounds, wo sich 1989 die Ölkatastrophe der Exxon Valdez ereignet hatte. Mit dem Schwund des Meereises durch den Klimawandel ist das Interesse an Ölförderung im Eismeer gestiegen. Das US-Bureau of Ocean Energy Management (BOEM) vermutet im äußeren Kontinentalschelf Alaskas unentdeckte, technisch abbaubare Ölreserven von 26 Milliarden Barrel und Gasreserven von 3,7 Billionen Kubikmeter. Shell hatte 2008 für zwei Milliarden US-Dollar Förderlizenzen erworben und annähernd fünf Milliarden Dollar in die Bohrungen investiert. Während die Ölreserven auf Alaskas Festland schwinden und die Trans-Alaska-Pipeline derzeit weit unter ihrer Kapazität betrieben wird, hoffen Unternehmen wie Shell, BP und Conoco-Philipps, mit Offshore-Öl die Pipeline auslasten zu können.

Öl könne nicht sicher gefördert werden

Kritiker der Ölsuche verweisen darauf, dass heftige Stürme wie jetzt im Golf von Alaska auch die Tschuktschen- und die Beaufort-See prägen. Die beiden Randmeere des Arktischen Ozeans sind nur wenige Monate im Sommer eisfrei, aber selbst dann treiben häufig große Eisflächen in diese Gebiete, die Bohrinseln gefährden können. Umweltschützer bezweifeln, dass unter diesen Bedingungen sicher Öl gefördert werden kann. Sie verweisen auch darauf, dass das Gebiet Lebensraum von Eisbären, Walen, Robben und Meeresvögeln ist. Die Beaufort- und die Tschuktschen-See gehörten zu den „wildesten und abgelegensten Ökosystemen der Welt“, meint die PEW Environment Group. Sie sieht erhebliche Lücken in den Sicherheitsplänen. „Es gibt keine getestete Ausrüstung für die Reaktion auf eine Ölpest unter diesen Bedingungen“, meint Eleanor Huffines von Pew’s US Arctic Program. Einige Konsequenzen aus dem Unglück der Tiefsee-Bohrplattform Deepwater Horizon im Golf von Mexiko seien gezogen worden. Die größte Herausforderung, der Mangel an Infrastruktur in den abgelegenen Regionen, bestehe aber weiter.

„Dieses neueste Missgeschick ist eine schmerzliche Erinnerung, dass arktische Bohrungen einfach nicht sicher sind“, meint Deirdre McDonnell vom Center for Biological Diversity. Es sei nicht nachzuvollziehen, warum Präsident Barack Obama die Ölbohrungen im Eismeer erlaubt habe. „Ein Sturm wie dieser, der die Kulluk auf Grund laufen ließ, ist nicht ungewöhnlich in Alaska. Eine Ölpest in der Arktis wäre verheerend für die Natur und würde Menschenleben gefährden. Es ist ein Rezept für ein Desaster.“ Sie hoffe, dass Obama die Arktis vor Ölbohrungen schützen werde. Der WWF der USA sieht ebenfalls einen „Weckruf“, dass der Ansturm auf Alaskas Öl „gefährlich und unverantwortlich“ ist. „Die Bundes- und Staatsbehörden sollten diese Pannen als ernste Warnung nehmen, ihre Haltung zu Offshore-Bohrungen in Amerikas Arktis zu überdenken“, meint WWF-Direktorin Margret Williams.