Im Nordbahnhofareal in Stuttgart finden die Künstler aus den Wagenhallen neue provisorische Atelierräume – nebenan in Containern. Ein Besuch vor Ort.

Stuttgart - Noch arbeiten Künstler in ihren Ateliers, aber der Auszug aus der Wagenhalle hat begonnen: Der 31. Dezember ist Stichtag, pünktlich im neuen Jahr soll dort die Sanierung beginnen. Bis dahin muss der Komplex am Nordbahnhof geräumt sein. Viele der Künstler ziehen nicht weit: Unmittelbar vor der Halle ist eine Containerstadt entstanden, die ihnen Unterkunft bieten soll. Eine neue Hoffnung für die Kunstszene am Nordbahnhof.

 

Die Wogen haben sich geglättet, von Zukunftsangst hört man am Nordbahnhof nicht mehr viel. Die Künstler, die in der Wagenhalle arbeiten, sind dort verwurzelt, wollen dort bleiben – zumindest diese Kreativszene will Stuttgart bislang nicht den Rücken zukehren. Stattdessen hat sie sich mit großem Einsatz auf ihre Übergangszeit vorbereitet: Noch liegen die Gräben vor der Halle offen, die Erschließung des Containergeländes ist nicht beendet. Die Zuleitungen, die die Container-City mit Wasser und Strom versorgen, wurden von der Stadt Stuttgart finanziert, die 180 000 Euro zur Verfügung stellte; die baulichen Arbeiten zur Erschließung liegen jedoch ganz in den Händen der Künstler. Die Eigenleistung, die sie erbringen, um in Stuttgart bleiben zu können, ist immens.

Seit Mai 2015 wächst die Container-Stadt; über rund acht Monate hinweg haben die Künstler ihren vorübergehenden Auszug in eigener Regie geplant und umgesetzt. Ganz am Anfang stand das TAUT, das „Temporary Artist Utopia Tool“, ein Projektraum im Container, initiiert von Robin Bischoff, dem Vorsitzenden des Kunstvereins Wagenhalle. Seit dem Frühjahr hat der Verein dort mehrere Ausstellungen organisiert, oft mit Künstlern und Kuratoren aus anderen Städten, Ländern.

Viel Geld wurde investiert

Rund um den Projektraum ist nun ein kleines Viertel herangewachsen. Der Künstler Stefan Rohrer, der Kfz-Karosserien ganz erstaunlich neue Formen gibt und dafür natürlich Platz braucht, hat sich gemeinsam mit dem längst renommierten Bureau Baubotanik in einem Großcontainerbau eingerichtet; Stefan Charisius, bekannt für seine animierten Großgliederpuppen namens Dundu, hat für seine raumgreifenden Arbeiten zehn Container aufgestellt und zusätzlich eine Halle von zweihundert Quadratmetern errichtet.

Der Kunstverein Wagenhalle gründete sich 2004 und hat derzeit hundert Mitglieder; die Containersiedlung vor der Halle besteht aus etwa hundert Einzelcontainern, in denen rund fünfzig Künstler ein neues, vorübergehendes Atelier gefunden haben. Auch das Büro des Kunstvereins, allgemein verfügbarer Raum wie Werkstatt, Lager, sanitäre Anlagen, sind in den Containern untergebracht.

Einige der Künstler werden die Halle während der Umbauten notgedrungen verlassen, haben anderes Unterkommen gefunden – aber am Nordbahnhof gibt es einen Konsens: Keiner will hier aufgeben. „Die wenigen, die fortgehen müssen“, sagt Stefan Rohrer, „werden wiederkommen.“

Aus der Not eine Tugend zu machen - das war das Ziel. Ein Ausweichquartier am Rande der Stadt wäre keine Alternative gewesen, auch darin sind die Künstler sich sehr einig. „Wir haben uns gesagt: Wir bleiben hier. Wir entwickeln aus der Situation heraus ein Kunstprojekt“, erklärt Gabriela Oberkofler, „Jeder von uns hat in diese Sache mittlerweile ungeheuer viel hinein gesteckt.“

Über 400 000 Euro flossen bislang in die Container-Siedlung. Allein rund 170 000 Euro fielen für den Kauf der Container und ihren Ausbau an, wurden getragen von den Künstler in Eigenleistung. Rund 130 000 Euro leistete der Kunstverein Wagenhallen in Kooperation mit der Karle Recycling GmbH, Eigentümerin des Geländes. Rund 70 000 Euro veranschlagt der Verein für ehrenamtliche Leistungen. Eine Straßenbeleuchtung wird in der Künstlerstadt soeben installiert, die Arbeiten wurden übernommen von Performance Electrics, der Firma, die der Künstler Pablo Wendel in den Wagenhallen betreibt.

„Dieser Ort“, sagt der Bildhauer Kestas Svirnelis, „ist für uns sehr wichtig. Wir haben viel investiert. Und für mich selbst ist es natürlich auch sehr spannend, das zu begleiten.“ Friedemann Flöther, auch er Bildhauer, wird in einen Container ziehen, hofft auf eine schnelle Rückkehr in sein Atelier. Allein Sylvia Winkler, die gemeinsam mit Stephan Köperl Videoinstallationen und Interventionen realisiert, sieht die Entwicklung noch skeptisch: „Ich bin mir nicht so sicher, ob zuletzt nicht doch die Mieten steigen, die Quadratmeterpreise, und das Viertel allzu geschleckt wird.“

Die Zukunft beginnt jetzt

Ein Container ist auch Schauplatz einer Sitzung des Kunstvereins, am Mittwochabend der vergangenen Woche. An den Wänden die Pläne des Geländes, der Wagenhalle, ihre Aufteilung, die Position der einzelnen Ateliers, der Containerstadt. Robin Bischoff nahm tags zuvor an der Schlusssitzung des Forums Rosenstein teil. Stuttgarts Oberbürgermeister Fritz Kuhn, berichtet er, sieht im Rosensteinviertel einen „Gegenentwurf zum Europaviertel“, erarbeitet im Rahmen einer Bürgerbeteiligung – „Eine klare Absage an das Bauen mit dem Taschenrechner“. Von einem lebendigen Viertel mit ausreichend Raum für Kreativität, frei nutzbaren Flächen für künstlerisches Arbeiten ist im Memorandum die Rede. Das schürt die Hoffnungen der Künstler.

Vom Stadtteil der gemischten Nutzungen, der hohen Lebens- und Aufenthaltsqualität gleich nebenan, versprechen sich die Mitglieder des Kunstvereins viel – vielleicht auch den Erhalt ihrer Container-City nach dem Rückzug in die Hallen, weitere Ateliers also für junge Künstler, ein kulturelles Zentrum im Herzen der Stadt, im Austausch mit dem benachbarten Wohnviertel. Ein Vertrag sichert ihnen die Nutzung des Geländes und ihrer Containerstadt für drei Jahre zu. Die Dauer der Umbauarbeiten an den Wagenhalle wird noch auf ein Jahr veranschlagt. Ob diese Frist eingehalten werden kann ist offen. Vielleicht, so die neue Utopie am Nordbahnhof, hat die Geschichte des Kunstvereins Wagenhalle eben erst begonnen.