Der Übersetzer und Essayist Joachim Kalka verlässt mit seiner riesigen Privatbibliothek Stuttgart. Die hohen Mieten in der Stadt veranlassen ihn zu dem Schritt.

Kultur: Stefan Kister (kir)
Stuttgart - Ungefähr 320 Regalmeter Bücher umfasst die Privatbibliothek des Publizisten Joachim Kalka. Ein Traum für jeden Bücherfreund, der sich allerdings schnell in sein Gegenteil verkehrt, wenn man auf der Suche nach einer neuen Bleibe ist – zumal in Stuttgart.
Herr Kalka, was ist in Leipzig besser als in Stuttgart?
Die Mieten. Es gibt keinen inhaltlichen Grund für unseren Umzug, im Gegenteil, wir wären gerne in Stuttgart geblieben. Wir müssen die Wohnung verlassen, in der wir lange gewohnt haben. In Berlin ist der Wohnungsmarkt mittlerweile auch sehr eng geworden. Leipzig dagegen verfügt noch über ein ziemlich breites Angebot an Altbauwohnungen. Wir brauchen nicht nur eine einigermaßen große Wohnung, wie brauchen vor allem eine hohe Wohnung, in der die Bibliothek ihren Platz findet. Wir wären sehr gerne in Stuttgart geblieben. Doch die Verhältnisse, sie sind nicht so.

Ist es nicht ein merkwürdiger Befund, dass ein so dem Geist lebender Mensch wie Sie seinen Aufenthaltsort ausschließlich dem Materialismus der Mieten überantwortet?
Das sind materielle Faktoren im existenziellen Sinn. Irgendwo muss man wohnen. Sie werden am Ende nicht vorschlagen, dass eine geistige Existenz auch unter einem Brückenbogen zu führen wäre. Ich weiß nicht, in welchem Maße und mit welchen Regularien der Staat in den Wohnungsmarkt eingreifen könnte und sollte. Aber die Lage ist recht besorgniserregend – nicht nur in Stuttgart, wenngleich hier der Mangel ausgeprägt ist. Es gibt einen Teil der Gesellschaft, der damit gut leben kann. Aber der andere Teil, der sparsamer wirtschaften muss, wird durch diese Situation schon sehr drangsaliert.

Der Stuttgarter Musenhof muss zurzeit ja einiges aushalten: erst die Nachricht von Florian Höllerers Weggang, jetzt packen Sie auch noch die Koffer.
Das Stuttgarter Kulturleben ist kaum so prekär, dass es durch den Fortgang einiger weniger Individuen gefährdet wäre, obwohl Florian Höllerer natürlich erst einmal eine große Lücke hinterlassen wird. Ich habe die Hoffnung, dass die Verbindungen nach wie vor eng sein werden. Im übrigen: es ist für den eigenen Narzissmus befriedigend, dass einem das Bedauern ausgedrückt wird, wenn man fortgeht, aber so wichtig ist man gewiss nicht. Ich bin sicher, dass das Literaturhaus auch im neuen Jahr ein beeindruckendes Programm haben wird. Wobei ich es als einen Akt wunderbarer Höflichkeit empfinde, dass Florian Höllerer nach Berlin geht, von Leipzig ist das nur eine Stunde entfernt.

Was werden Sie vermissen?
Von unseren Freunden abgesehen – an erster Stelle das Stuttgarter Musikleben, obwohl Leipzig in dieser Hinsicht natürlich auch viel Glanz besitzt. Die Oper wird mir vielleicht am meisten fehlen. Die Staatsgalerie. Und natürlich die Wilhelma: diese Kombination eines alten botanischen Gartens voller reizvoller historischer Bauten mit einem Zoo ist ein singulär reizvoller Ort. Ich habe ein völlig fetischistisches Verhältnis zur Magnolienblüte in der Wilhelma. Daran sehen Sie, dass ich eben doch ein alter Stuttgarter bin.

Wie blicken sie auf Stuttgart zurück?
Nun, man schreibt den Schwaben ja eine gewissen Sprödigkeit und Zurückhaltung zu. Das ist wohl auch so in Stuttgart zu beobachten. Man stellt im Lauf der Jahre fest: es gibt sehr interessante Leute, auch im Umkreis der Universität, aber die Kreise berühren sich zu selten. In anderen Städten ergibt sich das vielleicht leichter. Wobei ich nicht sagen kann, dass mir diese Zurückhaltung missfällt. Was aber abgesehen vom kulturellen Leben das Verkehrs- und Wirtschaftsleben angeht, macht die Stadt es einem derzeit leicht, fortzuziehen.

Warum?
Diese unsägliche Stuttgart-21-Geschichte ist jetzt in einem Stadium angelangt, wo niemand sie mehr so recht will, wo aber der Impuls aus finanziellen und juristischen Gründen auch nicht mehr aufzuhalten ist. Die Stadt ist an einem entscheidenden Ort bereits ziemlich verwüstet, und das wird sich noch intensivieren. Man hat sich am Anfang nicht viel gedacht, sondern war einfach besoffen von dieser angeblich so großartigen Möglichkeit. Und sollte tatsächlich ein neues Stadtviertel entstehen, deutet vieles darauf hin, dass es architektonisch vollkommen grauenhaft wird. Das sieht man schon jetzt an den Bauten um den Pariser Platz – die Stadtbibliothek ausgenommen. Sie sind von einer Einfallslosigkeit und ästhetischen Unwirtlichkeit, die sich mit hoher Wahrscheinlichkeit in dem neuen Viertel fortsetzen wird. Des wird nix.

Wie muss man sich den Umzug mit einer Bibliothek wie der Ihren vorstellen?
Monströs. Als einen Albtraum. Manchmal, wenn ich vor meiner Bibliothek stehe, denke ich: Die Götter bestrafen den Menschen durch die Erfüllung seiner Wünsche.