Das Modelabel Blutsgeschwister schließt den Stuttgarter Standort und verabschiedet sich damit aus seiner Gründungsstadt. Was bleibt sind zwei Wermutstropfen und enttäuschte Mitarbeiter.

Kultur: Kathrin Waldow (kaw)

Stuttgart - Berlin ist um ein weiteres Modelabel reicher. Blutsgeschwister hat seit Mitte März seinen Standort komplett in die Hauptstadt verlegt. Damit macht das Label endgültig Schluss mit Stuttgart – der Stadt, in der die detailverliebte Marke „... an einem sonnigen Aschermittwoch im März 2001 von einem kleinen Kreis von Visionären, Freigeistern und Hedonisten“ aus der Wiege gehoben wurde. So steht es auf der Website.

 

„Der Ort, eine stillgelegte Industriebrache am Stuttgarter Nordbahnhof, war denkbar geeignet für Entstehung dessen, wofür die Blutsgeschwister seit diesem Tag stehen: unverwechselbare Mode für Seelenverwandte zu kreieren (…)“, heißt es im Netz weiter. Klingt irgendwie, als sei da jemand verliebt in Stuttgart. Auf einmal alles aus und vorbei?

Rennt die bislang traditionsverbundene Marke mit dem Umzug nach Berlin einem Trend hinterher? Immerhin sitzen in Berlin 2.500 Modeunternehmen, die meisten in einer Stadt deutschlandweit.

Sind der Imagefaktor und Hipsterblut dicker als Neckarwasser und Heimatliebe? Immerhin sind von dem Umzug auch 17 Mitarbeiter betroffen, die dem Ruf aus der Hauptstadt nicht folgten und sich hier nun einen neuen Arbeitsplatz suchen mussten.

„Wir sind auch noch mit unserem Flagship-Store in der Breite Straße und mit unserem Pop-Up-Store im Fluxus vertreten,“ sagt Karin Ziegler, die gemeinsam mit Stephan Künz bei Blutsgeschwister die Geschäfte führt. Sie habe allerdings schon bei der Entstehung der Marke im Kopf gehabt, mit Blutsgeschwister nach Berlin zu gehen. „Für die Anfangszeit war es in Stuttgart gut und wir hatten alle eine wilde und lustige Zeit, die vertraute Heimat hat mir auch Sicherheit gegeben“, sagt sie.

Stuttgart, die Langweilerstadt?

Bis 2008 hat sie in Stuttgart designt, dann war Schluss mit kreativem Input aus dem Kessel und Zeit für Veränderung. „Seit acht Jahren sind mein Kreativteam und ich jetzt in Berlin – es war damals auch für mich persönlich der richtige Schritt“, so die Designerin. „Ich bin Schwäbin und ich habe mich auch lange für Blutsgeschwister mit den Themen Stuttgart, Schwaben und Lokalpatriotismus beschäftigt.“ Das sei dann irgendwann genug gewesen. Außerdem sei in Stuttgart vieles „absehbar“.

Klingt ein bisschen nach Langweilerstadt.

Ziegler erklärt das so: „In Stuttgart erlebe ich leider immer weniger urbane kreative Räume, da fehlt mir persönlich etwas Raum für Fantasie. Berlin inspiriert mich und ist die Modehauptstadt. Auch dass ein Label dorthin zieht, ist nicht ungewöhnlich.“ Jetzt sei es an der Zeit, Herz und Seele in Berlin zu verankern. Doch „ein Teil unseres Herzens und unserer Seele wird immer in Stuttgart verankert sein.“

Eine Mitarbeiterin ärgert sich

Von Mitte März an sind dann auch die bislang noch in Stuttgart verankerten Bereiche Personal, Buchhaltung, Vertrieb, Marketing und Retail in Berlin. Für die Mitarbeiter sei der Umzug völlig überraschend gekommen, erfahren wir von einer ehemaligen Mitarbeiterin, die ihren Namen nicht veröffentlicht haben will. „Blutsgeschwister war ein Stuttgarter Unternehmen. Für die Fans der Marke war es etwas Besonderes, dass das Label eben nicht aus Berlin kommt. Jetzt rennt man einem Trend hinterher, was überhaupt nicht zu der Philosophie von Blutsgeschwister passt.“

2008 sei „doch auch bekannt gewesen, dass durch die Aufteilung der Standorte Reisekosten entstehen“, sagt die Mitarbeiterin. Es sei nie die Rede davon gewesen, den Stuttgarter Standort aufzugeben. „Wir haben uns da schon gefragt, warum sich die Geschäftsführung jetzt für Berlin als Standort entschieden hat.“

Zwölf neue Stellen für Berlin

Was bei dem ein oder anderen Mitarbeiter und Fan der Marke für Enttäuschung sorgt, sieht Geschäftsführer Stephan Künz nüchtern: „Wir wollen damit den Austausch innerhalb des Labels und dem Kunden gegenüber optimieren. Außerdem können wir so gewährleisten, dass wir unsere Produkte von A bis Z am gleichen Standort betreuen. Betriebswirtschaftlich ist es natürlich auch ein Vorteil, wenn alle Bereiche an einem Standort vereint sind.“

Die Produktion ist davon allerdings ausgenommen. Hergestellt werden die Kollektionen immer noch in Indien, China und der Türkei. Blutsgeschwister ist als Mitglied der „Fair Wear Foundation“ Teil einer Organisation, die sich für bessere Arbeitsbedingungen in der Textil- und Bekleidungsindustrie einsetzt.

„In Berlin haben wir jetzt über 30 Mitarbeiter. In Stuttgart waren es 23, davon sind sechs mit uns umgezogen. Wir haben am neuen Standort zwölf neue Stellen besetzt. Sechs weitere sind derzeit in Elternzeit und haben das Angebot, am neuen Standort zu arbeiten. Dass wir einige wunderbare Mitarbeiter verloren haben, schmerzt,“ sagt Künz.

Seine Geschäftspartnerin Karin Ziegler sagt: „Mir blutet da natürlich schon das Herz. Vor allem bin ich traurig, weil wir uns von Mitarbeitern trennen mussten, die diese Veränderung nicht mitmachen wollten oder konnten.“