Fast 50 Millionen Kinder sind laut Unicef auf der Flucht vor Konflikten, Gewalt und Armut. Sie nehmen dabei zahllose Gefahren auf sich, viele verlieren ihr Leben.

Korrespondenten: Knut Krohn (kkr)

New York - Kinder sind immer häufiger die Leidtragenden von Konflikten. Das ist das ernüchternde Fazit des UN-Kinderhilfswerks Unicef. Rund 50 Millionen Kinder sind weltweit auf der Flucht oder haben ihr Zuhause auf der Suche nach einem besseren Leben verlassen müssen, heißt es in einem Bericht der Organisation. Zum ersten Mal hat Unicef in ihrem Report mit dem Titel „Uprooted“ (Entwurzelt) alle verfügbaren Informationen über die globale Situation mit Blick auf das Schicksal der Kinder zusammengetragen.

 

Kinder überproportional betroffen

„Unauslöschliche Bilder von einzelnen Kindern – wie das Foto des ertrunkenen Jungen Aylan Kurdi, der am Strand angespült wurde, oder das erschütterte und blutverschmierte Gesicht von Omran Daqneesh im Krankenwagen nach der Zerstörung seines Hauses – haben die Welt schockiert“, sagte Unicef-Exekutivdirektor Anthony Lake bei der Präsentation des Berichtes in New York. „Aber jedes Bild eines Mädchens oder eines Jungen steht für Millionen von Kindern in Gefahr.“

Nach Angaben der Vereinten Nationen sind weltweit über 65 Millionen Menschen auf der Flucht – das ist ein historischer Höchsttand. Fast die Hälfte dieser Verzweifelten ist unter 18 Jahre alt, obwohl diese Altersgruppe nur rund ein Drittel der Weltbevölkerung ausmacht. Kinder sind also überproportional hoch betroffen. Heute ist eines von 200 Kindern weltweit ein Flüchtlingskind. Im Bericht von Unicef heißt es: „Je nach Situation gelten diese Mädchen und Jungen als Migranten, Flüchtlinge, Asylsuchende oder Binnenvertriebene – aber sie sind vor allem eins: Kinder.“

Die Gefahren der Flucht

Das Problem wird noch dadurch verschärft, dass immer mehr Kinder ihre Heimat alleine, ohne den Schutz von Eltern oder Verwandten verlassen. Dabei nehmen sie zahllose Gefahren auf sich wie Ertrinken, Unterernährung, Menschenhandel, Missbrauch bis hin zu Vergewaltigung und Mord. Im vergangenen Jahr haben dem Bericht zufolge über 100.000 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in 78 Ländern Asyl beantragt - dreimal so viele wie 2014.

Die 22 Millionen entwurzelten Kinder, die nicht unmittelbar vor Konflikten geflüchtet sind, haben ihre Heimat laut Unicef verlassen, um beispielsweise extremer Armut oder gewalttätigen Gangs zu entkommen. Die meisten von ihnen suchen demnach Schutz in ihrer Heimatregion. Die Folge: Die zehn Länder, die die meisten Flüchtlinge aufgenommen haben, liegen alle in Asien oder Afrika.

Die Zahl der insgesamt registrierten Flüchtlingskinder hat sich dem Bericht zufolge zwischen den Jahren 2005 und 2015 verdoppelt. Fast die Hälfte aller registrierten Flüchtlingskinder kommt aus Syrien oder Afghanistan.

Die meisten Flüchtlinge leben in der Türkei

Die meisten Migranten unter 18 Jahren leben in den USA (3,7 Millionen), gefolgt von Saudi-Arabien (2,0 Millionen) und Jordanien (1,4 Millionen). Wahrscheinlich leben den Angaben zufolge allerdings die meisten Flüchtlingskinder in der Türkei, wie es in dem Bericht heißt. Es gebe dazu keine vollständigen Zahlen, das Land habe aber bei weitem weltweit die meisten registrierten Flüchtlinge aufgenommen.

Auch in Europa ist der Anteil der minderjährigen Flüchtlingen stark angestiegen. Mehr als doppelt so viele wie im Vorjahr beantragten 2015 in der Europäischen Union oder im Schengen-Raum Asyl. 18 Prozent aller Migrantenkinder leben in Europa. Der Anteil der Kinder unter den Migranten ist in Europa mit sieben Prozent aber der niedrigste aller Weltregionen. Von den europäischen Ländern, die viele Flüchtlinge aufgenommen haben, veröffentlichen nur Deutschland und Serbien umfassende Zahlen zu Flüchtlingskindern.

Chancen durch Flüchtlinge

Wo es sichere und legale Routen gebe, könne Migration sowohl für die Kinder als auch die aufnehmenden Gemeinden Chancen bieten, heißt es in dem Bericht. Den Kindern käme allerdings häufig der mögliche Nutzen der Migration nicht zugute. Bessere Chancen auf Bildung seien etwa ein wichtiger Auswanderungsgrund; bei Flüchtlingskindern sei es aber fünfmal so wahrscheinlich, dass sie nicht zur Schule gingen wie bei anderen Kindern. Zudem würden diejenigen, die zur Schule gehen, häufig diskriminiert.

Unicef formuliert sechs Ziele und Empfehlungen zum Wohle der Kinder: Regierungen und andere Gruppen sollen demnach Migranten- und Flüchtlingskinder vor Ausbeutung und Gewalt beschützen, die Kinder nicht mehr festnehmen, Familien zusammenhalten, den Kindern Zugang zu Bildung und Gesundheitsleistungen verschaffen, und Fluchtursachen ebenso bekämpfen wie Fremdenfeindlichkeit, Diskriminierung und Ausgrenzung.