Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Im August 2014 hat der IS ihr Heimatdorf Kocho im Sindschargebirge samt der 700 Bewohner quasi ausgelöscht. In der IS-Ideologie sind Jesiden Ungläubige – „Teufelsanbeter“. Männer und ältere Jungen wurden vor Massengräbern erschossen, Frauen und Kinder verschleppt. Auch Nadias Mutter und sechs ihrer Brüder wurden praktisch vor ihren Augen getötet. Drei Brüder konnten sich retten. Insgesamt verlor sie 18 Familienangehörige durch den IS. Mit zwei Schwestern wurde sie als Sexsklavin drei lange Monate gefangen gehalten, bis die Flucht gelang. Eine Schwägerin ist in Mossul weiterhin in Gefangenschaft. Welche Gefühle bringt sie für ihre Peiniger auf? Hass vor allem? Sie formuliert ihre Antwort eher abstrakt: „Ich will, dass diese herzlosen Menschen zur Rechenschaft gezogen werden“, sagt sie. „Die IS-Kämpfer sollen verstehen: Wir Jesiden sind keine Objekte, die sie vergewaltigen können, wie sie möchten.“ Der Tod hat für sie seinen Schrecken verloren.

 

Im amerikanischen Nebraska hat sie einen Jesiden kennengelernt, der ihr Fotos von seinem Bruder gezeigt hat, nachdem er vom IS geköpft worden war. Diese Bilder gehen ihr nicht aus dem Kopf. „Sie haben mich darin bestärkt, nicht aufzuhören mit dem, was ich tue.“ Bemerkenswert, dass sie diese Erinnerungen mehr hervorhebt als das eigene Schicksal. Für viele Flüchtlinge ist diese schmale Person ein Vorbild geworden, eine Heilsbringerin gar. Ob im Nordirak oder in Griechenland – Nadia Murad soll ihnen helfen, aus den Lagern in ein sicheres Land zu kommen. Das ist viel Verantwortung für eine 23-Jährige. „Bei jedem Auftritt versuche ich, für diese Menschen zu sprechen, damit was für sie getan wird.“ Wenn sie vor einem Parlament oder einer wichtigen Kommission redet, „führe ich mir vor Augen, dass ich das für die Menschen in den Camps tue“. Das dämpfe die Nervosität.

Mutmacherin der Flüchtlinge in den Lagern

Als starke Frau sieht sie sich nicht. „Die IS-Kämpfer behandeln dich mit Messern und roher Gewalt“, sagt sie. In der Gefangenschaft seien Mut und Stärke nicht zu bewahren. Der Psychologe Jan Kizilhan, der sie 2015 für das Sonderkontingent des Landes ausgewählt hat, sorgt sich, dass sie ihre eigene Therapie vernachlässigt. Sie könnte in ein „tiefes Loch“ fallen, warnt der Villinger Professor. Nach zwei Therapiegesprächen hatte Nadia Murad entschieden, keine Behandlung mehr zu benötigen. Sie will aktiv werden und sich für andere Flüchtlinge einsetzen. „Dann erst kann ich ein ruhiges Leben führen.“

Nun versucht sie, den Frauen in den Camps, die Ähnliches erlebt haben, neuen Mut zu machen. „Ihr müsst euer Leben so normal wie möglich führen“, sagt sie ihnen. „Vergesst, was euch widerfahren ist. Ihr seid nicht die Einzigen, denen Gewalt widerfahren ist.“ Natürlich bräuchten diese Frauen auch eine Therapie – in den Lagern sei dies jedoch zweitrangig. Dort regierten Hunger und Armut, es mangele an ärztlicher Fürsorge, die Kinder könnten nicht zur Schule gehen. Darum kümmere sich niemand. Diese Frauen seien die Ersten, „die ihr Schicksal nicht aushalten und daran zerbrechen“.

Eine starke Frau an ihrer Seite: Amal Clooney

Projektleiter Blume hat erst vor drei Wochen im Nordirak etliche der 1600 Frauen und Kinder gesehen, die aus den Fängen des IS befreit wurden. Sie waren sehr lange in Gefangenschaft, ihr Zustand ist sehr schlecht. Die alleinerziehenden Mütter seien völlig überfordert. „Da geht es in vielen Fällen um Leben und Tod“, sagt er. Blume hofft, dass mehr Länder und Staaten helfen. Bisher haben nur Niedersachsen und Schleswig-Holstein insgesamt 100 Opfer von Menschenhandel aufgenommen. Staatsminister Klaus-Peter Murawski hat es wenigstens geschafft, das Thema auf die Agenda der Ministerpräsidentenkonferenz Ende dieser Woche zu bringen.

Die Region Stuttgart wird demnach ihre neue Heimat – die alte Heimat Nordirak will sie nur aufsuchen, falls sie Einladungen von der kurdischen oder der irakischen Regierung erhält. Es sei sehr gefährlich dort, und die Flüchtlinge müssten in Zelten und Camps ausharren. „Eine Rückkehr für immer kann ich mir gerade nicht vorstellen“, betont sie. „Es müsste ein vergleichbares Leben wie in Deutschland möglich sein, und es müsste uns dort Gerechtigkeit widerfahren.“ Man hat ihr auch angeboten, in die USA überzusiedeln, doch Nadia Murad zieht den deutschen Südwesten vor, was dem Staatsministerium imponiert.

Der Psychotherapeut sorgt sich um die 23-Jährige

Im August 2014 hat der IS ihr Heimatdorf Kocho im Sindschargebirge samt der 700 Bewohner quasi ausgelöscht. In der IS-Ideologie sind Jesiden Ungläubige – „Teufelsanbeter“. Männer und ältere Jungen wurden vor Massengräbern erschossen, Frauen und Kinder verschleppt. Auch Nadias Mutter und sechs ihrer Brüder wurden praktisch vor ihren Augen getötet. Drei Brüder konnten sich retten. Insgesamt verlor sie 18 Familienangehörige durch den IS. Mit zwei Schwestern wurde sie als Sexsklavin drei lange Monate gefangen gehalten, bis die Flucht gelang. Eine Schwägerin ist in Mossul weiterhin in Gefangenschaft. Welche Gefühle bringt sie für ihre Peiniger auf? Hass vor allem? Sie formuliert ihre Antwort eher abstrakt: „Ich will, dass diese herzlosen Menschen zur Rechenschaft gezogen werden“, sagt sie. „Die IS-Kämpfer sollen verstehen: Wir Jesiden sind keine Objekte, die sie vergewaltigen können, wie sie möchten.“ Der Tod hat für sie seinen Schrecken verloren.

Im amerikanischen Nebraska hat sie einen Jesiden kennengelernt, der ihr Fotos von seinem Bruder gezeigt hat, nachdem er vom IS geköpft worden war. Diese Bilder gehen ihr nicht aus dem Kopf. „Sie haben mich darin bestärkt, nicht aufzuhören mit dem, was ich tue.“ Bemerkenswert, dass sie diese Erinnerungen mehr hervorhebt als das eigene Schicksal. Für viele Flüchtlinge ist diese schmale Person ein Vorbild geworden, eine Heilsbringerin gar. Ob im Nordirak oder in Griechenland – Nadia Murad soll ihnen helfen, aus den Lagern in ein sicheres Land zu kommen. Das ist viel Verantwortung für eine 23-Jährige. „Bei jedem Auftritt versuche ich, für diese Menschen zu sprechen, damit was für sie getan wird.“ Wenn sie vor einem Parlament oder einer wichtigen Kommission redet, „führe ich mir vor Augen, dass ich das für die Menschen in den Camps tue“. Das dämpfe die Nervosität.

Mutmacherin der Flüchtlinge in den Lagern

Als starke Frau sieht sie sich nicht. „Die IS-Kämpfer behandeln dich mit Messern und roher Gewalt“, sagt sie. In der Gefangenschaft seien Mut und Stärke nicht zu bewahren. Der Psychologe Jan Kizilhan, der sie 2015 für das Sonderkontingent des Landes ausgewählt hat, sorgt sich, dass sie ihre eigene Therapie vernachlässigt. Sie könnte in ein „tiefes Loch“ fallen, warnt der Villinger Professor. Nach zwei Therapiegesprächen hatte Nadia Murad entschieden, keine Behandlung mehr zu benötigen. Sie will aktiv werden und sich für andere Flüchtlinge einsetzen. „Dann erst kann ich ein ruhiges Leben führen.“

Nun versucht sie, den Frauen in den Camps, die Ähnliches erlebt haben, neuen Mut zu machen. „Ihr müsst euer Leben so normal wie möglich führen“, sagt sie ihnen. „Vergesst, was euch widerfahren ist. Ihr seid nicht die Einzigen, denen Gewalt widerfahren ist.“ Natürlich bräuchten diese Frauen auch eine Therapie – in den Lagern sei dies jedoch zweitrangig. Dort regierten Hunger und Armut, es mangele an ärztlicher Fürsorge, die Kinder könnten nicht zur Schule gehen. Darum kümmere sich niemand. Diese Frauen seien die Ersten, „die ihr Schicksal nicht aushalten und daran zerbrechen“.

Eine starke Frau an ihrer Seite: Amal Clooney

Projektleiter Blume hat erst vor drei Wochen im Nordirak etliche der 1600 Frauen und Kinder gesehen, die aus den Fängen des IS befreit wurden. Sie waren sehr lange in Gefangenschaft, ihr Zustand ist sehr schlecht. Die alleinerziehenden Mütter seien völlig überfordert. „Da geht es in vielen Fällen um Leben und Tod“, sagt er. Blume hofft, dass mehr Länder und Staaten helfen. Bisher haben nur Niedersachsen und Schleswig-Holstein insgesamt 100 Opfer von Menschenhandel aufgenommen. Staatsminister Klaus-Peter Murawski hat es wenigstens geschafft, das Thema auf die Agenda der Ministerpräsidentenkonferenz Ende dieser Woche zu bringen.

Immerhin hat Nadia Murad eine starke Frau an ihrer Seite: Die Menschenrechtlerin Amal Clooney gibt der Kampagne einen hochprofessionellen Anstrich. Eine liebevolle und hilfsbereite Person sei sie, sagt die Jesidin über die Rechtsanwältin. Gemeinsam haben sie Flüchtlingsunterkünfte im Südwesten besucht. Dort hat Murad Freunde und ferne Verwandte aus ihrem Dorf Kocho getroffen. Einige hatten zwischenzeitlich geheiratet oder Babys bekommen. „Ich habe gesehen, dass sie ein normales Leben führen – das hat mich sehr gefreut.“

Sie war auch einige Tage bei Amal und George Clooney nahe London zu Gast und unterhielt sich mit dem berühmten Schauspieler in dessen Wohnzimmer. Hin und wieder im Flugzeug kann sie seine Filme anschauen. Über Details lässt sie sich nicht aus – diese erscheinen ihr zu profan.

Als die Sprache darauf kommt, wie oft sie von IS-Schergen weiterverkauft wurde, bricht ihre Erschöpfung durch. Sie möchte zum Ende kommen. Es tue ihr leid, wenn noch Fragen offen blieben, entschuldigt sie sich. Die düstere Erinnerung an die finstersten Stunden ihres Lebens ermatten sie. Einen Mann zu heiraten und eigene Kinder zu bekommen kann sie sich nicht mehr vorstellen. Ihr größter Wunsch? „Gleichberechtigung für alle Frauen – und dass der Genozid an den Jesiden gestoppt wird.“ Und für sich selbst? „Ich habe keinen.“