Am Mittwoch stimmt die UN-Vollversammlung über die Aufnahme Palästinas als Nicht-Mitgliedstaat mit Beobachterstatus ab. An einer Mehrheit gibt es kaum Zweifel. Für die Palästinenser wäre dies ein großer Erfolg – mit welchen Folgen?

Ramallah - Selten hat man Hanan Ashrawi, die Grand Dame der PLO, so strahlen sehen wie am Mittwoch in Ramallah. Bestens gelaunt präsentierte sie den Antrag, der am Donnerstag als Punkt 37 auf der Tagesordnung der UN-Generalversammlung in New York stehen wird: „Die Palästina-Frage“. Damit haben sich die Vereinten Nationen nun wahrlich schon oft beschäftigt. Aber diesmal dürfte es historisch werden, und das nicht nur, weil genau auf diesen 29. November der 65. Jahrestag des UN-Beschlusses zur Teilung des britischen Mandatsgebietes in einen jüdischen und einen arabischen Staat fällt.

 

Palästina, das es als Staat eigentlich noch gar nicht gibt, dessen Land großteils von Israel besetzt ist und dessen Souveränität sich auf Autonomieflecken zwischen jüdischen Siedlungen beschränkt, soll in den Club der Nationen aufgenommen werden. Zwar nicht als Vollmitglied – dieser Antrag ist vor einem Jahr im Sicherheitsrat gescheitert –, aber immerhin als beobachtender Nicht-Mitgliedstaat. Für die Palästinenser zählt, dass das Wörtchen „Staat“ vorkommt.

Im UN-Plenum ist eine überwältigende Mehrheit zu erwarten

Die politische Flaute, in der die moderate Autonomieführung unter Präsident Mahmud Abbas mehr als ein Jahr lang ziellos dümpelte, ist vorbei. Mit vollen Segeln, um im Bild zu bleiben, nimmt sie Kurs auf New York, wo sie im UN-Plenum eine überwältigende Mehrheit der 193 Mitgliedstaaten hinter sich weiß. Vor allem Frankreich, das nach langem Zögern ebenfalls mit Ja stimmen will, hat ihr zusätzlich Rückenwind verschafft. Das sei schon „sehr ermutigend“, lobt Ashrawi, wie überhaupt die europäische Unterstützung enorm zugenommen habe. Dänemark, Schweden wohl auch Spanien ziehen mit, andere wollen sich enthalten, vielleicht sogar die Briten, die anfangs wie die Deutschen strikt gegen die Aufnahme Palästinas waren.

Am kategorischen Nein der Israelis und der Amerikaner zur palästinensischen UN-Initiative ändert das zwar nichts. Aber ihren Vorwurf, es handele sich um einen einseitigen Schritt, der einem Friedensprozess zuwiderlaufe, weist Ashrawi als „völlig unhaltbar“ zurück. Der palästinensische Antrag enthalte ganz im Gegenteil „eine Botschaft der Hoffnung“, zumal viele Menschen die Zweistaatenlösung in Gefahr sähen. „Israel, die USA und einige andere Staaten“ – wobei primär Deutschland und Kanada gemeint sind – „werden sich selber auf der falschen Seite der Geschichte wiederfinden“, so Aschrawi. „Die Palästinenser lassen sich nicht erpressen.“

Sogar bei der Hamas scheint sich der Wind zu drehen

Versuche allerdings hat es gegeben, Abbas und seine Autonomieregierung unter enormen Druck zu setzen. In früheren Fällen steckte er öfters zurück, diesmal nicht. Ausgerechnet der Minikrieg zwischen Israel und Hamas, der seine Rolle zu marginalisieren schien, führte zu einem Umdenken. Abbas musste den diplomatischen Vorstoß wider alle Einwände riskieren, schon um den Islamisten in Gaza nicht noch eine Bestätigung zu liefern, dass nur mit bewaffnetem Kampf etwas zu erreichen sei.

Selbst Washington zeigte Verständnis und hielt Israel an, die diplomatische Offensive der Palästinenser auf keinen Fall mit überzogenen Maßnahmen wie Annexion der Westbank-Siedlungen oder Aufkündigung der Osloer Verträge abzustrafen.

Sogar bei der Hamas scheint sich der Wind zu drehen. Ihr Exilchef Khaled Meschal rief zu Wochenbeginn persönlich bei Abbas an, um ihm seine Unterstützung für den UN-Antrag zuzusichern. Auch in Gaza teilte jetzt Hamas-Premier Ismael Hanija mit, seine Regierung stehe zu dem politischen Versuch, einen Staat Palästina zu etablieren. „Alle Fraktionen sind an Bord“, verkündete Aschrawi in Ramallah. „Wir stellen uns der Welt vereint.“

Von „diplomatischem Terrorismus“ ist keine Rede mehr

Dies ist umso bemerkenswerter, als der UN-Antrag sich auf die arabische Friedensinitiative bezieht, den Staatsanspruch unmissverständlich auf die 1967 besetzten Gebiete, also Gaza, Westjordanland und Ostjerusalem, beschränkt und die Dringlichkeit der Wiederaufnahme von Verhandlungen bejaht. Nicht ausgeschlossen ist, das unter den veränderten Konstellationen in Nahost am Ende ein ganz neuer Friedensprozess zustande kommt, bei dem eine mit ägyptischer Hilfe gebändigte Hamas nicht den Saboteur spielt.

Ob die israelische Regierung unter Benjamin Netanjahu daran interessiert ist, bleibt offen. Aber zumindest kam das Sicherheitskabinett in Jerusalem überein, dem diplomatischen Erfolg der Palästinenser nicht zu viel Bedeutung beizumessen, zumal er sich ohnehin nicht vermeiden lasse. Von „diplomatischem Terrorismus“ – ein Begriff, mit dem kürzlich noch Außenminister Lieberman den palästinensischen UN-Antrag attackierte – ist inzwischen keine Rede mehr. Gerechnet wird allenfalls mit Einbehalt der von Israel vorkassierten Importsteuern, die monatlich nach Ramallah überwiesen werden.

Harte Reaktionen behält sich Netanjahu vor

An einem Kollaps der Autonomieregierung kann Netanjahu nicht gelegen sein. Harte Reaktionen behält er sich aber vor, sollten die Palästinenser die Statusaufwertung in den Vereinten Nationen dazu nutzen, Israel vor den Internationalen Gerichtshof zu bringen. Auf das Recht jedes Staates, sich im Konfliktfall an Den Haag zu wenden, wollten die Palästinenser nicht verzichten. So sehr Washington und London ihnen das nahelegten. Wenn Israel weiter gegen internationales Recht verstoße wie etwa beim Siedlungsausbau auf besetztem Gebiet, behalte man sich diesen Schritt vor, hieß es in Ramallah. „Wer keine Kriegsverbrechen begeht“, kommentierte dies selbstbewusst Hanan Aschrawi, „hat doch nichts zu fürchten.“