Korntal-Münchingen - Mahdi hat es geschafft. Einen Monat und 25 Tage war der 16-Jährige unterwegs, zu Fuß in Wäldern und Bergregionen und mit dem Auto auf der sogenannten Balkanroute. Jetzt ist der Afghane angekommen. Angekommen in einer neuen Heimat in einer Wohngruppe der Korntaler Jugendhilfe, in der alles anders ist als zuhause in einer Provinz unweit von Kabul. In der er zwar das Essen anfangs nicht runterbekommen hat, aber in der er sich sicher fühlt und willkommen.

 

Mahdi, der eigentlich anders heißt, wollte nicht weg von seiner Familie. „Niemand will das“, sagt der 16-Jährige. Aber die Taliban und die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) rückten immer näher. Die Jungen, sagt Mahdi, werden rekrutiert. Es war der Vater, der über seinen Kopf hinweg entschied. Er zahlte den Schlepper, den Mahdi noch nie zuvor gesehen hatte und mit dem er doch mitging, abends, heimlich. Niemand außer seiner Familie weiß, dass er geflohen ist. Und Mahdi wusste selbst lange nicht, wohin er überhaupt geht.

Angst vor „hasserfüllten“ Polizisten

Fast zwei Monate hat es gedauert vom Aufbruch in Afghanistan bis zur Ankunft in Stuttgart im September, wo die Polizisten ihn mit Respekt behandelt haben. Nicht so wie in Bulgarien, wo die Polizei den Flüchtlingstrupp aufgriff, einige schlug und alle zurück in die Türkei schickte. „Hasserfüllt“ seien die meisten Polizisten auf der Route gewesen. „Jeder hatte Angst vor ihnen.“

Jetzt, sagt Mahdi, läuft eigentlich alles gut. „Ich fühle mich besser.“ Besser, das bedeutet, dass das Heimweh nicht mehr so schlimm ist wie am Anfang. Alle zwei Wochen spricht er mit seiner Familie, mit den Eltern, dem kleinen Bruder und der kleinen Schwester. Dass sie je wieder zusammenleben, daran glaubt er nicht. „Impossible“ nennt er es. Genauso „impossible“ ist die Vorstellung, selbst irgendwann wieder zurück nach Hause zu können. In die Heimat, in der er aufgewachsen ist, zur Schule ging, wo er Freunde hatte. „Es war gut“, sagt Mahdi, „und dann nicht mehr.“ Nachts, erzählt er, hätten sie die Feuersalven gehört, als Taliban oder der IS und die Polizei sich bekämpften. „Einen Tag ist man am Leben, am nächsten wird man getötet.“ Die Gefahr wurde zur Normalität.

Alte und neue Berufswünsche

In Korntal hört Mahdi keine Schüsse mehr. Er geht in die Vorbereitungsklasse, lernt Deutsch, was er schwierig findet, aber schon gut spricht. Er hat neue Hobbys, zum Beispiel Schwimmen und Taekwondo. Mahdis Augen leuchten, wenn er davon erzählt. Und Fußball spielt er auch gerne.

Alte und neue Berufswünsche

In Korntal hört Mahdi keine Schüsse mehr. Er geht in die Vorbereitungsklasse, lernt Deutsch, was er schwierig findet, aber schon gut spricht. Er hat neue Hobbys, zum Beispiel Schwimmen und Taekwondo. Mahdis Augen leuchten, wenn er davon erzählt. Und Fußball spielt er auch gerne.

Gerade wird die Zukunft des 16-Jährigen etwas klarer: Er möchte auf eine normale Schule gehen und dann eine Ausbildung zum Elektromechaniker machen. Eigentlich wollte er immer Journalist werden. „Jetzt ist das schwierig“, sagt er. Mahdi hat Freunde gefunden, darunter ein Afghane aus seiner Wohngruppe. Sie kochen oft zusammen. Mahdi lacht viel, und es ist klar, dass er froh ist, hier zu sein. Nur nachts, da liegt er oft wach und denkt an seine Familie.

Suche nach Unterkünften

Familien sind ein guter Ort, um hier anzukommen, die Sprache zu erlernen, neue Freunde zu finden und sich hier zu integrieren.“ Dieser Meinung ist das Landratsamt; mit einem Aufruf sucht es Gastfamilien, die unbegleitete junge Flüchtlinge aufnehmen wollen. Immer mehr Kinder und Jugendliche, heißt es in dem Aufruf, flöhen ohne Eltern aus Kriegsgebieten nach Deutschland, und immer mehr kämen im Kreis an.

Genauer gesagt hatte der Landkreis nach eigenen Angaben im vergangenen Jahr 220 Fälle zu bearbeiten – es gab also 220 unbegleitete minderjährige Ausländer (umAs), um die sich die Behörde kümmern musste. Derzeit leben 193 von ihnen im Kreis. 2014 waren es noch 14. Wie viele minderjährige Flüchtlinge in diesem Jahr untergebracht werden müssen, kann derzeit nur geschätzt werden. „Wir erwarten aber mindestens noch 100 bis 200 Zuweisungen“, teilt Annegret Kornmann, die Pressesprecherin des Landratsamts, auf Nachfrage mit.

Kapazitäten erschöpft

Baden-Württemberg ist ein Aufnahmeland, was bedeutet, dass es noch zu wenige unbegleitete Flüchtlingskinder untergebracht hat und deshalb noch Jugendliche zugewiesen bekommt. Die Minderjährigen leben in stationären Wohngruppen, in Pflegefamilien oder Wohngemeinschaften. „Wir schaffen nahezu täglich neue Unterbringungsmöglichkeiten“, sagt Kornmann. Die regulären Aufnahmekapazitäten seien „längst erschöpft“.

Die vielen Minderjährigen, die hierher geflohen sind, stellen den Allgemeinen Sozialen Dienst (ASD) laut Kornmann „vor große Herausforderungen“. Etwas Entspannung sei jedoch in Sicht, weil in diesem Jahr neue Stellen geschaffen würden. Es sind laut Kornmann vor allem „viele Formalitäten und ausländerrechtliche Fragestellungen“, die den ASD vor Probleme stellen. Ansonsten aber sei es der Dienst gewohnt, „Menschen in Krisensituationen zu betreuen“.

Die Suche nach Gastfamilien läuft indes wohl gut: Etwa 80 Anfragen habe der Pflegekinderdienst erhalten, sagt Kornmann – und neun Gastfamilien hätten schon einen jungen Flüchtling sich aufgenommen.