Ein Mann ohne Gedächtnis beschäftigt die Stuttgarter Polizei. Ein Abgleich mit Vermisstenfällen aus ganz Deutschland hat noch keine Hinweise auf seine Identität gebracht.

Lokales: Christine Bilger (ceb)

Stuttgart - Die Vermisstenstelle der Stuttgarter Polizei ist seit einer Woche auf der Suche nach der Identität eines Mannes ohne Gedächtnis, der vergangenen Donnerstag in der Stadt aufgetaucht ist. Am Mittwoch ging sie mit einem Aufruf an die Öffentlichkeit. Daraufhin kamen erste Hinweise. Eine Lösung des Rätsels sei aber noch nicht in Sicht.

 

Der Mann hatte sich am vergangenen Donnerstag bei der Bahnhofsmission gemeldet. Er sei aufgrund der Hitze etwas dehydriert gewesen, ansonsten aber völlig unversehrt. Er habe erzählt, dass er nur noch wisse, dass er drei Tage lang mit dem Fahrrad von Radolfzell nach Stuttgart gefahren sei. „Bis zum Mittag haben uns acht Hinweise erreicht“, sagt der Polizeisprecher Jens Lauer. Der eine Hinweis, der Aufschluss über die Identität des Mannes geben würde, sei aber noch nicht dabei gewesen. Der Mann hatte keine Papiere bei sich und weiß nicht mal mehr seinen Namen.

Die Polizei durchforstet die Vermisstenkartei

Erste Maßnahmen hatte die Polizei gleich nach dem Auftauchen des Mannes in der vergangenen Woche ergriffen, noch ohne die Öffentlichkeit zu informieren. Zuallererst wurde er in ein Krankenhaus gebracht und medizinisch untersucht. Dort ist er auch jetzt noch. Parallel dazu startete die Vermisstenstelle ihre Recherche. „Die Kollegen können über das Landeskriminalamt bundesweit recherchieren, welche Vermisstenfälle aktuell laufen“, sagt Lauer. Mit der Beschreibung des Mannes hätten die Kollegen eine Suchabfrage gestartet, Fotos wurden abgeglichen. Dies blieb jedoch ohne Ergebnis.

Am Stuttgarter Klinikum ist Annegret Eckhardt-Henn, die Ärztliche Direktorin der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, auf Fälle dieser Art spezialisiert. Was für die Polizei ein Rätsel ist, erklärt sie mit einem seltenen Krankheitsbild: „Das klingt nach einer dissoziativen Fugue“, sagt sie. Das sei eine Amnesie, die damit verbunden ist, dass der Betroffene plötzlich seine gewohnte Umgebung verlasse und von dieser nichts mehr wisse. „In der neuen Umgebung ist er dann erst mal unauffällig“, erläutert Eckhardt-Henn. Eine Amnesie ohne Fugue, ohne das Verlassen der gewohnten Umgebung, sei in der Regel selektiv: „Dann erkennt man zum Beispiel seine Familie oder bestimmte Personen nicht mehr“, sagt sie.

Große Stressbelastungen können Amnesien auslösen

Das Krankheitsbild trete in Zusammenhang mit einer großen Stressbelastung auf. Die Fugue könne mal nur einen Tag lang dauern, aber auch mehrere Wochen und Monate. „Es handelt sich dabei um eine Notfallreaktion der Psyche“, sagt die Ärztliche Direktorin. Sie diene dem Schutz vor dem Ereignis, das den Stress hervorgerufen habe. Heilung sei durch Psychotherapie möglich. Hilfreich wäre es, das auslösende Ereignis zu kennen.

Um zu wissen, was der Radfahrer ohne Erinnerung erlebt hat, braucht die Polizei dringend Hinweise auf seine Identität. Der Mann spreche keinen erkennbaren Dialekt. Er trug bei seiner Ankunft in Stuttgart eine schwarze kurze Radlerhose und ein schwarzes T-Shirt, ist 1,80 Meter groß, schlank und etwa 50 bis 60 Jahre alt. Sein Fahrrad, ein Mountainbike der Marke Stevens, ist auffällig blau-gelb lackiert. Der Unbekannte wurde in einem Krankenhaus aufgenommen. Hinweise nimmt die Kripo unter Telefon 07 11 / 89 90 57 78 entgegen.