Lothar Hollerbach, ein weißhaariger Arzt, der eine Alternativpraxis in einer Heidelberger Stadtvilla betreibt, sagt gleich, dass er nicht viel von einer Chemotherapie halte. Jede Krise sei eine Lektion, vielleicht sei diese Lektion aber für das nächste Leben bestimmt. Also für die Zeit nach unserer Wiedergeburt. Er empfiehlt mir zur Gesundung die Vorträge von Rudolf Steiner, ein Gedicht von Hermann Hesse und das Buch eines brasilianischen Mediums.

 

Wie viele Patienten hat er erfolgreich behandelt? Er zähle sie nicht, winkt Hollerbach ab. Und es gehe schließlich nicht nur darum zu überleben. Manche seiner Patienten seien in kurzer Zeit zu unglaublichen Erkenntnissen gelangt und hätten „bei der nächsten Inkarnation“ ein total anderes Leben führen können. „Wir dürfen unser Leben nicht so kurz sehen.” Lothar Hollerbach hat sich im Nachhinein nicht zu diesem Text geäußert.

Im 3E-Zentrum in Remshalden, im Nordosten von Stuttgart gelegen, begegnet mir der Hokuspokus von Schuld und Sühne erneut. Die damalige medizinische Leiterin der Einrichtung, Elke Tegel, führt mich durch das lichte Haus, zeigt mir den „Innenweltreiseraum“, in dem traumatische Situationen bearbeitet werden, den Raum, in dem „Heilmusik“ abgespielt werde, und auch die Maschine für die „Hochfrequenztherapie“, bei der den Zellen elektrische Energie zugeführt werde. Gesamtkosten: 13 670 Euro für fünf Wochen. Krebs, sagt die Heilpraktikerin, sei „unterdrückte Wut und unterdrückter Ärger“, gerade bei einem Hodgkin-Lymphom gehe es um Schuld. Sie fragt: „Wo fühlen Sie sich schuldig? Schuldig, ein Mann zu sein?“

„Ich habe vieles versucht“, sagt eine Patientin

Später, im Bibliotheksraum, rät Tegel zu einer „biologischen Chemotherapie“, also hoch konzentriertem Vitamin C. Das sei einer herkömmlichen Chemo weit überlegen, von der Tegel überzeugt ist, dass ich sie nicht brauche. Sie verwechselt dann noch mein Hodgkin-Lymphom mit dem grundsätzlich unterschiedlichen Non-Hodgkin-Lymphom, und sagt zur Rechtfertigung: „Bei uns geht es nicht nach Diagnose, das interessiert nicht.“ Klaus Pertl, Geschäftsführer des 3E-Zentrums, verteidigt sich später schriftlich damit, dass wir nur eine „Hausführung“ gemacht und kein Beratungsgespräch bekommen hätten. Der Preis enthalte „das gesamte 5-Wochen-Programm plus Abholung von Stuttgart, plus Infusionen und Nahrungsergänzungsmittel“. Therapieempfehlungen könnten nur die zwei Ärzte des Hauses aussprechen, und mit denen hätte ich ja nicht gesprochen. Medizinische Beratung könne man hier nicht erwarten, das Haus sei lediglich ein „Seminarzentrum“.

Die Patienten sehen das offensichtlich anders. Wir essen mit ihnen zu Mittag, bekommen wie sie die „Öl-Eiweiß-Kost“ aus Quark und Nüssen, die den Tumor bekämpfen soll. Es ist ein herrlicher Tag, die Sonne scheint durch die Fenster, wir schauen auf den idyllischen Garten voll blühender Obstbäume. Doch es wird der bedrückendste Moment auf meiner Reise. Tischgespräch sind die Hoffnung auf die Therapie, die Heilmusik, die Innenweltreisen, die Darmspülungen. „Ich habe vieles versucht“, sagt eine Patientin, „aber ich habe endlich das Gefühl, am richtigen Platz zu sein.“ Eine andere hat lange gespart, um sich die Therapie hier leisten zu können.

Ich fange an, von meiner Krankheit zu erzählen. Stoll unterbricht mich schnell: „Was ist Krebs?“, fragt sie. Man müsse sich von dem Begriff verabschieden. Auch Metastasen gebe es nicht. Den ärztlichen Befund überfliegt sie beiläufig. Ich habe zunächst einmal nur eine Schwellung der Lymphknoten am Hals. Die Ursache: eine Selbstabwertung, und zwar beruflicher Art. Ich erzähle ihr von einem Vortrag, der meinem Chef nicht gefallen hat. Ja, das könne der Grund für die Krebserkrankung sein. Mein Körper versuche, sich selbst zu heilen, doch die erste Chemotherapie habe den Vorgang unterbrochen.

Selbst Schuld, urteilen die Richter oft

Ihr Rat, um den Krebs zu besiegen: ich soll wieder zu meinen Eltern ziehen, das Leben als Single überfordere mich, Berlin sei ohnehin eine furchtbare Stadt. Und ich soll lernen, mich selbst zu lieben. Was ist mit der Chemotherapie? „Ich persönlich würde das nicht machen“, sagt sie, „und für meine Kinder und meine Eltern würde ich genauso entscheiden.“ Eine windelweiche Formulierung, die mir immer wieder begegnet ist – mit der sich die Heiler wohl aus der rechtlichen Verantwortung stehlen wollen, denn Niko Scholze wäre an diesem Rat gestorben. Hodgkin ist heilbar, eine Paradeerkrankung für die Schulmedizin, eine Chemotherapie ist die einzig sinnvolle Option. Macht man sie nicht, stirbt man.

Maia Steinert, Fachanwältin für Medizinrecht in Köln, hat oft die Hinterbliebenen von Kranken vertreten, die sich in ihrer Not an Alternativmediziner gewandt hatten. Wer einem jungen Menschen mit Heilungschancen von mehr als 50 Prozent von einer rettenden Therapie abrät, mache sich der arglistigen Täuschung und Körperverletzung strafbar, sagt Steinert. Doch es sei sehr schwer, vor Gericht eine Strafe durchzusetzen. In der Regel urteilten die Richter, jemand sei selbst schuld, wenn er sich sehenden Auges von einer etablierten Therapie abwende.

Wir haben Ursula Stoll vor der Veröffentlichung dieses Textes kontaktiert und sie gefragt, wie sie ihr Vorgehen rechtfertigt. Per E-Mail wiederholt sie ihre Standpunkte. Eine Chemotherapie schade mehr, als sie nütze, Krankheit sei eine „Selbstregulation“ – und Krebs gebe es nicht.

Unbehelligt darf Ursula Stoll ihr Unheil treiben – als Heilpraktikerin. „Wir brauchen diesen Berufsstand nicht“, sagt Jutta Hübner, Vorsitzende der Arbeitsgruppe „Prävention und Integrative Medizin in der Onkologie” der Deutschen Krebsgesellschaft. Doch solange die Schulmedizin nicht genügend Ansprechpartner anbietet, die sich Zeit für eine ausführliche Beratung und eine empathische Beziehung zum Patienten nehmen, werden charismatische Heiler wohl ihr Publikum finden.

Das Spiel mit den Hoffnungen der Patienten

Lothar Hollerbach, ein weißhaariger Arzt, der eine Alternativpraxis in einer Heidelberger Stadtvilla betreibt, sagt gleich, dass er nicht viel von einer Chemotherapie halte. Jede Krise sei eine Lektion, vielleicht sei diese Lektion aber für das nächste Leben bestimmt. Also für die Zeit nach unserer Wiedergeburt. Er empfiehlt mir zur Gesundung die Vorträge von Rudolf Steiner, ein Gedicht von Hermann Hesse und das Buch eines brasilianischen Mediums.

Wie viele Patienten hat er erfolgreich behandelt? Er zähle sie nicht, winkt Hollerbach ab. Und es gehe schließlich nicht nur darum zu überleben. Manche seiner Patienten seien in kurzer Zeit zu unglaublichen Erkenntnissen gelangt und hätten „bei der nächsten Inkarnation“ ein total anderes Leben führen können. „Wir dürfen unser Leben nicht so kurz sehen.” Lothar Hollerbach hat sich im Nachhinein nicht zu diesem Text geäußert.

Im 3E-Zentrum in Remshalden, im Nordosten von Stuttgart gelegen, begegnet mir der Hokuspokus von Schuld und Sühne erneut. Die damalige medizinische Leiterin der Einrichtung, Elke Tegel, führt mich durch das lichte Haus, zeigt mir den „Innenweltreiseraum“, in dem traumatische Situationen bearbeitet werden, den Raum, in dem „Heilmusik“ abgespielt werde, und auch die Maschine für die „Hochfrequenztherapie“, bei der den Zellen elektrische Energie zugeführt werde. Gesamtkosten: 13 670 Euro für fünf Wochen. Krebs, sagt die Heilpraktikerin, sei „unterdrückte Wut und unterdrückter Ärger“, gerade bei einem Hodgkin-Lymphom gehe es um Schuld. Sie fragt: „Wo fühlen Sie sich schuldig? Schuldig, ein Mann zu sein?“

„Ich habe vieles versucht“, sagt eine Patientin

Später, im Bibliotheksraum, rät Tegel zu einer „biologischen Chemotherapie“, also hoch konzentriertem Vitamin C. Das sei einer herkömmlichen Chemo weit überlegen, von der Tegel überzeugt ist, dass ich sie nicht brauche. Sie verwechselt dann noch mein Hodgkin-Lymphom mit dem grundsätzlich unterschiedlichen Non-Hodgkin-Lymphom, und sagt zur Rechtfertigung: „Bei uns geht es nicht nach Diagnose, das interessiert nicht.“ Klaus Pertl, Geschäftsführer des 3E-Zentrums, verteidigt sich später schriftlich damit, dass wir nur eine „Hausführung“ gemacht und kein Beratungsgespräch bekommen hätten. Der Preis enthalte „das gesamte 5-Wochen-Programm plus Abholung von Stuttgart, plus Infusionen und Nahrungsergänzungsmittel“. Therapieempfehlungen könnten nur die zwei Ärzte des Hauses aussprechen, und mit denen hätte ich ja nicht gesprochen. Medizinische Beratung könne man hier nicht erwarten, das Haus sei lediglich ein „Seminarzentrum“.

Die Patienten sehen das offensichtlich anders. Wir essen mit ihnen zu Mittag, bekommen wie sie die „Öl-Eiweiß-Kost“ aus Quark und Nüssen, die den Tumor bekämpfen soll. Es ist ein herrlicher Tag, die Sonne scheint durch die Fenster, wir schauen auf den idyllischen Garten voll blühender Obstbäume. Doch es wird der bedrückendste Moment auf meiner Reise. Tischgespräch sind die Hoffnung auf die Therapie, die Heilmusik, die Innenweltreisen, die Darmspülungen. „Ich habe vieles versucht“, sagt eine Patientin, „aber ich habe endlich das Gefühl, am richtigen Platz zu sein.“ Eine andere hat lange gespart, um sich die Therapie hier leisten zu können.

Die Angst vor dem Tod lässt die Erklärungen einleuchten

Ich fühle mich schäbig, will etwas sagen. Aber wer bin ich, diesen Menschen die Hoffnung zu nehmen? Natürlich ist die Schulmedizin nicht allmächtig, auch sie scheitert ständig an der Krankheit Krebs. Sie ist menschlich, macht Fehler, hat finanzielle Interessen, ist teils schroff und arrogant zu ihren Patienten. Sie verwirft sicher Geglaubtes, verleibt sich Neues ein, manchmal sind es auch die Theorien von Außenseitern. Doch das geschieht nach ausgiebiger Prüfung und Forschung.

Die alternativen Methoden entbehren dagegen meist jeglicher Plausibilität. Sie stützen sich auf Wunschdenken und Anekdoten – und vor allem auf die Angst. Es ist diese Angst, die ich in den dürren Gesichtern meiner Tischgenossen sehe, die lähmende Angst, die eine Krebsdiagnose mit sich bringt. Es ist die menschliche Angst vor dem Tod, die uns an jede scheinbar einleuchtende Erklärung klammern lässt, an jeden möglichen Sinn, an jede noch so vage Hoffnung auf Heilung. Es ist diese Angst, an der sich etliche Heiler bereichern.

Der Autor und sein Bericht

Autor Hristio Boytchev (34) ist Redakteur des Recherchezentrums correctiv.org. Für einen Film der Journalistin Claudia Ruby hat er sich bei Naturheilern als Krebspatient ausgegeben. Hier berichtet er über seine Erfahrungen mit Heilern aus Baden-Württemberg und von Kontakten nach dem Film, der erstmals im Oktober unter dem Titel „Das Geschäft mit der Angst“ bei Arte und im ZDF ausgestrahlt wurde. Auf der Website correctiv.org gibt es eine ausführlichere Version dieser Reportage.

Recherchezentrum Correctiv.org ist das erste gemeinnützige Recherchezentrum in Deutschland. Die mittlerweile 20-köpfige Redaktion finanziert sich über Mitgliedsbeiträge und Spenden. Zu den regelmäßigen Unterstützern gehören 800 Personen sowie Stiftungen wie die Brost-Stiftung, die Augstein-Stiftung, die Schöpflin-Stiftung und die Bundeszentrale für politische Bildung. Die Redaktion gibt Recherchen kostenlos an andere Medien ab.