Lange Listen und viele Stimmen, die man nach bestimmten Regeln verteilen muss – das Wahlsystem ist mitunter kompliziert. Immer mehr Kommunen schaffen daher die unechte Teilortswahl ab. Jüngstes Beispiel ist Alfdorf.

Alfdorf - Wählen kann manchmal ganz schön kompliziert sein: Das haben die Bürger erst im vergangenen Mai bei den Kommunalwahlen in Baden-Württemberg festgestellt. Lange Listen und viele Stimmen, die man nach ganz bestimmten Regeln verteilen muss. Besonders anspruchsvoll ist das Wählen in Kommunen mit sogenannter unechter Teilortswahl (UTW). Das führt oft zu hohen Fehlerquoten bei der Stimmabgabe.

 

Gute Absichten

Grund genug für Gemeinden wie Alfdorf (2019) oder auch Berglen und Welzheim (2014), dieses Sonderwahlrecht abzuschaffen. Dabei hatte der Gesetzgeber im Jahr 1953 gute Absichten, als er die unechte Teilortswahl in Baden-Württemberg einführte. Diese sollte garantieren, dass einzelne Teilorte oder auch Wohnbezirke ausreichend im Gemeinderat repräsentiert werden. Das Prinzip: Die Kandidaten treten für einen bestimmten Teilort an, können jedoch von allen Stimmberechtigten in der Kommune gewählt werden. Daraus folgt die Bezeichnung „unecht“. Einzelne Teilorte oder Wohnbezirke erhalten eine bestimmte Anzahl von Sitzen im Gemeinderat der Kommune. Besonders zum Tragen kam und kommt die UTW in Kommunen, in denen sich früher selbstständige Gemeinden zusammengetan haben.

Es ist kompliziert

Doch wie kompliziert dieses Sonderwahlrecht sein kann, zeigt das Beispiel Rudersberg mit seinen elf Wohnbezirken und obendrein noch drei Ortschaftsräten, in denen teils ebenfalls wieder die unechte Teilortswahl gilt. „Wir haben eine relativ komplexe Situation“, sagt Bürgermeister Raimon Ahrens – und versucht am Beispiel Lindental die Tücken der unechten Teilortwahl zu erklären: Durch die UTW hat der Rudersberger Teilort Lindental Anspruch auf einen Sitz im Gemeinderat. Sprich: Einer der gewählten Räte muss aus dem Ortsteil kommen. Alle Bürger von Rudersberg dürfen maximal drei Stimmen für Lindental abgeben, aber auch nur maximal eine Person aus dem Ort wählen. Im Frühjahr 2019 gab es aber vier Kandidaten aus Lindental. Ein Lokalpatriot könnte so dazu neigen, seine drei Stimmen auf die Lindentaler Kandidaten zu verteilen – und zack werden die Stimmen ungültig.

Trotzdem hält Rudersberg - noch - an der UTW fest: „Aktuell gibt es keine politische Diskussion bei uns“, so der Bürgermeister. In der Vergangenheit habe es immer wieder Versuche gegeben, das Wahlrecht zu vereinfachen, doch da hängen viele Emotionen dran. Ahrens gibt auch zu bedenken: „Rudersberg arbeitet seit Jahrzehnten so – und es funktioniert.“ Doch auch er sieht die Nachteile: „Durch die hohen Fehlerquoten kann es zur Verzerrung des Wählerwillens kommen“.

Entscheidung im vierten Anlauf

Alfdorf hat sich im Herbst für die Abschaffung der unechten Teilortswahl entschieden. „Das war der vierte Anlauf“, sagt Bürgermeister Michael Segan. Auch Alfdorf hatte bei der Kommunalwahl im Mai 2019 mit vielen Fehlstimmen zu kämpfen: Es waren 16 Prozent ungültige Stimmen. Die meisten davon – so hat es die Verwaltung der Kommune bei ihrer Analyse herausgefunden – seien auf eine „wohnbezirksbezogene Ungültigkeit“ zurückzuführen. Soll heißen, so die Analyse: „Am häufigsten werden in einem Wohnbezirk mehr Bewerber gewählt als zu wählen sind, was dazu führt, dass der komplette Wohnbezirk und die dort vergebenen Stimmen ungültig werden“.

Ein weiteres Gegenargument: Durch die unechte Teilortswahl wird der Gemeinderat größer. In Alfdorf heißt das: Im Gemeinderat gibt es derzeit 22 statt eigentlich 18 vorgesehener Sitze. Der Rudersberger Gemeinderat hat deswegen mit Ausgleichssitzen eine Stärke von 27 statt 22 Sitzen. Zum Vergleich: Die Kreisstadt Waiblingen hat 32 Sitze, Backnang 26. „Diese Anzahl ist für uns auch ein finanzielles Thema“, so Ahrens. Alfdorf hat sich die Entscheidung zur Abschaffung der UTW nicht leicht gemacht. Davor hat die Verwaltung die Wahlen von 2014 und 2019 ganz genau analysiert und festgestellt, dass die kleineren Teilorte nicht benachteiligt gewesen wären, wenn die UTW nicht gegolten hätte.

In Berglen stieg die Wahlbeteiligung

Berglen hat diesen Schritt bereits vor fünf Jahren vollzogen. Die Kommunalwahl in diesem Jahr war somit in der Kommune die erste ohne UTW. „Die Sorgen von damals sind hinfällig“, sagt Bürgermeister Maximilian Friedrich. In Berglen stieg die Wahlbeteiligung um zehn Prozent. Auch die Zahl der gültigen Stimmzettel ist hochgegangen. Der Gemeinderat ist von 20 auf 18 Mitglieder geschrumpft. Und jede ehemals selbstständige Gemeinde ist vertreten. Friedrich sieht nur positive Erfahrungen und würde diesen Schritt auch anderen Gemeinden empfehlen. „Die unechte Teilortswahl ist inzwischen ein überholtes Konzept.“

Die unechte Teilortswahl

Wahlrecht: Die Sonderregelung im Kommunalwahlrecht des Landes Baden-Württemberg ist für Kommunen mit mehreren Teilorten gedacht. Die UTW soll den einzelnen Teilorten eine Repräsentanz im Gemeinderat garantieren. Die Kandidaten treten dann für einen bestimmten Teilort an, können jedoch von allen Stimmberechtigten gewählt werden. Deswegen wird dieses Verfahren als „unecht“ bezeichnet. Einzelne Teilorte oder Wohnbezirke erhalten dann eine bestimmte Anzahl von Sitzen im Gemeinderat.

Historie: 1953 wurde die unechte Teilortswahl in Baden-Württemberg eingeführt. Eine besondere Bedeutung erlangte sie 1973 bis 1975: In dieser Zeit wurden die Gebiets- und Verwaltungsreformen in den Gemeinden umgesetzt, bei der sich viele Gemeinden zu größeren Kommunen zusammenschlossen. Seitdem ist die Zahl der Kommunen mit diesem Sonderwahlrecht konstant zurückgegangen. Waren es 1975 rund 65 Prozent der 1110 Kommunen in Baden-Württemberg, ging die Zahl 1999 auf 54 Prozent zurück. Im Jahr 2014 wählten noch rund 40 Prozent der 1100 Gemeinden nach der UTW.

Rems-Murr-Kreis: Nur noch vier von 31 Kommunen wählen nach der unechten Teilortwahl: Plüderhausen, Rudersberg, Spiegelberg und Winterbach.