Nach dem tragischen Tod eines Mannes im Feuerbacher Bahnhof dauern die Ermittlungen zu den Ursachen weiter an. Die 62-jährige Kirsten Eilenstein hat so ihre eigene Erfahrung mit den Zugtüren gemacht. Doch ihr stand ein Schutzengel bei.

Stuttgart - Eine 62-jährige Frau hat geschafft, was eigentlich gar nicht geht. Und sie hat es noch nicht mal gewollt. Mitte September wurde Kirsten Eilensteins Hand an der Haltestelle Schwabstraße in einer S-Bahn-Tür eingeklemmt, obwohl dies nach Auskunft eines Bahnsprechers quasi unmöglich ist. Die Türtechnik der S-Bahnen gelte als sicher. Die Ermittlungen, warum dennoch Mitte Dezember ein 50-Jähriger in Feuerbach eingeklemmt wurde und zu Tode kam, dauern noch an.

 

Eilenstein war auf dem Heimweg und wartete auf ihren Zug. Ein früherer Zug stand noch an der Station, just im Begriff, die Türen zu schließen. Sie sah eine Frau heran hasten und wollte helfen. Also streckte sie die Hand, die erst kurz zuvor operiert worden war, in die noch offene Tür. „Auf Bauchnabelhöhe, wie man das so macht“, berichtet sie. Natürlich sei sie davon ausgegangen, dass sich die Tür durch das Lichtgitter im Innern wieder öffnen werde. Doch das tat sie nur für einen Sekundenbruchteil, um sich direkt darauf ganz zu schließen. Die 62-Jährige wurde am Handgelenk eingeklemmt. „Da, wo der Puls ist. Die Tür war richtig zu.“

Eilenstein mobilisierte ihre ganze Kraft. In letzter Sekunde und unter Schmerzen bekam sie die Hand frei. „Ich war geschockt.“ Darauf angesprochen macht ein Bahnsprecher deutlich, er könne jedem nur dringend davon abraten, auf diese Weise eine S-Bahn-Tür aufhalten zu wollen. „Die S-Bahnen sollen abfahren“, betont er. Zum konkreten Fall von Kirsten Eilenstein lasse sich nach so langer Zeit nichts sagen.

Zunächst keine Anhaltspunkt für einen Defekt

Im Fall des 50-jährigen Wohnungslosen in Feuerbach ging die Tür auch nicht wieder auf. Nach Informationen der „Stuttgarter Nachrichten“ deuten erste Ermittlungen darauf hin, dass er alkoholisiert und grob fahrlässig versucht hat, die geschlossene Tür aufzureißen. Bundespolizei und Staatsanwaltschaft wollen das mit Blick auf die noch laufenden Ermittlungen weder bestätigen noch dementieren. Zu hören ist aus Ermittlerkreisen, dass die erste technische Funktionsprüfung der Türen zumindest keine Anhaltspunkte für einen Defekt ergeben hat.

Doch selbst wenn sich bestätigen sollte, dass das Opfer leichtsinnig gehandelt hat, wirft die Erklärung Fragen auf. Zwar lassen sich mit Kraft und Geschick von außen Finger zwischen die Gummilippen der S-Bahn-Türen schieben, doch kaum bis zum Handgelenk. Wenn es nur der vordere Teil der Hand war, warum hat er ihn dann nicht wieder herausgezogen? Ist er hängen geblieben oder ins Straucheln gekommen? Weitere Ermittlungen und das Gutachten sollen Klarheit bringen.

Stabilere Türen wegen des höheren Tempos

Der Bahnsprecher bekräftigt jedenfalls, dass die S-Bahn-Türen sicher seien: „Die S-Bahnen fahren mit zugelassenen Systemen.“ Angst müsse niemand haben. Es gebe mehrere Türsicherungen. Das unsichtbare Infrarot-Lichtgitter an der Tür habe knapp 200 Lichtstrahlen parallel und diagonal. Es sei so engmaschig, dass selbst ein Finger bemerkt werden müsse, betont er. Zudem könnten Züge des Modells 423, die auf den Linien S 4 bis S 6 inklusive S 60 fahren, eingeklemmte Gegenstände ab drei Zentimetern erkennen – und zwar über die Kraft, die auf die Tür wirke. Die 430er-Züge auf den anderen Linien hätten Detektoren in der Tür. Der Fahrer könne erst starten, wenn alle Türen geschlossen sind.

Anders als die S-Bahnen stehen Stadtbahnen oft minutenlang am Hauptbahnhof, weil sich eine Tür wieder und wieder öffnet. Eine SSB-Sprecherin erklärt, bei ihren Zügen gebe es an den Türen Lichtschranken. Zudem befänden sich Druckkontakte in den Türgummis. Zuletzt wird die Türfreigabe per Knopfdruck vom Lokführer gesteuert. Sind alle Türen geschlossen, signalisiert ein Licht, dass er losfahren kann.

Dass die Türen sehr unterschiedlich reagieren, obwohl die Sicherungstechnik ähnlich ist, erklärt der Bahnsprecher damit, dass „wir richtige Züge fahren“. Die S-Bahnen brächten bis zu 140 Stundenkilometer Tempo auf die Schiene. Sie müssten auch den Druckwellen standhalten, die entstehen, wenn sich zwei Züge mit hohem Tempo begegnen. „Da brauchen Sie stabilere und festere Türen als die Stadtbahnen.“

K21 Kernen moniert 33 Haltestellen

Doch erklärt dies letztlich nicht, warum der 50-Jährige in Feuerbach seine Hand nicht befreien konnte. Ebbe Kögel, Sprecher von „K 21 Kernen“, hat da seine eigene Theorie. Er vermutet die Ursache darin, dass das Opfer in den Spalt zwischen Zug und Bahnsteig geraten sein könnte, der im kurvigen Feuerbacher Bahnhof sehr groß ist. In den vergangenen fünf Jahren habe es allein an den S-Bahn Stationen Rommelshausen und Stetten-Beinstein rund zehn Unfälle wegen des Höhenunterschieds zur Einstiegkante und den Lücken gegeben. 33 Haltestellen im VVS schätzt er als heikel ein, darunter ist auch die Feuerbacher, die aber jetzt im Rahmen des Bahnprojekts Stuttgart-Ulm umgebaut wird.

Meist treffe es bei den Unfällen Senioren, die sich nicht wehrten, sagt Kögel bedauernd. Werner Hildebrand gehört nicht dazu. Der 81-Jährige stürzte im Oktober beim Aussteigen aus der Bahn in Stetten-Beinstein so schwer, dass seine künstliche Hüfte zersplitterte und sein Oberschenkelknochen ersetzt werden musste. Sein Anwalt reicht nun Klage ein. Seine Frau Eva Hildebrand sagt: „Die Bilder kommen immer wieder hoch, und die Wut auf die Bahn wird immer größer.“

Kirsten Eilenstein hatte Glück und die Sache deshalb zunächst mit sich selbst ausgemacht – bis der Unfall des 50-jährigen Mannes in Feuerbach sie aufhorchen ließ. Sie kann immer noch nicht fassen, wie knapp es bei ihr war. „Das passiert mir nicht noch einmal. Ich sage auch zu meiner Tochter: Mach das bloß nie!“