Eine Unfallhäufung an der Kreuzung zur Fellbacher Höhenstraße sorgt für eine Kehrtwende bei der Stadtverwaltung.

Fellbach - Wenn an einer bestimmten Stelle alle paar Wochen ein Unfall dem nächsten folgt, dann ist das nicht nur für die Betroffenen von Belang. Vielmehr ist auch für die verantwortlichen Verkehrsstrategen intensives Nachdenken angesagt – mit manchmal verblüffenden Folgen. So wie kürzlich im Fellbacher Rathaus.

 

Kurzerhand ließen die Fachleute den Bauhof anrücken und die Wand abmontieren

Dort haben die Ordnungsbeamten entschieden, dass der eigentlich zur Verkehrssicherheit an der Kreuzung Gotthilf-Bayh-Straße/Höhenstraße aufgestellte Sichtschutz keineswegs die erhoffte zusätzliche Sicherheit bringt, sondern regelmäßig das Gegenteil bewirkt. Kurzerhand ließen die Fachleute den Bauhof anrücken und die Wand abmontieren – auf dass sich die Unfallzahlen dort wieder reduzieren.

Dabei galt genau eine solche Wand vor etlichen Jahren als der große Wurf. Um den dortigen Blechschaden-Schwerpunkt zu entschärfen – oft hatte es pro Jahr Unfälle in zweistelliger Zahl gegeben – wurde Mitte der 90er-Jahre eben jene aus Holzlamellen bestehende Sichtblende angebracht. Der Verkehrssachverständige der Polizei hatte seinerzeit Erfreuliches zu berichten, hieß es im Oktober 1996 in der Fellbacher Zeitung: „Seit die Sichtblende angebracht wurde, ist dort nur noch ein Unfall vorgekommen.“ Die Sichtschutzwand sollte Verkehrsteilnehmer aus Bad Cannstatt hindern, allzu zügig und ungebremst auf die Höhenstraße Richtung Fellbach abzubiegen. Zugleich sollten auch nachfolgende Fahrer, da sie ja nicht nach links auf die Höhenstraße sehen können, zum Abbremsen gezwungen werden. Ganz nach dem Motto: Wenn man keinen Überblick hat, fährt man auch vorsichtiger.

Im Jahr 2015 gab es an der Kreuzung zur Höhenstraße sieben Verkehrsunfälle

Soweit die Theorie. Die Praxis hielt sich aber in den Folgejahren nicht an diese Vorgaben. „Im Jahr 2015 gab es an der Kreuzung Gotthilf-Bayh-Straße/Höhenstraße sieben Verkehrsunfälle mit fünf Leichtverletzten“, sagte Fellbachs Revierleiter Klaus Auer im Verkehrsausschuss des Gemeinderats. „Sechs Unfälle waren Auffahrunfälle, davon drei beim Rechtsabbiegen aus Richtung Bad Cannstatt kommend in die Höhenstraße Richtung Fellbach.“ Die Konsequenzen daraus schilderte der scheidende Ordnungsamtsleiter Werner Rögele: „Bei einem Ortstermin mit der Polizei haben wir entschieden, den auf der Insel aufgebauten Sichtschutz einschließlich der Stoppstelle für Rechtsabbieger wieder zu entfernen.“

Sichtschutz und Stoppstelle seien vor vielen Jahren angebracht worden, um Unfälle zu vermeiden, „anfänglich auch mit positiver Wirkung“. Allerdings wurde die Zahl der Auffahrunfälle in den vergangenen Jahren immer größer, „sodass dieser Sichtschutz zwischenzeitlich offensichtlich kein geeignetes Mittel zur Unfallverhütung mehr ist“, ergänzte Klaus Auer. Das Problem: Während der vordere Fahrer abbremst, um genau zu gucken, glaubt der mit etwas Abstand hinter ihm kommende Lenker an freie Fahrt, gibt Gas – und landet im Heck des Vordermanns oder der Vorderfrau. Nachdem die Fellbacher Ordnungsbeamten selbst mehrfach die neuralgische Stelle abgefahren waren, fiel vor einigen Wochen die Entscheidung: Der Sichtschutz kommt weg, das unbedingte Stoppschild wird durch „Vorfahrt gewähren“ ersetzt.

Freie Sicht auf freie Kreuzungen – ob die Methode ein neuer Trend ist, bleibt abzuwarten

Zurück in die Zukunft: Freie Sicht auf freie Kreuzungen! Ob diese Methode ein neuer Trend ist, bleibt abzuwarten. In den vergangenen Jahren jedenfalls wurden in der Republik eher zusätzliche Sichtschutzwände auf- als bestehende abgebaut. „Sichtbarriere an der Unfallkreuzung“, hieß beispielsweise die Überschrift eines Artikels über das Gewerbegebiet Traugraben im fränkischen Marktsteft. Zur Situation an der Stadtautobahn Coburg (ebenfalls in Franken) schrieb die Lokalpresse: „Kein Witz, die Kreuzung ist zu übersichtlich“ – mit einem Sichtschutz wolle man versuchen, den Unfallschwerpunkt endlich in den Griff zu bekommen. Es folgte allerdings manch’ harsche Reaktion: „Eine übersichtliche Auffahrt soll blind gemacht werden. Warum? Nur weil Zeitgenossen beim Vorwärtsfahren nicht dort hinschauen, wo sie hinfahren?“, echauffierte sich ein Leser der Zeitung in einem Kommentar. „Wegen vielleicht zehn Deppen pro Jahr wird der restliche Verkehr eingebremst.“ Sein Fazit: „Sichtschutz: Dümmer geht’s nimmer.“