Trotz heftiger Kritik aus dem In- und Ausland hat Ungarns Premierminister Viktor Orbán die Macht des Verfassungsgerichtes gestutzt. Das Parlament folgte ihm am Montag mit großer Mehrheit.

Budapest - Was immer der engere Kreis um den ungarischen Premierminister Viktor Orbán auch ausheckt, das Parlament in Budapest segnet es ab. Denn die Regierungspartei Fidesz verfügt in der Volksvertretung über eine disziplinierte Zweidrittelmehrheit, die selbst die umstrittensten Gesetzesvorlagen durchwinken kann. Am Montagabend hat das Parlament mit jener absoluten Mehrheit die ungarische Verfassung bereits zum vierten Mal abgeändert – zum Nachteil der Judikative im Land.

 

Der rechtskonservative Orbán hatte die Verfassung Anfang 2012 nach seinem Gusto neu schreiben lassen, doch sind der Regierungspartei Fidesz dabei offenbar Fehler unterlaufen, die seitdem mit neuen Zusätzen ausgemerzt werden. Ziel ist es, die eigene Weltanschauung sowie möglichst viel Macht im Staat über die nächsten Wahlen hinaus zu sichern. Denn seit dem spektakulären Wahlsieg vom Frühling 2010 schmilzt der Vorsprung auf die oppositionellen Sozialdemokraten dahin – besonders seit der verhasste und diskreditierte Ex-Premier Ferenc Gyurcsany seine Mutterpartei verlassen musste und eine eigene Partei gegründet hat. Eine erneute Zweidrittelmehrheit bei den Wahlen 2014 rückt für Orbán in weite Ferne.

Das Parlament hat deshalb trotz aller Kritik aus dem In- und Ausland am Montagabend eine empfindliche Beschneidung der Kompetenzen des Verfassungsgerichts durchgewinkt. Es darf sich künftig nicht mehr auf Leitentscheide der Jahre von 1989 bis 2011, also vor Orbáns neuer Verfassung, berufen. Bisher hatte das oberste Gericht umstrittene Gesetze mit dem Verweis auf die frühere Rechtsprechung kippen können.

Der Premier will den Bruch mit dem Kommunismus

Orbán argumentiert, es müsse endlich ein klarer Bruch mit dem kommunistischen System stattfinden; dies garantiere nur seine neue Verfassung. Auch darf das Verfassungsgericht künftig Gesetze nicht mehr aus eigenem Antrieb inhaltlich durchleuchten. Umstritten ist auch eine Reihe weiterer Grundgesetzesänderungen: Dazu gehört die Verpflichtung für junge Studienabgänger, die staatliche Stipendien erhalten haben, keine Jobs im Ausland anzunehmen. Dahinter steht der Wunsch, die Ausbildungsinvestitionen im Land zu belassen und einen Brain-Drain zu verhindern. Allerdings ist die Akademikerarbeitslosigkeit in Ungarn groß, was die Studentenproteste gegen die Vorlage zusätzlich anfeuerte.

In den Verfassungsrang gehoben wurde eine Reihe von Gesetzen, die das Verfassungsgericht vor seiner Entmachtung scharf kritisiert hatte. Dazu gehört eine neue Wahlrechtsbestimmung, die politische Werbung im Privatfernsehen verbietet. Zudem soll künftig allein das Parlament bestimmen können, welche Glaubenskongregationen anerkannt werden. Auch sollen Obdachlose mit Geldstrafen belegt werden, wenn sie unter freiem Himmel schlafen. Dies komme einer Kriminalisierung der Obdachlosigkeit gleich, sagen Bürgerrechtsorganisationen, die seit Wochen gegen die Änderungen Sturm laufen. Am Wochenende gingen in Budapest 6000 Demonstranten gegen Orbán auf die Straße.

Der Hauptdruck gegen die Novelle kommt von außen. Der Europarat und das US-Außenministerium regten eine Verschiebung der Abstimmung an, die internationalen Experten eine Prüfung der Gesetze erlauben würde.

Besuch bei Kanzlerin Merkel ist überschattet

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) muss aus Sicht der Grünen beim heutigen Treffen mit dem ungarischen Präsidenten Janos Ader in Berlin unmissverständlich Kritik an den Beschlüssen für die Verfassungsreform üben. Er erwarte von der Regierung, dass mit dem Staatspräsidenten „Klartext“ geredet werde, sagte der grüne Fraktionsvorsitzende Jürgen Trittin. Ader war am Montag in Berlin von Bundespräsident Joachim Gauck zu einem zweitägigen Staatsbesuch empfangen worden. Ungarns Präsident kann die vom Parlament beschlossene Novelle theoretisch zur Prüfung an das Verfassungsgericht verweisen.