Sollten Ungarn, Tschechien, Polen und die Slowakei weiter die Umverteilung des Flüchtlingsstroms torpedieren, muss die Kommission konsequent sein und die Länder vor dem Europäischen Gerichtshof verklagen, meint Markus Grabitz.

Korrespondenten: Markus Grabitz (mgr)

Brüssel - Mit ihrer Klage gegen die Brüsseler Flüchtlingspolitik sind Ungarn und die Slowakei baden gegangen. Der Richterspruch aus Luxemburg ist eindeutig: Der Beschluss von 2015, die in der Flüchtlingskrise hoch belasteten Länder Italien und Griechenland zu entlasten und bis zu 160 000 Flüchtlinge auf die anderen EU-Staaten zu verteilen, ist formal nicht zu beanstanden. Auch inhaltlich gaben die obersten EU-Richter grünes Licht: Die auf zwei Jahre befristete Maßnahme sei durchaus geeignet, um in Zeiten großen Zustroms eine Überforderung der Hauptaufnahmeländer zu verhindern.

 

In der Flüchtlingsfrage geht ein tiefer Riss durch Europa

Der Gedanke der Solidarität ist ja auch von einer bestechenden Logik: Innerhalb der Gemeinschaft fließt viel Geld in die Staaten mit wirtschaftlichem Nachholbedarf. Da liegt es auf der Hand, dass die Lasten eines Flüchtlingszustroms auch auf alle Schultern verteilt werden. Sollten Ungarn, Tschechien, Polen und die Slowakei sich weiter verweigern, muss die Kommission konsequent sein und die Länder vor dem Europäischen Gerichtshof verklagen. Nach der aktuellen Entscheidung ist so gut wie sicher, dass damit auf die renitenten Länder hohe Geldstrafen zukommen würden.

Es bleibt dabei, dass in der Flüchtlingsfrage ein tiefer Riss durch Europa geht, der die Grundfesten der EU bedroht. Es sind nämlich nicht nur die vier genannten Länder, die beim Thema Flüchtlinge die Solidarität verweigern. Es gibt etliche Länder wie etwa Österreich, Kroatien und Bulgarien, die sich an der verpflichtenden Umverteilung nur halbherzig beteiligen. Sie nehmen nur so viele Menschen auf, wie eben nötig, um ein Vertragsverletzungsverfahren zu verhindern. Diese Haltung ist mindestens so verwerflich wie die Totalverweigerung, vielleicht sogar noch schlimmer: weil sich zur Torpedierung des Programms die Feigheit gesellt, die Konsequenzen in Form von Vertragsverletzungsverfahren zu tragen.

Für die Staatengemeinschaft geht es um Glaubwürdigkeit

Doch nur wenn die Gemeinschaft in der Flüchtlingspolitik auf Dauer Handlungsfähigkeit beweist, wird sie in den Augen der Bürger glaubwürdig sein. Die EU muss sich in vielen Fragen verständigen. Wie werden die Außengrenzen besser geschützt? Wie sollen Zuwanderern legale Wege in die EU bereitet werden? Und sollen Flüchtlinge bei der nächsten Krise wieder von besonders belasteten Frontstaaten auf die anderen umverteilt werden? Die Kommission hat ihre Hausaufgaben bereits erledigt und Vorschläge unterbreitet, wie alle diese Fragen beantwortet werden können. Nun liegt der Ball in den Hauptstädten. Die Migrationsfrage hat das Zeug, zur Schicksalsfrage für die EU zu werden. Seit Beginn der Migrationskrise vor zwei Jahren ist viel Zeit ins Land gegangen. Beim Referendum zum Brexit hatte die Gemeinschaft tief in den Abgrund geblickt. Ein Prozess der Erosion war zu befürchten. So schlimm kam es nicht. Die meisten Bürger sind mittlerweile davon überzeugt, dass ihnen die europäische Einigung viel wert ist. Nun müssen die Regierungen Farbe bekennen. Wenn sie es ernst meinen mit Europa, können sie sich einem solidarischen Ansatz in der Flüchtlingspolitik nicht verweigern.