Die Stadt und die Landsmannschaft der Ungarndeutschen feiern 50 Jahre Patenschaft. Der Verein ist nach wie vor aktiv – die Vorsitzenden sind zwei hiesige Schwaben.

Gerlingen - Sie haben wesentlich zum Wachstum der Stadt nach dem Zweiten Weltkrieg beigetragen, die ersten 200 von ihnen waren im April 1946 mit ein paar Koffern in Gerlingen angekommen. In den Fünfzigern bauten sie hier ihre Häuser. Sie sind schon längst in Vereinen, den Kirchen und anderen Gruppen integriert. Und viele von ihnen pflegen Freundschaften in die alte Heimat: die Ungarndeutschen. Gut 100 Familien von ihnen gehören der Landsmannschaft der Ungarndeutschen (LDU) an. Horst Arzt und Erich Gscheidle sind die Vorsitzenden in Gerlingen – und das mit Leidenschaft, auch im 50. Jahr der Patenschaft zwischen der Stadt und den Ungarndeutschen.

 

Bekanntschaft beim Fußball und in der Kirche

Warum engagiert sich der gebürtige Leonberger, warum setzt sich der Mann aus Stuttgart-Heslach für die Interessen der Menschen ein, die 1946 aus Ungarn vertrieben wurden? Erich Gscheidle (72) lernte als junger Kerl beim Fußballspielen einen Gleichaltrigen kennen, der mit seiner Familie aus Ungarn hierher gekommen war. Horst Arzt (77) ging es in der katholischen Kirche ähnlich. Die Gemeinde sei von den Ungarndeutschen mitaufgebaut wurden. Den Bau der Kirche Sankt Peter und Paul hätten diese Familien mit vorangetrieben.

Gscheidle baute in den Achtzigern als Hauptamtsleiter im Rathaus die Partnerschaft zur ungarischen Stadt Tata mit auf, Arzt hatte zuvor schon viele Begegnungen. Und als die LDU sich 2008 auflösen wollte, seien sie beide als Vorsitzende eingesprungen. „Es hat doch nicht sein können, dass sich die LDU in der Patenstadt des Vereins auflöst.“ Denn die Landsmannschaft hat noch einen Landes- und einen Bundesverband. In denen Gscheidle zudem engagiert ist – auf Bundesebene sogar als Geschäftsführender Vorsitzender.

Begegnung und Freundschaft

Was macht ein Verein von Menschen, die vor 70 Jahren aus ihrer Heimat vertrieben worden waren, und die dann unter anderem in Gerlingen ansässig wurden? Begegnung und Freundschaft sei das Wichtigste, auf allen Ebenen, betonen Arzt und Gscheidle. Die wichtigste Veranstaltung ist der Bundesschwabenball im Frühjahr: ein Treffen der ungarndeutschen Familie, mit Trachten- und Tanzgruppen, Vorführungen und einem Redner. Auch bei der Kulturtagung im Herbst werden Verbindungen und altes Kulturgut gepflegt. Dazu kommen viele Reisen und Austausch von Gruppen. „Im Mai war der Bus mit 52 Menschen voll“, berichtet Arzt. Er war seitdem schon wieder zweimal in Tata. Das letzte Mal Anfang August, zu zwei Hochzeiten, zusammen mit Gscheidle.

Die beiden haben eines gemeinsam: Ihre Motivation ist das Credo aus der Charta der Heimatvertriebenen, die 1950 in Stuttgart verkündet wurde. Gscheidle formuliert das so: „Wir verzeihen und denken daran, dass Unrecht nicht vergessen werden darf. Was wir in der Landsmannschaft tun, sehen wir als Friedensarbeit an.“ Wie aber denken die beiden für Ungarndeutsche Engagierten über die Politik in Ungarn und über die Vorwürfe, der Ministerpräsident Viktor Orban schränke die Menschenrechte ein? Ungarn habe anerkannt, sagt Gscheidle, dass die Vertreibung Unrecht gewesen sei. Ansonsten bleibe die Politik in seiner Arbeit für die LDU außen vor. „Das ist kein Thema, wenn ich Leute einlade zum Schwabenball. Es ist nicht richtig, mit dem erhobenen Zeigefinger zu Freunden zu gehen.“ Und Arzt ergänzt: „Wenn ich über die Grenze fahre, denke ich nicht an Orban, sondern an die Menschen. Politik wird in Brüssel und Berlin gemacht. Wenn ich nichts mehr tue, bestrafe ich meine Freunde.“ Dann würden nicht nur Besucher fehlen, sondern auch Kleiderspenden für Bedürftige.

Ehrenbürger von zwei Städten

Freunde habe er viele, in Tata und Schambek, vermutlich mehr als jede andere Gerlinger Familie. Beide Städte haben Arzt die Ehrenbürgerwürde verliehen. Gscheidle erhielt 2013 einen Orden des ungarischen Staates; Bürgermeister Georg Brenner lehnte die Auszeichnung damals ab, was Wirbel auslöste. „Ich habe die Ehrung angenommen stellvertretend für alle, die sich für die ungarn-deutsche Freundschaft einsetzen“, betont Gscheidle. Er registriert mit Freude, dass sich die Enkel der Vertriebenen wieder mehr für Reisen, Austausch und Kennenlernen interessieren als ihre Eltern. „Das ist stärker als vor 20 Jahren.“

Dann klingelt es. Albrecht Sellner kommt. Der Kunstexperte und frühere Bürgermeister will mit Horst Arzt eine Ausstellung planen. In Ungarn.