Am 27. März 1987 wurde in Bad Cannstatt eine 17-jährige Schülerin getötet. Ihre Mörder sind noch nicht gefasst, doch die Polizei schließt die Akte nicht.
Stuttgart - Der Satz „Mord verjährt nicht“ ist mehr als eine Drohung an die Täter. Der Satz ist auch ein Versprechen an die Hinterbliebenen: Die Ermittler vergessen ungelöste Fälle nicht. „Die Fälle werden immer wieder hervorgeholt, die Kriminaltechniker untersuchen die Asservate, die wir aufbewahren“, sagt der Polizeisprecher Stephan Widmann. So sei es auch beim Fall der Anja Aichele, die vor 30 Jahren, am 27. März 1987, in Bad Cannstatt umgebracht wurde. „Die Technik macht immer Fortschritte, die eine neue Auswertung zulassen“, erläutert der Polizeisprecher. Deswegen ist ein Fall nie zu Ende, wird eine Akte nie geschlossen.
Anja Aichele wurde in Bad Cannstatt ermordet. Die Täter – die Polizei geht davon aus, dass nicht einer alleine handelte – erdrosselten sie und verscharrten ihre Leiche in einem Beet. Damals war man weit von dem entfernt, was die moderne Kriminaltechnik heute kann. Auch die in diesem Fall gesicherten Spuren, Kleidungsstücke der getöteten 17-Jährigen zum Beispiel, liegen noch in den Asservatenkammern der Polizei. Im Jahr 2008, 21 Jahre nach ihrem Tod, fanden die Ermittler verwertbare Spuren. Zu den Mördern führten sie damals nicht.
An einer Stadtbahnhaltestelle wird Anja zum letzten Mal gesehen
Als Anja Aichele starb, gab es noch keine Internetforen, in denen Bilder vermisster Kinder innerhalb von Minuten die Welt umrunden. Und dennoch: Das Gesicht der 17-jährigen Anja kennt man in Stuttgart. Auch 30 Jahre später wissen viele, wer die junge Frau ist, die so zuversichtlich in die Kamera zu schauen scheint. Das Foto ging damals durch alle Zeitungen, und immer wieder war es zu sehen, wenn ein neuer Ansatz, eine neue Spur, ein neuer winzig kleiner Keim der Hoffnung aufkam.
Ein Zeuge sieht Anja um 21.16 Uhr an einer Haltestelle in Bad Cannstatt. Um 21.40 Uhr hören Anwohner an jenem Freitag einen gellenden Schrei aus den Weinbergen unterhalb des Stadtteils Muckensturm. Wahrscheinlich war dieser Schrei das allerletzte Lebenszeichen der jungen Cannstatterin, die auf dem Heimweg vom Jugendclub der Kirchengemeinde ihre Mörder traf. Erst am Montag nach der Tat fand man sie nach einer groß angelegten Suchaktion.
Eine DNA-Reihenuntersuchung brachte vor fünf Jahren keinen Treffer
Steffen Gottmann leitet bei der Kriminalpolizei den Arbeitsbereich Tötungsdelikte. Vor fünf Jahren hatten er und seine Kollegen einen kleinen Hoffnungsschimmer. Sie griffen erneut auf jene 2008 gefundene winzig kleine DNA-Spur zurück. „Das ist vielleicht unsere letzte Chance“, sagte Gottmann, als Anfang April Männer zur Speichelprobe gebeten wurden, die zur Tatzeit zwischen 16 und 60 Jahre alt waren. Einen Treffer landeten die Ermittler nicht. Die Spur war 2012 bereits zum zweiten Mal Gegenstand der Ermittlungen. 2008 hatten die Spezialisten im Landeskriminalamt sie mit 500 Datensätzen in der Kartei der Behörde abgeglichen. „Das wird man sicher immer wieder machen“, sagt der Polizeisprecher, schließlich wachse die Datei mit jeder Erfassung des DNA-Profils festgenommener Täter oder Tatverdächtiger. Im Landeskriminalamt werden zentral für das ganze Land DNA-Spuren ausgewertet. Das Kriminaltechnische Institut der Behörde umfasst 270 Mitarbeiter in fünf Fachbereichen, die wiederum in 16 Fachgruppen gegliedert sind. Einer der fünf Fachbereiche sind die Mitarbeiter, welche molekulargenetische Untersuchungen vornehmen. Sie und ihre Kollegen in den anderen Fachbereichen untersuchen pro Jahr rund 11 000 Asservate auf jede noch so kleine Spur, die ein Täter hinterlassen hat. Durch ihre Hände gingen auch die Proben nach der – vorerst – letzten DNA-Reihenuntersuchung im Fall Aichele. Auch hier gilt: Sobald es einen neuen Ansatz gibt, nehmen sie ebenfalls die Arbeit wieder auf, um Anjas Mörder doch noch zu finden.