Ungewöhnliche Hilfsaktion Warum ein schwäbischer Unternehmer an einen Mann in Ghana glaubt
Millionen junger Afrikaner wollen nach Europa – dabei könnte man ihnen in der Heimat helfen. Wie das geht, zeigt ein Beispiel von der Ostalb.
Millionen junger Afrikaner wollen nach Europa – dabei könnte man ihnen in der Heimat helfen. Wie das geht, zeigt ein Beispiel von der Ostalb.
Eigentlich sieht Oliver Gideon Amofa-Appiah wie ein Mann aus, den Bernd Richter gut gebrauchen kann. Das hat der Unternehmer aus Heubach auf der Ostalb sofort erkannt, als er vor etwa einem Jahr Amofas Bewerbungsfoto auf dem Bildschirm hatte. Für Zeugnisse und Lebenslauf interessiere er sich weniger, sagt Richter. „Wir brauchen Mitarbeiter, die brennen.“ Und um das zu erkennen, schaue er den Bewerbern in die Augen und erkundige sich nach ihrer Motivation. Trotzdem hat er Amofa nicht angestellt, aber das ist trotzdem eine bemerkenswerte Geschichte.
Richter Lighting Technologies ist ein inhabergeführtes Unternehmen. Unter dem Namen Neon-Richter hat es der heute 57-Jährige im Jahr 1993 zusammen mit seiner Frau Marion im Handelsregister eintragen lassen. Auf Licht- und Akustiksyteme ist man spezialisiert. Wobei: längst geht es um architektonische Lösungen. So ist das Unternehmen aus der schwäbischen Provinz unter anderem zum Haus- und Hoflieferanten des Technologie-Riesen Apple geworden. Wenn die Amerikaner in Saudi Arabien, New York oder Tokio einen neuen Store eröffnen, ist Richter am Start. „Die Architekten denken sich etwas Verrücktes aus, aber wir können es bauen.“ Apple schickt die Animation, wenige Wochen später schickt Richter den fertigen Bausatz. Vor kurzem habe man 340.000 Teile nach Kuala Lumpur versandt. Dort werden jetzt unter einer eindrucksvollen Kuppel elektronische Geräte präsentiert.
Wenn Richter sein Unternehmen beschreiben möchte, drückt er es so aus: „Wir machen nur Dinge, die es am Markt noch nicht gibt und die uns Spaß machen.“ Nachhaltig müssen sie sein und einen Mehrwert bringen. Und genau genommen hat er das auch bei Amofa gemacht.
Er bekomme ständig Bewerbungen aus aller Welt zugeschickt. Er beschäftige 130 Mitarbeiter aus mehr als 30 Ländern. Nach Afrika pflege das Unternehmen durch Projekte schon etliche Beziehungen. Wie der junge Mann aus der Millionenstadt Kumasi in der Ashantiregion von Ghana auf den schwäbischen Mittelständler aufmerksam geworden ist, weiß Richter gar nicht so genau. Vor einem Jahr flatterte ihm die Bewerbung eben auf den Tisch.
Richter beeindruckte spontan die Entschlossenheit des Bewerbers aus Afrika. Er habe sich darauf spezialisiert, Elektroroller und E-Bikes zu reparieren, stellte Amofa sich vor. Gerne würde er das Geschäft auf andere Fahrzeuge ausweiten, doch dafür fehle ihm das Knowhow. Obwohl seine Frau in einer Klinik arbeite, reiche das Einkommen nicht, um die Familie zu ernähren. Die beiden haben vier kleine Kinder. Deshalb sei er entschlossen, nach Deutschland zu kommen, um seiner Familie in Ghana ein Auskommen zu verschaffen. 600 Euro wolle er Monat für Monat nach Hause schicken.
Doch dann fiel Richters Blick auf ein zweites Foto, das Amofa angehängt hatte und das ihn mit seinen Kindern im Alter von einem, vier, fünf und acht Jahren zeigt. „Da kamen mir fast die Tränen“, sagt Richter. Und da war dem Unternehmer, der selbst drei erwachsene Kinder hat, klar, dass es eine andere Lösung geben musste, als dass ein Vater seine Kinder verlässt.
Bernd Richter suchte in seinem Netzwerk Menschen, die bereit waren, mitzuwirken: Er sprach befreundete Unternehmer, Funktionäre der Handelskammer und Bänker an. Die Gruppe analysierte den Ist-Stand in Amofas Kleinstunternehmen, erstellte einen Geschäftsplan und zeigte auf, welcher Bildungsweg das nötige Know-How für Oliver bereitstellen könnte.
Eigentlich habe er Amofa für eine kurze Schulung nach Deutschland holen wollen. Doch das scheiterte am fehlenden Visum. „Vielleicht war es sogar besser so“, sagt Richter jetzt. Das Geld für den Flug investierte er stattdessen, um Amofa ein Studium an einer kanadischen Fernuniversität zu ermöglichen. Dass sein Schützling fleißig lernen würde, stand für ihn außer Frage. Schon im April erhielt er seinen College-Abschluss als Techniker für Elektrofahrzeuge.
Inzwischen scheint das Geschäft zu laufen. Zwei bis dreimal die Woche kommt eine Mail, Unterstützung braucht er nicht mehr. Noch hat Amofa keine eigene Garage, aber auf Stundenbasis hat er schon zwei Helfer eingestellt. Gerade habe er an einem Honda Civic Hybrid die Batterie repariert. Seine Fähigkeiten seien selten in Ghana. „Bevor der Kunde zu mir kam, hatten ihm verschiedene Mechaniker erklärt, dass da nichts mehr zu machen sei“, schreibt er stolz.
Richter hofft, dass das Beispiel Schule macht. Das Bevölkerungswachstum spiele sich in den kommenden Jahrzehnten vor allem in Afrika ab. Gleichzeitig herrsche dort Hunger, Gewalt und Perspektivlosigkeit. Auf die auch durch den Klimawandel verstärkte Migrationswelle reagiere Europa mit Push-Backs an den Grenzen und dem Einsatz von Marine. Es brauche Hilfe zur Selbsthilfe für einen Aufbruch in die Zukunft, „und nicht Abschottung, Ablehnung und Ignoranz“.