Eine eindrucksvolle Krippe ist in diesen Tagen wieder in der Lukaskirche zu sehen. Lange wurde gerätselt, welcher Bildhauer die kleinkindgroßen Figuren erschaffen hat. Wir haben uns auf die Suche nach dem Künstler begeben.

Gerlingen - Sie sind einfach gearbeitet und haben markante Gesichtszüge. Sie sind so groß wie ihre jüngsten Bewunderer: Maria und Josef, das Jesuskind in der Krippe, ein Hirte und zwei Schafe, die drei Könige, Ochs‘ und Esel. Jedes Jahr zu Weihnachten stehen die elf Figuren in der Lukaskirche unterm Baum – und sie ziehen die Besucher in ihren Bann. Doch wie alt ist diese besondere Krippe? Wer ist der offensichtlich zeitgenössische Künstler? Worin besteht sein Werk? Eine besondere Weihnachtsgeschichte.

 

Die Figuren

Sie sind etwa 70 Zentimeter hoch, das helle Lindenholz ist natur und nicht bemalt. Drei Männer stützen sich auf einen Stock, alle tragen lange Mäntel. Ihre Nasen sind kantig, die Augenbrauen ins Holz eingeritzt anstatt hervorgehoben. Der Mund ist eben oder ganz leicht nach oben gezogen. Der Hirte lächelt. Josef schaut, als ob er die Sache mit dem vor wenigen Stunden von seiner Verlobten Maria geborenen Jesuskind noch nicht so recht verstanden hätte. Der König mit der schwarzen Hautfarbe trägt ein Kreuz in den gefalteten Händen. Die Figuren sind realistisch anzusehen, aber doch ein stückweit stilisiert. Viele Details muss sich der Betrachter dazu denken. Aber sie fehlen nicht. Elke Kaltenbach-Dorfi sagt dazu: „Die Figuren sind sehr schön, einfach und schlicht, aber doch sehr ausdrucksstark.“ Und die Pfarrerin der Lukasgemeinde ergänzt: „Ich freue mich, dass ein Mensch, der mit Holz umgehen konnte, es als Aufgabe ansah, für diese Kirche eine Krippe zu machen.“ Dieser fehlt zwar das Orientalische. Wie Krippenfiguren in der Kunsthistorie dargestellt werden, ist aber eine andere Geschichte.

Die Spur zum unbekannten Künstler

Wer hat diese besondere Krippe geschaffen? Elke Kaltenbach-Dorfi weiß aus dem Stand nur eines: „Sie war schon da, als ich 2012 gekommen bin.“ Aber das Interesse der Lukas-Pfarrerin ist geweckt. Tagelang fragt sie Menschen aus der Gemeinde, telefoniert herum. Kurz vor dem dritten Advent führt die Spur zu einem Hobbyschnitzer nach Hemmingen. Dorthin hatte eine ehemalige Mesnerin verwandtschaftliche Beziehungen. Und die Krippe ist wahrscheinlich entstanden, als Rainer Boy 1990 bis 2002 an der Lukasgemeinde war.

Anruf bei dem Geistlichen, der heute im Ruhestand in Baden-Baden lebt. Die Krippe sei während seiner Amtszeit entstanden, erinnert sich der 72-Jährige, und zwar vor 1999. Damals sei die Mesnerin Irma Rometsch auf die Idee gekommen, ihren „Gegenschwieger“ zu fragen, ob er Lust habe, für die Lukaskirche eine Krippe anzufertigen. Denn der war ein begabter Hobbyschnitzer. Helmut Gentner musste nicht lange überzeugt werden. „Er hat feste dran geschafft, wir sind immer mal wieder zu ihm rausgefahren“, erzählt Boy. Die Krippe kam aber nicht auf einmal, sondern über zwei oder drei Jahre verteilt – beginnend mit der Heiligen Familie. „Jedes Mal habe ich bei der Ankunft neuer Figuren eine Meditation im Spätgottesdienst am Heiligen Abend gehalten“, erinnert sich Rainer Boy. Die neue Krippe sei für ihn ein „Highlight“ gewesen. „Das war unheimlich schön.“ Das Honorar von bescheidenen 200 Mark habe ein Mitglied der Gemeinde gespendet.

Viele Werke noch vorhanden

Wer war Helmut Gentner? Anruf beim Schwiegersohn der ehemaligen Mesnerin in Hemmingen. Martin Rometsch, Spross einer Gerlinger Familie, ist überrascht. Aber er erzählt spontan über den Vater seiner Frau. „Er war Nebenerwerbslandwirt, lebte von 1930 bis 2014, kam aus einer Bauernfamilie.“ Er habe schon immer gerne mit Holz gearbeitet, das Schnitzen intensiviert, als er die Landwirtschaft altershalber aufgab.

Ein Abend in der dritten Adventswoche. Wilfried Gentner, der Sohn, zeigt im Elternhaus das Werk seines Vaters. Landwirtschaftliche Geräte waren Helmut Gentners hauptsächliche Motive, Karren und Kutschen, Eggen und Hacken. Auch Tiere gehören dazu: Vögel, Pferde, Kühe. Alleine oder vor einen Wagen gespannt. Dutzende Arbeiten stehen in den Zimmern und der Küche. „Er hat viel für seine Enkel gemacht“, erzählt Wilfried Gentner, „mir hat seine Leidenschaft gefallen.“

Der Künstler und sein Tun

Warum hat Helmut Gentner aber in der Scheuer so filigran mit Holz gearbeitet? Sein Vater habe die Holzarbeiten seit den achtziger Jahren als Ausgleich betrachtet. Denn sein Tagesrhythmus war anstrengend: Morgens in den Stall, dann zum Schaffen in die kleine Fabrik für Zuckerwürfel, am Nachmittag aufs Feld oder zu den Obstbäumen, abends wieder Stall. „Unser Hof war lange ein Haupterwerb, aber nach den Siebzigern zum Leben zu klein und zum Sterben zu groß“, erzählt der Sohn, der nicht Bauer wurde, sondern IT-Fachmann. „Vater hat immer gebastelt und geschnitzt. Und er sagte ‚da komm ich auf andere Gedanken‘. Die Familie hat das akzeptiert.“ Und er habe eine Affinität zur Musik gehabt, im Fanfarenzug die Trommel mit selbst gemachten Schlägeln bedient. Auch bei der Feuerwehr war er.

Wilfried Gentner erinnert sich gut, wie der Vater an den „Auftrag“ für sein Hauptwerk kam. „Es war bei einem Familienfest. Da hat die Mutter meines Schwagers, die Mesnerin, meinem Vater gesagt ,bei uns in der Kirche fehlt eine Krippe’.“ Und der Bauer, der in seiner Scheuer ein Künstler war, habe geantwortet: „Dann mach‘ ich das.“ Die Figuren entstanden aus Linden-Baumstämmen. „Manchmal hab‘ ich ihm die Rohlinge hergerichtet“, erinnert sich Gentner junior. Im Familienalbum gibt es einen Hinweis, dass Helmut Gentner 1996 an den Krippenfiguren arbeitete.

Er müsse mal wieder nach Gerlingen, meint der 58-Jährige. Die Krippe anschauen. Das Hauptwerk seines Vaters. Dem Landwirt mit dem Atelier in der Scheuer.