Mit einem starken Appell an die soziale Verantwortung der Industrieländer hat der Kieler Klimaforscher Mojib Latif die Festgäste der Uni Hohenheim beeindruckt. Trotzdem sieht er einen kleinen Hoffnungsschimmer.

Stuttgart - Aus Anlass ihres 200-Jahr-Jubiläums hat die Uni Hohenheim erstmals am Montag zu ihrem akademischen Festakt geladen – als Auftakt zu einer vielfältigen Festwoche. Klanglich stimmte nicht nur klassische Musik aus der Gründerzeit der Uni das Publikum ein, sondern auch heroisch anmutende Fanfarentöne zur wehenden Uni-Flagge. Doch das Lachen, das diese Kombination im Publikum auslöste, verging den Festgästen rasch wieder, als der Klimaforscher Mojib Latif vom Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel mit seinem Festvortrag loslegte.

 

Das Interesse daran war so groß, dass das 660 Plätze fassende Otto-Rettenmaier-Audimax kaum ausreichte und viele Zuhörer auf den Treppenstufen sitzen oder stehen mussten. Latif skizzierte einen Widerspruch: Zum einen sei der Klimawandel seit Langem bekannt und oft debattiert, doch geschehen sei leider wenig. Zum anderen sei im vergangenen Jahr fast 40 Prozent des Stroms über erneuerbare Energien erzeugt worden – „ein Hoffnungsschimmer“.

Klimaforscher sieht die Industrienationen in der Pflicht zu handeln

„Das Klimaproblem ist ein Energieproblem“, sagte der Forscher und belegte dies in einer Verlaufsdarstellung mit eindrucksvoll eingefärbten Erdkugeln. Diese zeigten genau an, in welchen Ländern der Energieverbrauch und die damit verbundenen CO2-Emissionen besonders starke Auswirkungen auf die Klimaentwicklung haben. Latif sieht deshalb auch die Industrienationen in der Pflicht zu handeln. „Eigentlich müssten bei uns die Alarmglocken schrillen“, sagte er. Da 90 Prozent der weltweit produzierten Energie mit fossilen Brennstoffen erzeugt werden, habe der CO2-Wert in der Luft Rekordwerte erreicht – seit 1990 sei er um 60 Prozent gestiegen. Dies lasse sich durch Vergleichswerte belegen: Die Eiskerne der Antarktis seien das Klimaarchiv der letzten 800 000 Jahre.

Es gebe da allerdings ein Problem: „CO2 ist unsichtbar, man kann es weder schmecken noch riechen, hören oder anfassen“, erklärte Latif. Deshalb werde es offenbar von vielen Leuten auch nicht als bedrohlich eingeschätzt – ganz im Unterschied zu konkreten persönlichen Risiken, die jeder versuche, klein zu halten.

Dabei habe der Physik-Nobelpreisträger Svante Arrhenius bereits im Jahr 1896 in seinen Forschungen den Zusammenhang zwischen der Konzentration der Kohlensäure und der Erderwärmung nachgewiesen. „Wir werden in eine gigantische Warmzeit kommen“, ist Latif überzeugt. Seit dem Jahr 1900 sei die Erwärmung weltweit um ein Grad gestiegen, in Deutschland sogar um 1,4 Grad. „Wir merken das vor allem an den Extremen“, erklärte der Klimaforscher.

Doppelt so viele Hitzetage wie vor 50 Jahren

So gebe es jetzt doppelt so viele Hitzetage mit mehr als 30 Grad wie vor 50 Jahren – dafür gehen die Eistage mit durchgehendem Frost zurück. Das Arktiseis schmelze rapide: seit 1979 um 40 Prozent. Das Problem sei, in postfaktischen Zeiten Fakten in eine Gesellschaft zu transportieren. Wer hätte gedacht, dass ein Wissenschaftler wie Latif auf die Umweltenzyklika von Papst Franziskus verweist. Der hatte darin empfohlen, „sich von den besten heute zugänglichen wissenschaftlichen Erkenntnissen zutiefst berühren zu lassen“.

Unirektor Stephan Dabbert knüpfte daran mit dem Gründungsauftrag Hohenheims an: nämlich einen Beitrag zu leisten, um nachhaltiger wirtschaften zu können. Dafür sollen die bisherigen Schwerpunkte der Uni weiter ausgebaut werden: fakultätsübergreifende Studiengänge sowie Bioökonomie und digitale Transformation.

Umweltpolitisch sinnvoll sei der vorgesehene Ausbau der Wohnheime um 412 Plätze. Man wolle auch fußgänger- und fahrradfreundlicher werden. Die Uniratsvorsitzende Marion Johannsen lobte die „superbe Leistungsbilanz“ der Uni, zeigte sich aber vom Festvortrag „sehr nachdenklich gestimmt“.