Es ist für Flüchtlinge schwer, bis nach Deutschland zu kommen und hier Asyl zu erhalten. Noch schwerer haben es die Kinder der Verfolgten. Das zeigt eine Studie von Unicef auf.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Berlin - Mehr als 50 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht. Die Hälfte von ihnen sind noch minderjährig. Sie leiden besonders unter Verfolgung und einer ungesicherten Existenz in der Fremde. Ungeachtet des im Grundgesetz garantierten Asylrechts gilt das auch für die Kinder der Flüchtlinge, die in Deutschland Obhut suchen. Das zeigt eine Studie von Unicef auf, des Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen.

 

Im vergangenen Jahr hatten knapp 65 000 Menschen in Deutschland um Asyl ersucht, darunter etwa 25 000 Kinder. Mehr als 2000 von ihnen sind ohne Begleitung eines Erwachsenen auf der Flucht. „Ihre Lebenssituation, ihre oft sehr belastenden Erlebnisse im Heimatland, ihre Fluchterfahrungen und ihre Bedürfnisse finden kaum gesonderte Beachtung“, beklagt Unicef. Die Organisation weist auf eine „deutliche Benachteiligung“ der minderjährigen Asylbewerber hin.

„Behörden vernachlässigen das Kindeswohl“

Unter anderem beklagt Unicef, dass die Belange der Flüchtlingskinder bei Entscheidungen über Aufenthaltsrechte selten eine Rolle spielten. „Gesetzgeber und Behörden vernachlässigen das Kindeswohl oft komplett“, sagt Thomas Berthold, Autor der Unicef-Studie. Kinderspezifische Fluchtgründe würden im Asylverfahren zu wenig berücksichtigt. Dazu zählen: die Gefahr der Beschneidung und Genitalverstümmelung, Angst vor der Zwangsrekrutierung als Kindersoldat, das Risiko, Opfer von Zwangsheiraten oder Menschenhandel zu werden. In den Unterkünften gebe es für Familien mit Kindern zu wenig Raum für deren Privatsphäre. Die Situation in den meisten Heimen sei „für das familiäre Zusammenleben eine ganz große Last“, so Berthold.

Kinder hätten kaum Gelegenheit für Freizeitaktivitäten. Es gebe auch keine Garantie für schulischen Unterricht. Wie viele Flüchtlingskinder in Deutschland überhaupt unterrichtet würden, sei unklar. Unicef wertet dies als Versäumnis der zuständigen Behörden. Darüber hinaus sei auch die medizinische Versorgung in den Lagern unzureichend. In der Praxis sei nur eine Behandlung akuter Beschwerden oder Schmerzzustände gewährleistet. Für jede Untersuchung sei eine Sondergenehmigung erforderlich. Obwohl viele Flüchtlingskinder wegen der Umstände der Verfolgung traumatisiert seien, gebe es kaum psychosoziale Hilfen in den Unterkünften für Asylbewerber.

„Kinder brauchen besonderen Schutz“

„Flüchtlingskinder sind in erster Linie Kinder, die unter schwierigen Bedingungen aufwachsen“, sagt Anne Lütkes vom Vorstand der Unicef. „Sie brauchen besonderen Schutz und besondere Förderung, um die gleichen Chancen zu haben wie ihre Altersgenossen.“ Ausländerrechtliche Verfahren , die Minderjährige betreffen, müssten sich am Kindeswohl orientieren. Das befürwortet auch Christoph Strässer (SPD), der Menschenrechtsbeauftragte der schwarz-roten Bundesregierung. „Es ist unsere Pflicht, dafür zu sorgen, dass Flüchtlingskinder ihre traumatischen Erfahrungen überwinden, um wieder Kind sein zu können“, sagt er.

Die Grünen-Abgeordnete Luise Amtsberg wirft der Regierung vor: „Deutschland verstößt beim Umgang mit Flüchtlingskindern seit Jahren gegen die UN-Kinderrechtskonvention.“ Die Unicef-Studie müsse ein „Weckruf für die große Koalition“ sein. „Die Aufnahme von Flüchtlingskindern muss verbessert werden, um ihnen einen guten Start in ein neues Leben zu ermöglichen“, fordert Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion. Kinder besserzustellen ändere aber nichts an einem „generell diskriminierenden Umgang mit Asylsuchenden“.