Rote Linien, Kernforderungen und Attacken aus dem Hinterhalt: Kurz vor Beginn der Sondierung zwischen Union und SPD beharken sich die Partner in spe gegenseitig – und untereinander.

Berlin - Die Bühne in jener Messehalle, in der die SPD ihren Parteitag abhielt, will man aus Kostengründen einfach stehen lassen. Denn wenn Sondierungs-Gespräche mit der Union nach Ansicht der SPD-Spitze die Aufnahme von konkreten Verhandlungen über eine wie auch immer gestaltete Regierungsbildung eröffnen, dann muss auf jeden Fall ein weiterer SPD-Parteitag dies absegnen.

 

Es zeichnet sich also ein ähnlich mühsamer Prozess ab wie beim gescheiterten Versuch, eine Jamaika-Koalition, getragen von CDU, CSU, FDP und Grünen zu schmieden. Auch da hätte die Klippe eines Grünen-Parteitags vor der Aufnahme formeller Koalitionsgespräche genommen werden müssen.

Einige Spitzengenossen hegen deshalb große Zweifel am internen Zeitplan. Der besagt, dass der nächste Parteitag Mitte Januar über die Bühne gehen soll. Da aber nach allgemeiner Einschätzung die Zustimmung zu einem möglichen Regierungsprojekt angesichts der üblen Stimmung in der SPD nur mit sehr konkreten Erfolgsmeldungen erkämpft werden könnte, gilt Mitte Januar für den nächsten Parteitag schon wieder als extrem wackelige Zielmarke. Am Ende soll dann auch noch eine Mitgliederbefragung über eine Regierungsbeteiligung entscheiden. Allein dafür müsste die SPD rund zwei Millionen Euro aufbringen.

Erstes Treffen am Mittwoch

Das Unterfangen ist also ausgesprochen risikobehaftet, zumal die Stimmung allseits vergiftet ist. SPD-Chef Martin Schulz reagierte auf Attacken von CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt zum Abschluss des Parteitags mit wütenden Beschimpfungen. Dobrindt hatte die SPD in der Schmollecke verortet und Schulz wegen dessen Forderung, bis 2025 Vereinigte Staaten von Europa anzustreben, vorgeworfen, ein „Europaradikaler“ zu sein. „Wir sitzen nicht in einer Schmollecke, aber ihr habt den Karren an die Wand gefahren“, rief Schulz unter heftigem Applaus. Einer Emnid-Umfrage für „Bild am Sonntag“ zufolge befürworten übrigens nur 30 Prozent der Deutschen den Plan. 48 Prozent sind dagegen.

Schon am Mittwoch muss es deutlich gesitteter zugehen, wenn Ergebnisse erzielt werden sollen. Da loten am Abend die Parteichefs Angela Merkel (CDU), Horst Seehofer (CSU) und Schulz gemeinsam mit den Fraktionsspitzen Volker Kauder (CDU), Andrea Nahles (SPD) und Dobrindt erstmals ohne die leitende Hand von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Chancen eines Bündnisses aus. Es ist dabei aber noch nicht einmal klar, ob sich Merkel auf die vom SPD-Parteitag geforderten ergebnisoffenen Gespräche überhaupt einlässt. Denn die beinhalten ausdrücklich auch die Variante einer Minderheitsregierung, die Merkel unbedingt vermeiden will. Merkel kann sich dabei aber auch nicht mehr der bedingungslosen Solidarität ihrer eigenen Leute sicher sein.

Jens Spahn wirbt für Minderheitsregierung

Präsidiumsmitglied Jens Spahn ließ sich von der „Bild am Sonntag“ Sympathien für eine Minderheitsregierung entlocken, wohl wissend, dass Merkel einen völlig anderen Kurs verfolgt. Im Merkel-Lager wertet man dies als weitere Attacke aus dem Hinterhalt.

Schulz umriss auf dem Parteitag vier Bereiche, die ihm besonders wichtig sind: Europa, Sicherung der Renten, Investitionen in den Pflegebereich und bezahlbares Wohnen. In der Union wird erleichtert zur Kenntnis genommen, dass die Bürgerversicherung, ein Lieblingsprojekt der Parteilinken, in dieser Aufzählung fehlte. Was freilich die Union nicht davon abhielt, ihrerseits eine Maximalforderung aufzustellen.

Eine „absolute Kernforderung“ sei die Umsetzung des CDU/CSU-Kompromisspapiers zur Zuwanderung, sagte Unionsfraktionschef Volker Kauder. Demnach soll der Zuzug von Flüchtlingen auf rund 200 000 Menschen pro Jahr begrenzt werden und der Familiennachzug für Flüchtlinge mit nur eingeschränktem Schutzstatus weiter ausgesetzt bleiben. Am Sonntagabend wollte der CDU-Vorstand seinen Kurs für die Verhandlungen abstecken.