Zum ersten Mal hat die Uni Hohenheim einen „Seniorprofessor“ gekürt. Geehrt wurde just ein Forscher, der einst eine viel beachtete Rüge kassiert hatte. Die falle aber nicht ins Gewicht, befand die Uni nun.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Es war eine späte Premiere für die Universität Hohenheim. Fast zwei Jahre ist es her, dass sie per Richtlinie die Kür von „Seniorprofessoren“ geregelt hat. Nun wurde der Ehrentitel zum ersten Mal verliehen: an Heinz Breer (72), Professor für Physiologie, seit gut drei Jahrzehnten in Hohenheim und bis 2018 Dekan der Fakultät Naturwissenschaften.

 

In feierliche Runde überreichte der Rektor Stephan Dabbert unlängst die Urkunde. Gewürdigt würden Breers „herausragende wissenschaftliche Leistungen“ in der Neurosensorik, also beim Geruchs- und Geschmackssinn. Aber auch in Lehre und Selbstverwaltung habe er sich „weit über das übliche Maß hinaus engagiert“, lobte Dabbert. Man freue sich auf eine weitere enge Zusammenarbeit mit dem Seniorprofessor, der für drei Jahre Arbeitsmöglichkeiten samt Büro auf dem Campus behalte. Breer seinerseits zeigte sich hocherfreut über die Ehrung, die ihn „völlig unerwartet“ getroffen habe. Nun könne er einige seiner spannendsten Forschungsprojekte fortführen. Lächelnd posierten beide mit der Urkunde für die Fotografen.

Verwunderung über mildes Urteil

Viele Uni-Angehörige freuten sich für den Geehrten, der für sein ausgleichendes Wesen allseits geschätzt wird. Aber manche erinnerten sich an einen Vorgang, der einst ein ungleich größeres Medienecho gefunden hatte als die aktuelle Auszeichnung. Es ging, im Jahr 2003, um einen Verdacht auf wissenschaftliches Fehlverhalten. Bekannt wurde dieser durch einen ehemaligen Mitarbeiter Breers, der sich an die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gewandt hatte: In einem Beitrag für ein Fachjournal seien Versuchsabbildungen offenbar manipuliert worden. Die DFG leitete eine Untersuchung ein, die bundesweit von Medienberichten begleitet wurde. Immerhin ging es um einen Träger des Leibniz-Preises, der höchsten DFG-Auszeichnung. In Hohenheim herrsche „Krisenstimmung“, man fürchte um den guten Ruf der gesamten Uni, berichtete damals die „Zeit“.

Die DFG wurde fündig – und erteilte Breer und einem Koautor eine Rüge. Zwei Abbildungen, stellte sie fest, seien tatsächlich bearbeitet worden. Dies berühre nicht die wissenschaftliche Aussage, hätte aber erwähnt werden müssen. Die Verfasser räumten das Versäumnis ein und verfassten eine Korrektur. Wieder gab es ein größeres Medienecho: überrascht bis „entsetzt“ äußerten sich andere Forscher über das milde Urteil, es sei ein „Freibrief für den Schlendrian“, kommentierte die „Süddeutsche Zeitung“. In Breers Umfeld war damals von einer „Treibjagd“ die Rede.

Fehler fällt für Uni nicht ins Gewicht

Nun, da er als „Seniorprofessor“ gekürt wurde, war die alte Sache plötzlich wieder präsent. In den Richtlinien für die Vergabe geht es schließlich auch um die „allgemein anerkannten Grundsätze guter wissenschaftlicher Praxis“. Wenn jemand dagegen verstoße oder ein Verstoß nachträglich bekannt werde, heißt es dort, könne der Titel wieder entzogen werden. Wie, wurde kritisch gefragt, passten Rüge und Ehrung zusammen? Habe die Uni-Spitze das überhaupt bedacht?

Sehr wohl, versichert ein Hochschulsprecher. Die Rüge sei bei der Entscheidung bekannt gewesen, aber gegenüber den „großartigen Leistungen“ Breers nicht ins Gewicht gefallen. „Für eine Ehrung sind vereinzelte, geringfügige Fehler im Verhältnis zur Gesamtleistung zu sehen.“ Als Träger des Leibnizpreises und mit fast 300 oft zitierten Publikationen weise der Professor eine „überragende Bilanz“ auf.

Rüge bis heute auf Homepage dokumentiert

Die Rüge sei die mildeste Sanktion der Forschungsgemeinschaft, erläutert der Sprecher. Sie stelle gleichsam eine öffentliche Ermahnung dar und habe keine weiteren Folgen. Da es sich „nicht um einen schwerwiegenden Vorfall handelte“, hätten die Universität und das Wissenschaftsministerium seinerzeit von einem Disziplinarverfahren abgesehen. Von Kritik an der Ehrung habe man im Übrigen nur durch die Anfrage unserer Zeitung erfahren. Auch bei der örtlichen Gruppe des Deutschen Hochschulverbandes weiß man nur von einer kritischen „Einzelstimme“. In der offiziellen Mitteilung der Uni war die Rüge, die bis heute auf der Homepage der DFG dokumentiert ist, freilich auch nicht erwähnt.