Belgiens Regierung hat Hinweise auf „unmittelbar“ bevorstehende Anschläge – die Metro und viele Geschäfte öffnen nicht, Veranstaltungen werden abgesagt.

Brüssel - So ruhig sind Sonntage in Brüssel nie. Normalerweise tummeln sich tausende von Einwohnern der belgischen Hauptstadt auf den Märkten, von denen der am Gare du Midi der größte ist. Diesmal jedoch sind sie alle abgesagt: Terrorgefahr.

 

Schon am Freitagabend konnte, wer aus dem Kino hinaus auf den Boulevard Ansbach in der Brüsseler City strömte, etwas von der veränderten Stimmung in der Stadt erahnen. Soldaten mit Maschinengewehren patrouillierten zwischen Place De Brouckère und alter Börse. In der Nacht zu Samstag, wenige Stunden später, war es dann offiziell geworden: Das Lagezentrum der belgischen Regierung ordnete für den Großraum Brüssel die höchste Terrorwarnstufe 4 an, die auf eine „unmittelbar“ bevorstehende „sehr ernste Bedrohung“ hinweist.

Warum das geschah, versuchte Premierminister Charles Michel in einer Pressekonferenz am Samstag zu begründen. „Dies ist das Ergebnis ziemlich präziser Informationen zur Gefahr von Anschlägen, ähnlich denen, die sich in Paris ereignet haben“, sagte der 39-Jährige – „mit Waffen und Sprengstoff und möglicherweise an mehreren Orten gleichzeitig“. Mehr Details wollte er nicht verraten, außer dass der öffentliche Nahverkehr und Einkaufszentren den Hinweisen zufolge besonders gefährdet sind.

Die Spekulationen blühen

In dieser unklaren Lage blühten die Spekulationen. Am Sonntagnachmittag vermeldete ein Radiosender, die Polizei mache Jagd auf zehn Personen. Zuvor hatte der Bürgermeister der Teilgemeinde Schaerbeek, Bernard Clerfayt, von einem Duo potenzieller Attentäter gesprochen: „Wir haben erfahren, dass sich zwei Terroristen auf Brüsseler Territorium befinden und gefährliche Taten verüben könnten.“

Als sicher gilt, dass Abdeslam Salah aus dem Brüsseler Teilort Molenbeek, der dort ein Auto für die Pariser Attentäter mietete und ihnen womöglich selbst angehörte, anschließend zurück nach Belgien floh, wo er in Molenbeek vermutet wird und schon mittels mehrerer Razzien gesucht wurde. Anwältin Carine Couquelet, die den Mann vertritt, der Salah in der Anschlagsnacht abgeholt haben soll, berichtete am Wochenende, dass Salah bei der Rückkehr wohl noch eine Sprengstoffweste trug. Auf die Frage, ob Salah alleiniger Grund für die Alarmbereitschaft sei, sagte der belgische Innenminister Jan Jambon: „Leider nicht.“

Im Verlauf des Wochenendes zeigt sich dann, dass die höchste Warnstufe – obwohl erst einmal nichts Schlimmes passiert – nichts Abstraktes ist, sondern ganz praktische Folgen hat. Schließlich soll die Bevölkerung „Plätze mit vielen Menschen meiden“.

Das öffentliche Leben ist nahezu lahmgelegt

Es fuhren keine U-Bahnen mehr, da die Behörden die Metro zunächst bis Sonntagnachmittag geschlossen hielten. Der samstägliche Einkaufsbummel in der Innenstadt fiel aus, da viele Geschäfte den Ratschlag befolgt hatten, erst gar nicht die Rollgitter hochzufahren. Ganz offiziell verboten worden war die Öffnung den großen Shopping Malls der Stadt. Theatervorstellungen und Konzerte am Abend wurden abgesagt, darunter auch das der französischen Legende Johnny Hallyday, der sich anschließend mächtig über die vermeintlichen Gotteskrieger des Islamischen Staates (IS) ausließ: „Wäre ich kein Sänger, würde ich zur Waffe greifen und sie bekämpfen.“

Die Messehalle 12, wo Halliday nun erst im März auftreten soll, liegt unweit des Atomiums, das keine Besucher in seinem Innern empfing – so wie auch viele Kinos, Schwimmbäder, Büchereien oder Museen das gesamte Wochenende über geschlossen blieben. Auch im „You“, einer der angesagtesten Diskos, wurde am Samstag nicht gefeiert. Und das Fußballspiel des Brüsseler Stadtclubs RSC Anderlecht in Lokeren wurde verschoben.

Den täglichen Besorgungen freilich stand die höchste Terrorwarnstufe nicht entgegen. Kleinere Supermärkte und Lebensmittelgeschäfte vor allem in den Wohnvierteln blieben sowohl am Samstag wie am Sonntag geöffnet. Der Busverkehr lief normal weiter. Es ließen sich auch nicht alle Menschen von einem Besuch in der Innenstadt abschrecken – auch wenn sie sie sich mit vielen Soldaten teilen mussten.

Eine Stadt wie im Belagerungszustand

Am Samstag waren Kolonnen von olivgrünen Armeefahrzeugen in die Stadt eingerückt, um neuralgische Punkte wie den Grand Place am Rathaus oder die Institutionen der Europäischen Union zu sichern. Die zusätzlichen Armeekräfte wurden aus anderen Landesteilen Belgiens abgezogen, wo weiter die Terrorwarnstufe 3 gilt.

Wie es nun weitergeht, wollte Belgiens Sicherheitsrat späten Sonntagnachmittag entscheiden. Zur Disposition stand dabei auch, zum Wochenbeginn die Schulen zu schließen. Von einer weiter hohen Gefahr für Belgien geht auch der Extremismusforscher Johan Leman aus: „Für den IS ist Belgien ein Teil Frankreichs, zumindest der französischsprachige Teil – das ist für die Terrorristen ein Kampfgebiet.“