Ein Entwurf für eine neue Gestattungserklärung sorgt für Unmut bei den Stuttgart-21-kritischen Eigentümern, unter deren Grundstücken die neuen Tunnel verlaufen sollen. Sie fordern, dass Bahn und Projektpartner Stadt sich ein Beispiel am Verfahren zum Heslacher Tunnel nehmen.

Stuttgart - Der Unterschied könnte kaum größer sein. Hier der Vertrag, den die Stadt einst mit den Hausbesitzern beim Bau des Heslacher Tunnels abschloss, dort die sogenannte Gestattungserklärung, welche die Bahn nach Informationen der Stuttgarter Zeitung unter Umständen widerspenstigen Eigentümern vorlegen will, deren Grundstücke sie mit einem der S-21-Tunnel im Stadtgebiet unterfährt. Während die Stadt vor reichlich 30 Jahren ein 19-seitiges Papier mit detaillierten Regelungen ausarbeitete, reichen der Bahn heute knapp 20 Zeilen mit diesen zentralen Aussagen: „Mit der Inbesitznahme der Teilfläche unseres Flurstücks zur Durchführung der Bauarbeiten . . . für die Errichtung des Bahnknotens Stuttgart 21 . . . sind wir unwiderruflich einverstanden. Auf eine Entschädigung verzichten wir nicht.“

 

Die Sprecher der Netzwerke, in denen sich Eigentümer, die Stuttgart 21 kritisch sehen, zusammengetan haben, halten diese Erklärung für eine Zumutung. Sie fordern Verträge, die auf die individuelle Situation eingehen, und sie verlangen, dass die Stadt als S-21-Projektpartnerin die Bahn verpflichtet, das beispielhafte Vorgehen der Stadt beim Heslacher Tunnel als Maßstab zu nehmen.

Erste Gesprächseinladungen werden noch im Februar versandt

Das S-21-Kommunikationsbüro will sich zum juristischen Inhalt nicht äußern, weil die aktuell formulierte Erklärung nur ein Entwurf sei, den man mit den Netzwerken weiter besprechen wolle, sagt eine Sprecherin. Sie bestätigt, dass es ein Gespräch mit der Gruppe gegeben habe, das „in guter und kommunikativer Atmosphäre“ stattgefunden habe. Dabei seien alle offenen Fragen erörtert worden, es habe aber keine Ergebnisse gegeben. Die Gespräche sollten „zeitnah fortgeführt werden“, sagt die Sprecherin.

Das Kommunikationsbüro verweist darauf, dass die Eigentümer je nach Baufortschritt zu nicht öffentlichen Informationsgesprächen in kleinen Gruppen eingeladen würden. Darin würden sie konkret über die Baumaßnahmen, den Zeitplan, die Auswirkungen sowie die rechtlichen Hintergründe wie die Beweissicherung und Entschädigungsregelungen informiert. „Einladungen zu ersten Gesprächen werden im Februar versendet“, sagt die Sprecherin. Im März sollen die ersten Treffen mit Betroffenen im Kernerviertel stattfinden. Danach würden auch Einzelgespräche geführt.

Nach Angaben des Kommunikationsbüros sind in Stuttgart 3500 Grundstücke betroffen, die von Tunneln unterfahren oder als Baustellenfläche genutzt würden. „Wir werden die Eigentümer in diesen Fällen entschädigen“, sagt die Sprecherin.

Bahnmanager: Besseres Informationsangebot ist notwendig

„Die Informationsveranstaltungen in kleinen Gruppen ermöglichen es, den direkten Dialog mit den Eigentümern zu führen und viele Fragen frühzeitig zu lösen“, sagt Peter Sturm, der für diesen Bereich zuständige Geschäftsführer der DB-Projektgesellschaft Stuttgart-Ulm. Er hatte nach der Kritik aus den Reihen der Eigentümer während der Erörterungsverhandlung zum Grundwassermanagement Anfang Dezember eingeräumt, dass das Informationsangebot bisher nicht ausreichend sei und verbessert werden müsse. Sturm hatte damals seine Bereitschaft erklärt, sich mit den Netzwerken zu treffen.

Auf Anfrage bestätigen auch Ulrich Hangleiter und Uwe Dreiss von den Netzwerken das Treffen. Sie hätten darin ihre Kritik am Vorgehen der Bahn geäußert, sagen die beiden. Unter anderem monierten sie, dass die Bahn ihre Entschädigung an dem sogenannten Bodenrichtwert orientieren will, der oft geringer ausfällt als der Bodenwert. Vereinfacht gesagt ist der Bodenrichtwert ein Näherungswert, der auf allen Verkaufspreisen basiert, die Notare ans Stadtmessungsamt melden. In einer Karte bezeichnet die Stadt ganze Gebiete oder Straßenzüge mit demselben Bodenrichtwert. Demgegenüber bezeichnet der Bodenwert, was ein einzelnes Grundstück konkret wert ist. Dabei spielen alle Merkmale eines Grundstücks eine Rolle.

Ein weiterer wesentlicher Kritikpunkt der S-21-kritischen Eigentümer betrifft Haftungsfragen für etwaige Bauschäden. Die Bahn verweist dabei auf die gesetzliche Regelung, welche die Beweislast bei Schäden allein den Eigentümern aufbürdet. Unzumutbar finden es die Netzwerk-Vertreter, dass die Bahn mit den neuen Verträgen offenbar diese strittigen Punkte ausklammern und die Klärung auf später verschieben will, um die Erlaubnis der Eigentümer für die Unterfahrung zu erhalten. „Damit soll der Baubeginn ermöglicht, das eigentlich gesetzlich dafür vorgesehene Enteignungsverfahren aber vermieden werden“, kritisieren Dreiss und Hangleiter.

Vorgehen der Bahn ist juristisch in Ordnung

Juristisch sei das Vorgehen der Bahn nicht zu beanstanden, meint der Rechtsanwalt Armin Wirsing, der mehrere Eigentümer vertritt. Dem stimmt auch Ulrich Wecker zu, der Geschäftsführer von Haus und Grund, der Interessenvertretung von Immobilienbesitzern. Wer sich mit der Bahn einigen wolle, könne individuell mit der S-21-Bauherrin verhandeln. Wer nicht einverstanden sei, müsse unabhängig vom von der Bahn vorgeschlagenen Vertragstext mit einer vorläufigen Besitzeinweisung durch das Regierungspräsidium rechnen. Dann könnte die Bahn trotz der Kritik der Eigentümer bauen, weil die Behörde den Anträgen der Bahn aufgrund der Planfeststellungsbeschlüsse und der laufenden Bauarbeiten automatisch zustimmen werde. Allerdings mache das geplante Vorgehen der Bahn diesen Zwangsschritt überflüssig, was bei der Vielzahl von Betroffenen eine Erleichterung darstelle.

Die Netzwerke sehen in dem Vorschlag allerdings einen weiteren Hinweis darauf, dass die Bahn wenig kompromissbereit sei und auf ihren Rechtspositionen bestehe. Dagegen sei die Stadt beim Bau des Heslacher Tunnels viel großzügiger gewesen. Laut damaligen Verträgen mit Grundstückseigentümern, die der Stuttgarter Zeitung vorliegen, räumte die Stadt nicht nur Entschädigungen für die Unterfahrung und Belästigungen während der Bauarbeiten ein, sondern übernahm auch die Beweislast. Das heißt: die Stadt musste beweisen, dass etwaige Schäden während der Bauzeit nicht vom Tunnelbau herrührten – oder eine Entschädigung zahlen. Zudem erklärte sie sich pauschal zu Schönheitsreparaturen bereit und stellte den Eigentümern einen technischen Berater zur Seite, der von der Stadt bezahlt wurde. „Mit uns wurde auf Augenhöhe gesprochen“, erinnert sich ein Hausbesitzer und sagt: „Man kann so einen schwierigen Prozess auch redlich abwickeln.“