Sobald der erste Lehrer niest, droht der Schule ein Vertretungsproblem: Alle vorgesehenen Lehrerreserven sind bereits im Einsatz für das Regelangebot in den Klassen. Stuttgarts Schulleiter entwickeln deshalb eigene Ideen, wie man Unterrichtsausfall abwenden kann.

Stuttgart - Die Warnungen sind nicht neu. Schon vor geraumer Zeit hieß es, dass für die mehr als eine halbe Million Schüler im Regierungsbezirk Stuttgart zu wenige Lehrer zur Verfügung stünden. Erste Hinweise darauf kamen von der Kultusministerin Susanne Eisenmann selbst. Im Sommer meldete sich dann das Staatliche Schulamt Stuttgart zu Wort. „Die interne Krankheitsvertretungsreserve ist bereits voll eingesetzt“, hieß es.

 

Klassen aufgelöst und aufgeteilt

Georg Lois ist Elternvertreter und Vater eines 14-jährigen Sohnes an einem Stuttgarter Gymnasium. „In diesem Jahr hatten wir wenig ausgefallene Stunden, letztes Jahr waren es gefühlt 15 Prozent“, sagt er. Sollte jeder ausgefallene Lehrer ersetzt werden, „bräuchten wir nicht nur eine 100-Prozent-Unterrichtsversorgung, sondern eine 120-prozentige“. Verlässliche Zahlen hat der Stuttgarter Gesamtelternbeirat nicht zur Hand, eine Umfrage in den Vorjahren habe keine belastbaren Daten geliefert. „Doch sobald der erste Lehrer krank wird, gibt es Schwierigkeiten“, erläutert die Vorsitzende Kathrin Grix, „dann werden AGs und der Wahlbereich extrem zusammengestrichen.“

Die dünne Lehrerdecke hatte im Stadtbezirk Bad Cannstatt und im Bezirk Degerloch sogar zur Folge, dass zwei dritte Klassen aufgelöst und die Kinder zu Beginn des Schuljahrs 2017/18 auf die anderen vierten Klassen verteilt wurden, berichtet Matthias Kaiser, stellvertretender Chef des Staatlichen Schulamts Stuttgart. Bisher gab es eine Art Bestandsschutz für dritte Klassen, um Grundschülern bis zur weiterführenden Schule einen unveränderten, geschützten Rahmen zu bieten.

Ganztagsangebote ersetzen Unterricht nicht

Fällt an Ganztagsschulen ein Lehrer aus, ist auch das problematisch: „Die Träger der Ganztagsbetreuung sind wie Lehrer an den Stundenplan gehalten und springen nicht für kranke Pädagogen ein“, sagt Rektorin Ingrid Vanek von der Carl-Benz-Schule in Bad Cannstatt. Martin Schick ist Vater dreier Schulkinder zwischen neun und 14 Jahren und Elternbeirat an der Schwabschule in Stuttgarts Westen. „Ich lese ständig zwischen den Zeilen, was wir Eltern zu Hause versäumen, und jetzt gibt es nicht mal mehr einen Vertretungslehrerpool. Das ist ein Skandal.“ Holger zur Hausen, Rektor des Zeppelin-Gymnasiums, hat einen Bereitschaftsdienst eingerichtet, mit dem er bei Krankheitsfällen den Ganztagsbetrieb gewährleisten kann. „Man ist zu sehr kreativen Lösungen gezwungen“, sagt er.

Aktuell sind an den öffentlichen Schulen im Regierungsbezirk Stuttgart 40 224 Lehrer beschäftigt. Die Zahl von 620 Deputaten für die Lehrerreserve ist seit vier Schuljahren nicht erhöht worden.