Was tun, wenn sich an einer Grundschule ein Drittel der Lehrer und sieben sozialpädagogische Fachkräfte gleichzeitig krankmelden? In Stuttgart-Stammheim beschloss die Schulkonferenz, dass dann die Kinder klassenweise daheimbleiben. Das gefällt den Eltern nicht.

Stuttgart - Es ging einfach nicht mehr. In Stuttgart-Stammheim beschloss die Schulkonferenz, dass die Kinder bei so massivem Lehrerausfall klassenweise daheimbleiben. Auch an anderen Schulen und Schularten fiel reihenweise Unterricht aus, wurden Notfallpläne vereinbart, etwa an Sonder- und Gemeinschaftsschulen, wie das Staatliche Schulamt auf Anfrage unserer Zeitung berichtete. Es gab auch Elternproteste.

 

Bereits im Dezember berief die Rektorin der Grundschule Stammheim, Claudia Neulinger, eine außerordentliche Schulkonferenz ein. „Wir waren am Anfang vom Schuljahr knapp unterversorgt“, berichtet sie. Dann wurde eine Klassenlehrerin schwanger und durfte nicht mehr arbeiten. „Wir haben versucht, die Belastung auf viele Schultern zu verteilen – und dann kam die Grippewelle, die hat uns ganz kalt erwischt.“ Es wurde klar: „Wir können die Verlässlichkeit nicht mehr gewährleisten. Die Kinder wissen nicht mehr, wo sie den Tag verbringen. Und wir haben keinen Überblick mehr: Sind noch alle da?“ Eine für Pädagogen, Eltern und Kinder inakzeptable Situation. Dabei habe die Schule bereits alle Möglichkeiten ausgeschöpft: Ehemalige aktiviert, Lehraufträge erhöht, Überstunden gemacht – nicht nur die Lehrer, auch die Sozialpädagogen. „Wir waren verzweifelt“, so Neulinger „die Kollegen waren am Anschlag“. Besonders betroffen seien die Inklusionskinder gewesen, die ein stabiles Umfeld brauchen „Die schmeißt das richtig aus der Bahn.“

Dreimal musste in Stammheim der Notfallplan greifen

Als Lösung entwickelte die Schule einen strukturierten Notfallplan. An Tagen mit extrem hohem Krankenstand sollen die Kinder, wenn es geht, klassenweise daheimbleiben: montags alle a-Klassen, dienstags alle b-Klassen, donnerstags alle c-Klassen und freitags alle d-klassen – mittwochs haben die Ganztagskinder schon um 12.15 Uhr frei. Jede Familie muss sich auf diesen Fall aber nur in zwei bis drei fixen Kalenderwochen einrichten. Zur Not werden die Kinder auf die Klassen verteilt. „Das war eine große Entlastung“, sagt Neulinger, „die Resonanz war überwiegend gut“. Denn nun wurde der Umgang mit dem Unterrichtsausfall planbarer. Dreimal sei dies bisher erfolgt, an drei verschiedenen Tagen, berichtet die Rektorin.

Petra Corvaglia ist überhaupt nicht begeistert. Die Mutter eines Erstklässlers und Vize-Elternbeiratsvorsitzende der Stammheimer Grundschule war selber schon montags betroffen, da ihr Sohn in die a-Klasse geht. „Wir finden das zum Kotzen“, sagt sie. Die Info erreichte sie via Telefonkette um 7.35 Uhr, da war sie mit dem Kleinen auf dem Schulweg. „Für die Kinder gibt es eine Schulpflicht. Aber das Land kommt seiner Unterrichtspflicht nicht nach“, so Corvaglia. „Und unsere Rektorin muss alles ausbaden.“ Die Politik sei an der Reihe und müsse „den Mist jetzt ausbessern“. Denn: „An unserer Schule ist die Grundsicherung nicht mehr gewährleistet.“ Das schrieben die Eltern auch Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU). „Wir saßen viereinhalb Stunden an dem Brief“, so Corvaglia. Unter anderem kritisieren die Eltern, dass die Nachmittagsbetreuung ausfiel und Ganztagskinder im Klassenzimmer ihr Mittagessen als Lunchpaket bekamen, weil Sozialpädagogen fehlten. „Wir teilen Ihre Sorge über die allgemein schwierige Situation der Unterrichtsversorgung in diesem Schuljahr“, antwortete das Regierungspräsidium Stuttgart. Und: „Leider können viele Schulen, obwohl mehrfach Stellen ausgeschrieben waren, aufgrund der fehlenden Bewerberschaft in unserem Bezirk nicht so gut versorgt werden, wie wir uns das alle wünschen.“ Inzwischen bekamen die Stammheimer doch noch eine Krankheitsvertretung vom Schulamt zugewiesen. Eine weitere Person kehrte aus der Elternzeit, eine andere aus dem Ruhestand zurück. Das entspannte.

In unserem Themenspezial haben wir darüber berichtet, was gegen Unterrichtsausfall zu tun ist.

Doch auch anderswo ist die Personaldecke dünn. So habe sich an den Sonderschulen „die schon angespannte Situation mit einer Krankheitswelle verschärft“, so das Schulamt. Auch dort gebe es Notfallpläne. Und Proteste. Engpässe hätten auch die Altenburg-Gemeinschaftsschule gemeldet, wo zwölf Lehrer fehlten, sowie die Bertha-von-Suttner-Schule. Den Eltern sage man, „dass es nicht an der Möglichkeit liegt, mehr Lehrkräfte einzustellen, sondern dass es keine Lehrkräfte mehr gibt und das Schulamt für kurzfristige Krankheitsausfälle keinen Ersatz hat“, so Beate Vöhringer vom Schulamt. An die Altenburg entsandte die benachbarte Elise-von-König-Schule einen Lehrer.

Auch andere Schulen melden Engpässe – aber es gibt keinen Ersatz

Auch Doreen Halm, Vorsitzende des Gesamtelternbeirats, weiß von „vermehrten Unterrichtsausfällen, querbeet durch alle Schularten“. Sie fragt: „Weshalb können nicht Eltern, die sich dazu bereit erklären, die Aufsicht übernehmen?“ Doch im Schulamt hält man dies „aus einer Vielzahl von Gründen für schwierig“, so Amtschef Thomas Schenk. Dagegen stünden Datenschutz, Interessenkonflikte, Befugnisse, Handlungsmöglichkeiten. Schulleiterin Neulinger: „Eigentlich hat das Bildungssystem den Eltern Dinge versprochen, die es nicht halten kann. Unsere Aufgabe ist es, das Beste für die Kinder draus zu machen.“