München, Köln oder Berlin, das sind Städte, die keine Werbung brauchen. Andere dagegen sind kaum bekannt, obwohl sie nicht weniger reizvoll sind. In loser Folge stellen wir unterschätzte Orte vor – Orte wie Kleve am Niederrhein.

Eine Stadt zwischen Rhein und Maas, mit viel Land und Kultur. Grenzgebiet zu den Niederlanden. Plattes Kirchen-, Schlösser- und Wasserburgenland. Eine stolze Schönheit. „Wer Fantasie studieren möchte, der sollte ein paar Semester an den Niederrhein kommen“, hat der Kabarettist Hanns Dieter Hüsch gesagt. Er muss es wissen. Denn Niederrhein ist keine Gegend, sondern eine Haltung.

 

Schwanenburg und schöne Parks

Die Schwanenburg ist das Wahrzeichen der Stadt Kleve. Ihr Name soll von jenem Schwanenritter stammen, den die traurige, gleichwohl heiratslustige Prinzessin Beatrix zum Mann nehmen wollte. Der Ritter stimmte zu. Bedingung: Sie dürfe ihn nie nach seinem Namen und seiner Herkunft fragen. Doch Beatrix war zu neugierig . . .

1663 hatte Johann Moritz von Nassau-Siegen die 1439 eingestürzte Burg im Stil des niederländischen Barock umbauen lassen. Doch Kleve hat weit mehr zu bieten als einen weiten Blick vom Schlossturm. 1741 wurde die Mineralquelle am Springenberg entdeckt, wodurch die Stadt zu Bad Cleve wurde. Die beeindruckenden Kuranlagen wurden in der Blütezeit Mitte des 19. Jahrhunderts ausgebaut, bevor die Quelle 1914 versiegte. Das einstige Kurhaus, über das Gästeführerin Elisabeth Thönissen viel zu erzählen weiß, ist heute ein Museum.

Schloss Moyland und Beuys

Ein Denkmal für den Mann mit dem Hut: für Joseph Beuys, den berühmtesten Künstler-Sohn Kleves. In Moyland trafen sich schon 1740 Voltaire und Friedrich der Große. Die letzten Kämpfe des Zweiten Weltkrieges überstand das Schloss bis zum Einmarsch der Alliierten im Februar 1945 relativ unversehrt. Feldmarschall Bernard Montgomery nahm Quartier im Schloss. Nach dem Abzug der Briten ging fast die gesamte kostbare Innenausstattung durch Raub und Vandalismus kanadischer Soldaten verloren. Das Schloss wurde schwer verwüstet. Eine provisorische Reparatur wurde von einem Brand 1956 zunichtegemacht, sodass die Gebäude allmählich verfielen. Erst 1997 wurde das Schloss mit wundervoller Parkanlage aufwendig restauriert und zum kulturellen Leuchtturm.

Schlösser Wissen und Hertefeld

Seit über 550 Jahren lebt die Familie von Schlossherr Raphael Freiherr von Loe auf dem prächtigen Wasserschloss Wissen und wirtschaftet dort im Sinne der Nachhaltigkeit und christlichem Unternehmertum – inklusive Holzproduktion und Hotellerie in der kleinen Dorfsiedlung, die den Namen „Boye“ trägt. Ein idealer romantischer Startpunkt für Wanderungen und Radtouren.

Tradition wird auch wenige Kilometer entfernt auf Schloss Hertefeld an den Ufern der Niers groß geschrieben. Mitte der 1990er Jahre wurde die Ruine entschuttet und die zum Teil aus dem 16. Jahrhundert stammende Rest-Substanz erhalten. Dabei wurden der historische Hauptturm und der Mitteltrakt durch die mittlerweile 23. Familiengeneration wieder aufgebaut. Mittlerweile zeigt sich auch der knapp fünf Hektar große Schlosspark in voller Pracht.

Nikolaikirche in Kalkar

„Hier lebt der Niederrhein“: Kalkars Slogan passt genau auf ein Städtchen, das mit seinen schmalen Giebelhäusern um den Marktplatz, einer Bierbrauer-Windmühle, der uralten bis ins Jahr 1575 dokumentierten Gerichtslinde, des spätgotischen Rathauses und der Nicolaikirche, deren Bau 1230 begonnen wurde, eine ganz besondere Ausstrahlungskraft hat. Ihre neun (von ursprünglich 17) Altäre erzählen mit einer fast unübersehbaren Szenenfülle aus dem Leben Jesu biblische Geschichte. Und wenn dann eine Expertin wie Helene Meurs durch die Figurenreihen und Reliefs der alten Meister wie Arnt von Zwolle oder Hendrik Douvermann führt, auf versteckte Anspielungen und regionale Eigenheiten hinweist, dann springt den Besucher jene religiöse Wucht und Leichtigkeit an, die das katholische Leben am Niederrhein seit Jahrhunderten prägt.

Draisine und Fahrräder

Wer hinfährt, muss auch wieder zurückfahren, sagt Grenzland-Draisine-Geschäftsführer Gerd Scholten lächelnd. 13 Wagen zu 14 Personen und 22 für Paare (p. P. 16 Euro) fahren über die stillgelegten Bahnschienen von Kleve entweder ins zehn Kilometer entfernte Kranenburg an der Düffel (Fahrzeit 75 Minuten) oder grenzüberschreitend 5,5 Kilometer ins niederländische Groesbeek (45 Minuten).

Nebenan verläuft einer der vielen gepflegten Radwege. Entschleunigung im Fahrradsattel. Rund 1500 umfasst das Radwegenetz im Kreis Kleve, in dem auf 1000 Kilometern ein Knotenpunktsystem, Lenkerkarten und 160 Hinweistafeln die Radtouristen sicher von Ziel zu Ziel leiten – inklusive 118 E-Bike-Ladestationen.

Wallfahrt und Hostienbäckerei

Die Gnadenkapelle der Heiligen Maria in Kevelaer, 1642 vom Kiepenkerl Hendrick Busman legendenumwoben erbaut, ist einer der größten Wallfahrtsorte Deutschlands. Rund 700 000 Pilger kommen jedes Jahr zur „Trösterin der Betrübten“. Ob Motorradfahrer, Tamilen oder Karnevalisten. Um den Platz vor der prachtvollen Basilika gruppieren sich Priesterhaus, Kerzen- und Beichtkapelle.

Zehn Millionen Hostien backt Thomas Held im Jahr. Wasser und Weizenmehl, ungesäuert. Zu 1,6 Cent pro Stück. Rund 6000 Kinder und 4000 Erwachsene finden Jahr für Jahr den Weg hierher. Ministranten, Kommunionskinder, Pilger. Dann erklärt der tiefgläubige Christ, wie die Hostien hergestellt werden und warum sie so unterschiedlich sind.

Wunderland und Irrland

Dieses Irrland schreibt sich mit zwei r. Was als Maisfeld-Labyrinth begann, zählt längst zu den Top-Attraktionen am Niederrhein. Ein Grill- und Salatparadies mit Rutschen und Luftkanonen südwestlich von Kevelaer. Auf 300 000 Quadratmetern zu zivilen Eintrittspreisen (p.P. 7,50 Euro). Würste und Steaks kann man zu einem der 200 Grills mitbringen. Ohne Online-Vorbestellung aber geht nichts. Keine Tageskasse. Hunde verboten.

Vor den Toren Kalkars liegt der andere Freizeitpark: das Wunderland mit dem Alpenkulisse-Kühlturm des früheren Schnellen Brüters, der heute eine Kletterwand ist. 6,5 Milliarden Euro hatte der Atommeiler gekostet – um nie in Betrieb zu gehen. Heute ist das Wunderland ein Muss für Familienausflüge.

Info

Bahn: über Düsseldorf und Krefeld nach Kleve, www.bahn.de; mit dem Auto über A 3, Abfahrt Emmerich, und dann A 57, Abfahrt Kleve.

Kleve: Hotel Rilano (4 Sterne), Business-Hotel im Zentrum, DZ/F ab 100 Euro, www.rilano-hotel-kleve.de; Weeze: Hotel Schloss Wissen (4 Sterne), DZ ab 90 Euro, www.schloss-wissen.de; Kalkar: Landhaus Beckmann (4 Sterne), früheres Bauernhaus, DZ ab 80 Euro, www.landhaus-beckmann.de.

Kevelaer-Führungen (6 Euro p. P.): www.kevelaer-tourismus.de; Übertragung der Vorabendmesse  aus der Basilika, samstags um 18.30 Uhr: www.ewtn.de;Hostienbäckerei (Kinder 6 Euro, Erwachsene 8 Euro je nach Gruppen): www.hostie.de; Freizeitpark Irrland: www.irrland.de; Familienpark Wunderland: www.wunderlandkalkar.eu; Wander- und Radwege: www.wfg-kreis-kleve.de; www.wachtendonk.de; www.uedem.de; www.straelen.de; www.kranenburg.de; www.stadt-rees.de; www.kerken.de; www.issum.de; www.geldern.de; www.goch.de; www.emmerich.de.Schloss-Touren: Schloss Moyland (www.moyland.de); Schloss Wissen (http://schloss-wissen.de); Schloss Hueth (www.fewo-schloss-hueth.de); Schwanenburg (www.kleve.de/wirtschaft-tourismus/tourismus/sehenswert/schwanenburg); Burg Boetzelaer (www.burgboetzelaer.de)

www.kreis-kleve.de;

Niederrhein Tourismus, http://niederrhein-tourismus.de; Nordrhein-Westfalen Tourismus, www.nrw-tourismus.de