Unterschätzte Strahlenbelastung Land weist Radonrisikogebiete aus
Das Landesumweltministerium muss bis Ende 2020 die Gebiete ausweisen, in denen das radioaktive Gas vermehrt vorkommt. Jetzt startet die Behörde eine Informationskampagne.
Das Landesumweltministerium muss bis Ende 2020 die Gebiete ausweisen, in denen das radioaktive Gas vermehrt vorkommt. Jetzt startet die Behörde eine Informationskampagne.
Stuttgart - Das radioaktive Radon gilt nach dem Rauchen als zweithäufigste Ursache von Lungenkrebs. Das Landesumweltministerium startet deshalb eine breit angelegte Aufklärungskampagne zu den Gefahren dieses Edelgases, das im Boden entsteht und sich in Gebäuden in gesundheitsschädlichen Mengen ansammeln kann – je nach Beschaffenheit des Untergrunds und Abdichtung der Häuser. Als Auftakt ist für den 9. September eine Informationsveranstaltung im Rathaus vorgesehen. Landesumweltminister Franz Untersteller (Grüne) folgt damit einer Verpflichtung, die der Bundesgesetzgeber den Behörden 2017 im neuen Strahlenschutzgesetz auferlegte. Die Bevölkerung sei „in geeigneter Weise über die Exposition durch Radon in Aufenthaltsräumen und die damit verbundenen Gesundheitsrisiken“ zu unterrichten, heißt es im Gesetz. „Wir nehmen das sehr ernst“, sagte Alexander Eisenwiener, der Strahlenschutzexperte im baden-württembergischen Umweltressort.
Derzeit laufen die Vorbereitungen für eine breit angelegte Messkampagne im Land, mit der die Radonverhältnisse im Südwesten genauer untersucht werden sollen. Hintergrund der Aktion: Für ganz Deutschland müssen bis Ende kommenden Jahres sogenannte Radonvorsorgegebiete – man könnte auch sagen: Risikogebiete – festgelegt werden, in denen mit erhöhten Radonwerten zu rechnen ist.
Ein Radonvorsorgegebiet ist dann auszuweisen, wenn in einer Verwaltungseinheit – das wird im Südwesten voraussichtlich die Gemeinde sein – auf drei Viertel der Fläche in mindestens jedem zehnten Gebäude der gesetzliche Referenzwert von 300 Becquerel pro Kubikmeter Atemluft überschritten wird. Das bedeutet, das mehr als 300 Radonatome in der Sekunde zerfallen. Gefährlich ist nicht das Radon selbst, das gewissermaßen „bindungsunfähig“ ist und deshalb so, wie es eingeatmet wird, auch wieder ausgeatmet wird. Gefährlich sind vielmehr die Radonzerfallsprodukte, die sich an feinste Staubpartikel in der Luft anheften und, einmal in die Lunge gelangt, dort verbleiben und unheilvoll vor sich hin strahlen. Dann entsteht unter Umständen Lungenkrebs. Eine unschädliche Radonkonzentration gib es nicht. Statistisch steigt das Lungenkrebsrisiko bereits bei einem langjährigen Mittelwert von 100 Becquerel pro Kubikmeter Atemluft.
Wie gelangt das Radon aus dem Untergrund in ein Gebäude? Über Risse in den Kellerwänden oder kleine Spalten in der Bodenplatte. Über Fugen, Rohrleitungen oder schlicht die Kellertreppe gelangt es ins Erdgeschoss. Radon ist schwerer als Luft, kann aber über den Unterdruck, der durch das Aufsteigen der warmen Luft entsteht, nach oben gelangen. Im Freien beträgt die Konzentration nur zwischen einem und 30 Becquerel pro Kubikmeter Luft. Man kann das Gas nicht riechen, nicht sehen und nicht schmecken, es ist aber recht einfach zu messen; dies mithilfe von kleinen Messdosen, die über das Internet bei einem zertifizierten Messlabor erhältlich sind. Diese Detektoren werden mit Anleitung geliefert. In einem (Keller-)Raum abgelegt, bedürfen sie keiner weiteren Aufmerksamkeit. Nach einem Jahr werden die Messdosen an das Labor zurückgeschickt, um dort ausgewertet zu werden. Die ganze Messaktion kostet laut Landesumweltministerium zwischen 30 und 50 Euro, die Auswertestellen finden sich auf der Internetseite des Bundesamts für Strahlenschutz.
Das Bundesamt für Strahlenschutz hat bereits eine erste Radonkarte für Deutschland erstellt, die auf 2346 Messpunkten beruht, davon 352 in Baden-Württemberg. Die Problemzonen liegen in Bayern und Sachsen, der Südwesten ist weniger betroffen, aber auch hier finden sich Regionen mit deutlich erhöhten Bodenwerten, zum Beispiel in Südbaden. Nach Angaben des Umweltministeriums führten Messungen in Lörrach zu Schulsanierungen, ein Kindergarten wurde umquartiert. Radon ist ein kleinräumiges Phänomen. Auch auf dem Stuttgarter Killesberg wurden Radonkonzentrationen gemessen, die im gesundheitsrelevanten Bereich lagen.
Nach vorläufigen Schätzungen des Bundes könnten im Südwesten etwa zehn Prozent der Gemeinden zu Radonvorsorgegebieten avancieren. In diesen Gebieten müssen laut Strahlenschutzverordnung des Bundes bei Neubauten bestimmte Standards eingehalten werden, um ein Eindringen von Radon zu verhindern. Arbeitgeber sind verpflichtet, an allen Arbeitsplätzen in Keller- und Erdgeschossen die Radonkonzentration zu messen. Sie müssen die Beschäftigten und die Betriebs- und Personalräte über die Ergebnisse informieren. Die Details finden sich in der Strahlenschutzverordnung des Bundes, die Ende 2018 in Kraft trat.