Startups versus etablierte Firmen – dieses Zusammentreffen gibt es in Deutschland immer häufiger. Doch was macht die unterschiedlichen Kulturen aus? Ein Gastbeitrag von Adrian Thoma, der als Berater solche Begegnungen ermöglicht und moderiert.

Stuttgart - Laut dem Deutschem Startup-Monitor kooperiert bereits die Hälfte aller Startups hierzulande mit etablierten Unternehmen. Der Grund scheint klar: innovative Ideen, disruptive Geschäftsmodelle und Technologien auf der einen Seite, scheinbar unbegrenzte Ressourcen, Kundenzugänge und Markt-Know-How auf der anderen Seite. Auf den ersten Blick klingt dies nach einer klassischen Situation, in der alle Beteiligten nur gewinnen können. Das Schnellboot im Kielwasser des Tankers.

 

Doch ist das wirklich so? Was passiert, wenn etablierte Unternehmenswelt auf Startup-Denke trifft? Wenn seit Jahren funktionierende Prozesse und Mechanismen mit „Was-kann-schon-schiefgehen“-Mentalität zusammen prallen. Wenn sich Anzug und Kapuzenpulli kreuzen. Ein paar Beobachtungen aus der Praxis:

Startups versus etablierte Firmen: Perfektion trifft Experiment

„Das Beste oder Nichts“ war auf lange Jahre die Maxime des schwäbischen Autobauers Daimler. Und im Grunde genommen könnte man diesen Leitspruch auf die allermeisten, zu Recht stolzen mittelständischen Unternehmen im Land übertragen. Dort wo Bremskraftverstärker, Antiblockiersysteme oder Sicherheitsgurte entwickelt, gefertigt und produziert werden ist Null-Fehler-Toleranz – Gott sei Dank – die ultimative Parole, die am Ende zwischen Leben und Tod entscheidet. Quick and dirty? Also „schnell und schmutzig“, wie das im Startup-Jargon heißt?

Völlig zu Recht ist das Fehlanzeige. Reid Hoffmann, Gründer der Kontaktvermittlungsplattform Linkedin, empfiehlt Startup-Gründern hingegen: „Wenn Dir die erste Version Deines Produktes nicht peinlich ist, hast Du es zu spät auf den Markt gebracht“. Oder anders: „Das Beste“ kann warten. Nur wer am schnellsten am Markt ist und mit seinen Kunden lernt, der hat die Chance auf ein erfolgreiches Produkt. Das kommt daher, dass Startups oftmals in digitalen, noch unbekannten Geschäftsmodellen aktiv sind, in denen die Mechanismen von Kundenspezifikation und langjähriger Projektplanung aufgrund des Ungewissen nicht mehr greifen.

Die beste Kundenlösung kann nicht erst ausgedacht, entwickelt, gefertigt, produziert und schließlich vermarktet werden. Es muss viel mehr alles parallelisiert werden: während man vom Kunden mit einem aktiven Produkt am Markt lernt, fließen die Lernergebnisse in die parallel hochlaufende agile Entwicklungs- und Produktionsumgebung ein.

Zweckgemeinschaft versus Sinngemeinschaft

„Nun prüfe, wer sich ewig bindet“ sagt eine Lebensweisheit. Und das gilt nicht nur für Ehe- sondern auch für Startup-Versprechen. Gemeinsam gründen ist die wohl verbindlichste Form des wirtschaftlichen Zusammenarbeitens und eine Trennung im Gründerteam oftmals mit dem Scheitern des ganzen Startups verbunden – fast ein Viertel der Startups scheitert an der Team-Frage. Business Angels – also Investoren, welche diese jungen Unternehmen in der Frühphase begleiten – schauen zu diesem Zeitpunkt viel mehr auf das Team und was dieses zusammenhält als auf die Ausarbeitung der Idee.

Innovationsprojekte in etablierten Unternehmen hingegen sind oft Zweckgemeinschaften auf Zeit. Je größer die Organisation desto verbreiteter die Überzeugung, dass jeder austauschbar ist – oder es jedenfalls prinzipiell sein sollte. Bei Geschäftsmodellen, die schon eine gewisse Größenordnung erreicht haben, ist das ja auch sinnvoll. Ein Unternehmen mit mehreren tausend Mitarbeitern will nicht von einigen wenigen abhängig sein, zumal Fluktuation und karrierebedingte Wechsel – anders als beim Startup-Team – zur absoluten Normalität gehören und im Grunde auch gewollt sind.

Generalmobilmachung versus Laserfokus

Ein Problem von großen Organisationen ist oftmals die Verfügbarkeit von Ressourcen. Wie bitte? Richtig gelesen. Je wichtiger, je strategischer ein Thema ist, je weniger man sich ein Scheitern erlauben kann, desto mehr Ressourcen, Experten, Geld und Aufmerksamkeit werden reingesteckt. Es kommt einer Generalmobilmachung gleich. Schwierig wird diese Vorgehensweise nur dann, wenn noch gar nicht klar ist, was am Ende herauskommen kann, wenn Zielkunde, Geschäftsmodell, Produktvariante oder Vertriebswege völlig neu und unerforscht sind. Dann greift oft eine weit verbreitet Krankheit: das Überfrachten mit Anforderungen. Kundennutzen? Überschaubar. Mitteleinsatz? Gewaltig.

Startups sind es in der Regel dagegen gewohnt mit Ressourcenknappheit umzugehen. Es fehlt an Geld, Infrastruktur und Manpower. Die einzige Lösung ist: mit Laserfokus und minimalinvasiv an die Sache rangehen und vom Kunden durch Einsatz von kleinen und schnell durchführbaren Prototypen lernen. Dann das Ganze Schritt für Schritt weiterentwickeln. Dadurch entstehen am Ende oft Produkte, die mit wesentlich weniger Mitteleinsatz das eigentliche Kundenbedürfnis viel besser treffen.

Abstimmung versus Pragmatismus

„Das kann ich leider nicht entscheiden“, „Da muss die Rechtsabteilung nochmal eine Auge drauf werfen“, „Wir besprechen das nochmal in der Projektgruppe und melden uns dann“. Typische Aussagen in Organisationen, die ein etabliertes Geschäftsmodell betreiben. Möglicherweise ist das ja auch eine gute Haltung, denn es heißt ja auch ein bereits laufendes System einfach weiterlaufen zu lassen. Also ja nichts falsch machen, es könnte ja das Funktionierende belasten. In Startups ist das krasse Gegenteil der Fall. Stillstand bedeutet den Tod. Jede Entscheidung ist besser als keine Entscheidung.

Bevor man jetzt beim Vergleich Startups versus etablierte Firmen erstere zu sehr glorifiziert: dort ist es ja auch leichter, da die Gründerin oder der Gründer – also Entscheider – oftmals auch nah dran ist an dem Ort an dem Entscheidungen getroffen werden müssen und bei Startups viel weniger auf dem Spiel steht.

Startups versus etablierte Firmen – ein Fazit

Wenn man genau hinschaut, sind die teilweisen konträren Verhaltensweisen oftmals dem Umstand geschuldet, dass es sich um unterschiedliche Organisationsgrößen und Reifegrade der jeweiligen Geschäftsmodelle handelt. Es macht Sinn, eine Organisation mit 100 000 Beschäftigten und einem internationalen skalierten, (noch) erfolgreichen Geschäftsmodell anders zu betreiben als ein kleines Startup-Team auf der Suche nach dem ersten Produkt, das sich anschließend erfolgreich und skaliert vermarkten lässt.

In Bezug auf die Innovationsfähigkeit von etablierten Unternehmen glaubte man bislang, man müsse diese beiden Organisations- und Kulturmodelle strikt voneinander trennen. So genannte Digital Labore sollten fernab des Kerngeschäfts in Ruhe gelassen werden, um erfolgreich neue Geschäftsmodellinseln aufzubauen. Die wahre Kraft liegt allerdings in der Fähigkeit, beide Modelle – das eines etablierten Geschäftsmodells und das eines agil handelnden Startups – unter einem Dach zu vereinen. In der Integration liegt beim Thema Startups versus etablierte Firmen auf lange Sicht die nachhaltige Überlebensfähigkeit.

Über den Autor

Adrian Thoma ist Gründer und Geschäftsführer von Pioniergeist. Dieses Stuttgarter Beratungsunternehmen hat sich auf den Aufbau von jungen Firmen spezialisiert und bietet mit eigenen Räumlichkeiten für sie in der Stadt auch eine Anlaufstelle. Pioniergeist hat sich zum Ziel gesetzt, Startups so weit zu bringen, dass sie für Investoren attraktiv sind und schnell wachsen können. Man will unternehmerische Führungsfähigkeit vermitteln und etablierte Unternehmen in der digitalen Revolution begleiten. Das Thema Startups versus etablierte Firmen gehört hier zentral dazu.

Außerdem ist Adrian Thoma Mit-Initiator der Gründermotor Initiative, bei der es darum geht interdisziplinäre, studentische Startup Teams investorenreif zu machen. Auch politisch setzt sich Adrian Thoma für Startups ein: er ist Mitglied im Bundesvorstand des Bundesverbands Deutsche Startups e.V. sowie im Startup BW Think Tank von Wirtschaftsministerin Dr. Nicole Hoffmeister-Kraut.