In der Corona-Krise bleibt ein Großteil der Ticketeinnahmen aus, weshalb viele Profivereine auf die Unterstützung des Bundes angewiesen sind. Zugleich machen auch die Clubs aus der Region Stuttgart die Erfahrung, dass die bürokratischen Hürden sehr hoch sind. Haben deshalb erst 56 Vereine die Hilfe beantragt?

Stuttgart - Die Versprechen klangen gut. Und beruhigend. Anfang Juli, als die Unsicherheit im deutschen Sport groß und der Blick in die Zukunft düster war, schnürte der Bundestag ein 200 Millionen Euro schweres Hilfspaket für Vereine aus der ersten, zweiten und dritten Liga (im Fußball nur dritte Liga) – als Entschädigung für entgangene Zuschauereinnahmen zwischen April und Dezember. Bis zu 80 Prozent der fehlenden Ticketerlöse sollen erstattet werden, maximal 800 000 Euro pro Club. Längst im Spiel war zu diesem Zeitpunkt eine weitere Nothilfe: Die Stadt Stuttgart hatte vier Wochen zuvor angekündigt, ihre Bundesligisten bei Bedarf mit insgesamt einer Million Euro zu unterstützen. Nun, ein Vierteljahr später und womöglich zu Beginn einer zweiten Corona-Welle, stellt sich die Frage: Was ist aus diesen Versprechen geworden?

 

Bisher gingen beim Bundesverwaltungsamt in Köln erst 56 Anträge ein, die Summe der angeforderten Staatshilfe liegt aktuell bei 16 893 698,27 Euro. Oder anders ausgedrückt: Sollten die bisher beantragten Gelder komplett bewilligt werden, liegen noch fast 183 Millionen Euro im Topf – mehr als 90 Prozent der in Aussicht gestellten Unterstützung. Die Antragsfrist endet am 31. Oktober. Auch für die Clubs aus der Region Stuttgart.

Allianz MTV Stuttgart

Aktuell dürfen die Stuttgarter Bundesliga-Volleyballerinnen vor 500 Zuschauern spielen, die Sponsoreneinnahmen sind einigermaßen stabil. „Wir müssen trotzdem kämpfen, die Situation bleibt kritisch. Erst recht, weil niemand weiß, wie sich die Corona-Lage entwickelt“, sagt Geschäftsführer Aurel Irion, „nur wenn wir Hilfen für die fehlenden Ticketeinnahmen erhalten, werden wir einigermaßen über die Runden kommen.“ Der Verein hat sich beim Bundesverwaltungsamt in Köln registriert, nun geht es darum, das Minus zu definieren. Nach dem Abbruch der Saison im März gab es keine Play-off-Spiele, derzeit müssen in der Scharrena 1750 Plätze frei bleiben – insgesamt dürften sich die Ausfälle für 2020 auf einen niedrigen sechsstelligen Betrag addieren. „Das ist keine Unsumme“, erklärt Irion, „und doch ein Bereich, in dem es für uns existenziell werden kann.“ In normalen Zeiten machen die Ticketerlöse rund 20 Prozent des 1,8-Millionen-Euro-Etats aus, ungefähr 75 Prozent kommen von den Sponsoren, fünf Prozent sind TV-Einnahmen.

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Um an die staatliche Hilfe zu kommen, müssen hohe bürokratische Hürden übersprungen werden – sie können zum Beispiel nur von einem Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer beantragt werden, die Vereine müssen ihre Bilanzen offenlegen, zahlreiche Dokumente liefern und Nachweise erbringen, etliche Formulare ausfüllen. „Einerseits ist das richtig, weil auch wir nicht wollen, dass Steuergelder verschwendet werden“, meint Irion, „andererseits ist der Aufwand enorm. Zumal wir erst mal jemanden bezahlen müssen, der den Antrag stellt, ohne zu wissen, was am Ende bei uns ankommt.“

Der Geschäftsführer der Volleyballerinnen hat sich übrigens auch bei der Stadt Stuttgart erkundigt, was aus deren Hilfsprogramm geworden ist: „Wir haben das Signal erhalten, erst mal beim Bund nachzufragen“, sagt Irion, den diese Auskunft nicht überrascht hat: „Mir war schon klar, dass das alles nicht einfach gehen wird.“

TVB Stuttgart

Der Schock war groß. Äußerst kurzfristig hatte der Handball-Bundesligist erfahren, dass das Heimspiel gegen TuSEM Essen am vergangenen Mittwoch in der Porsche-Arena statt vor 930 doch nur vor 500 Zuschauern stattfinden darf. „Bei allem Verständnis für die Pandemiebekämpfung, ein Minimum an Planungssicherheit brauchen wir“, sagt Geschäftsführer Jürgen Schweikardt. Für seinen Club wären selbst 1200 Zuschauer ein Zuschussgeschäft gewesen, doch der TVB will so vielen Fans wie möglich den Besuch der Spiele ermöglichen. Unabhängig davon hat der Verein Bundeszuschüsse über einen vereidigten Steuerberater beantragt. „Die bürokratischen Hürden“, sagt Schweikardt, „sind schon enorm hoch.“

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Das Hilfspaket hält er für dringend notwendig. Zwischen 20 und 25 Prozent des Gesamtetats in Höhe von rund 4,5 Millionen Euro machen die Ticketeinnahmen aus, auch die Sponsorenleistungen (70 Prozent des Etats) sind teilweise mit dem Besuch der Heimspiele verbunden. „Uns ist die Geschäftsgrundlage abhandengekommen. Deshalb ist es erfreulich, dass die Politik unsere Nöte sieht“, sagt Schweikardt, „wir sind gespannt, was von der Unterstützung am Ende wirklich bei uns ankommt. Verbindlich planen können wir mit dem Geld jedenfalls nicht.“ Um welche Summe es beim TVB geht? „Ich kann den Betrag nicht genau abschätzen“, meint Schweikardt, „aber wir sind schon auf eine signifikante sechsstellige Summe angewiesen.“

MHP Riesen Ludwigsburg

Auch der Basketball-Bundesligist hat staatliche Unterstützung beantragt, wie Sprecher Lukas Robert bestätigt: „Selbstverständlich hoffen wir, dass die Gelder zeitnah ausgeschüttet werden. Sollte sich die Unterstützung verzögern, wäre dies zwar eine weitere Herausforderung, gleichwohl kalkulieren wir aber bereits seit Jahren sehr konservativ und haben zudem gut gewirtschaftet.“

Die BBL hatte schon früh auf die Auswirkungen der Corona-Krise reagiert: Die Vereine mussten für die Lizenzerteilung zur Saison 2020/21 (Start am 6. November) keine Mindestetats von drei Millionen Euro mehr aufweisen, sondern nur ein ausgeglichenes Ergebnis präsentieren. Auch die vorgeschriebene Anzahl von hauptamtlich Beschäftigten ist reduziert. Zudem war die Erteilung der Lizenz nicht an die Auslastung der Hallen gebunden. In normalen Spielzeiten machen in der BBL die Zuschauereinnahmen, ähnlich wie beim Handball, 25 bis 30 Prozent des Gesamtetats aus.

Adler Mannheim

Beim siebenmaligen DEL-Champion Adler Mannheim herrscht Fassungslosigkeit. Bei allen 14 Eishockey-Erstligisten stellen die Ticketverkäufe die wichtigste Einnahmequelle dar, zwischen 60 und 70 Prozent des Etats werden damit gedeckt. Die Abstandsregeln in Baden-Württemberg von 1,5 Metern führen jedoch dazu, dass von den rund 13 000 Plätzen in der SAP-Arena lediglich 1200 belegt werden dürfen. „Wir hätten kostenlos FFP2-Masken ausgegeben, wenn wir so den Mindestabstand hätten unterschreiten dürfen“, sagt Adler-Geschäftsführer Matthias Binder, „das wurde abgelehnt. Dabei gibt es in jeder Straßenbahn mit Stoffmasken und Schals schlechtere Verhältnisse, auch die 1,5 Meter sind nicht gewährleistet.“

Für einen wirtschaftlich sinnvollen Spielbetrieb benötigen die Adler einen Schnitt von 8500 bis 9000 Fans, mit den zugelassenen 1200 ist ein Etat von schätzungsweise zwölf Millionen Euro nicht im Ansatz zu decken. Daher verhandeln die Mannheimer derzeit mit den Profis über einen weiteren Gehaltsverzicht, 25 Prozent der Einkünfte sind dem Club bereits gestundet. Darüber hinaus prüft der Verein, ob er für die staatliche Hilfe von 800 000 Euro infrage kommt. „Da liegt der Teufel im Detail, wir lassen uns aktuell von Experten beraten, ob wir zuschussberechtigt sind“, sagt Binder, „aber im Grunde müssen wir in unserer Situation den Antrag stellen.“ Doch selbst wenn das Geld fließen sollte: Ein Betrag in dieser Größenordnung hilft den Adlern nur eine kurze Zeit über die Runden.