Im Rems-Murr-Kreis begleiten Ehrenamtliche wie Annette Gunser Menschen nach einem Schlaganfall. Eine Hilfe, die Halt gibt – wenn alles zusammenzubrechen droht.

Rems-Murr : Frank Rodenhausen (fro)

Es beginnt oft mit einem leichten Taumeln, einer verwaschenen Aussprache – dann ist plötzlich alles anders. Ein Schlaganfall kann von einer Sekunde auf die andere das ganze Leben auf den Kopf stellen. Und auch wenn die medizinische Versorgung oft gut funktioniert: Nach dem Klinikaufenthalt beginnt für Betroffene und Angehörige eine Phase voller Fragen, Unsicherheiten – und einer bedrückenden Leere.

 

Genau hier setzt ein Projekt im Rems-Murr-Kreis an, das vor gut anderthalb Jahren an den Start gegangen ist: Ehrenamtliche Schlaganfall-Helferinnen und -Helfer begleiten Betroffene auf ihrem Weg zurück in ein neues Leben. Pragmatisch, einfühlsam, bestärkend.

Ein Ereignis, das alles verändert

Ein Beispiel, das der Kreisverband des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) Rems-Murr schildert, zeigt, wie konkret diese Hilfe aussieht: Die Geschichte von Jens und Kerstin Fischer ist eine Geschichte von Zusammenbruch – und Wiederaufbau. Im April 2023 erleidet Jens während eines Urlaubsessens einen schweren Hirnstamminfarkt. Ein Moment, nach dem nichts mehr ist, wie es war.

Die folgenden Monate sind für seine Frau Kerstin ein einziger Ausnahmezustand: Klinikbesuche, Anträge, Reha-Termine, Rückschläge. „Man wächst in diese Situation hinein“, sagt sie heute. Aber alleine? Kaum zu schaffen.

Begleitung auf dem langen Weg zurück ins Leben

Hoffnung kam mit einem Namen: Annette Gunser. Die frühere Krankenschwester und Geschäftsführerin eines Sanitätshauses bringt alles mit, was man in dieser Lage braucht: Fachwissen, Herz und Tatkraft. Seit Februar 2024 begleitet sie die Familie Fischer ehrenamtlich und gibt Halt, wo der Boden zu wanken droht.

„Annette war an unserer Seite, als wir sie am dringendsten brauchten“, sagt Kerstin Fischer. Sie wurde zur Ratgeberin, Mutmacherin, zur Freundin. Mal geht sie mit Jens spazieren, mal hilft sie beim Umgang mit Ämtern oder berät zu Hilfsmitteln. „Nach meinen ersten Einsätzen habe ich gespürt, wie wichtig es ist, Menschen in dieser schwierigen Phase nicht allein zu lassen“, sagt Gunser.

Schlaganfall-Helferin Annette Gunser (rechts) unterstützt Jens und Kerstin Fischer. Foto: DRK/Christian Siekmann

Das, was die Familie Fischer erlebt hat, ist kein Einzelfall. Rund 270 000 Menschen erleiden in Deutschland jedes Jahr einen Schlaganfall. Viele davon bleiben dauerhaft eingeschränkt, benötigen Betreuung, Unterstützung, Orientierung.

Schlaganfallhilfe im Rems-Murr-Kreis: Das Modellprojekt

Hier setzt das Pilotprojekt im Rems-Murr-Kreis an, das gemeinsam vom DRK-Kreisverband Rems-Murr, den Rems-Murr-Kliniken und der Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe initiiert wurde. 16 Ehrenamtliche wurden im Rahmen eines intensiven Schulungsprogramms auf ihre Aufgabe vorbereitet – mit Input von Ärzten, Sozialdiensten, Therapeuten, Krankenkassen und Selbsthilfegruppen.

„Unsere Schlaganfall-Helfer kennen sich mit den regionalen Versorgungsstrukturen bestens aus“, erklärt Karin Gericke, Referentin für Wohlfahrts- und Sozialarbeit beim DRK Rems-Murr. „Sie helfen beim Abbau bürokratischer Hürden, beraten zu Pflegeleistungen und Hilfsmitteln und sind einfach da – wenn andere längst wieder weitergezogen sind.“

Schlaganfall-Betreuung mit persönlicher Note

Der Weg zurück ins Leben ist für Betroffene wie Jens Fischer oft ein mühsamer. Die Prognosen waren düster: „Ihr Mann wird nie wieder selbstständig leben“, sagte ein Arzt. Doch Kerstin Fischer glaubte nicht daran. „Ich habe gespürt, dass Jens nicht aufgeben will.“

Ein Jahr später sitzt Jens im Wohnzimmer, im Rollstuhl. Die Sprache ist reduziert, der Blick wach. An der Wand Fotos von früher. Heute? Ist vieles anders. Aber nicht alles ist verloren. Der Einbau eines Treppenlifts war ein Befreiungsschlag. Die Hilfe von Annette Gunser eine tragende Säule. Der Glaube, die Familie, der Freundeskreis: alles zusammen ein Netz, das trägt.

Und doch, so betont Kerstin, sei es diese eine Verbindung gewesen, die alles veränderte: „Annette hat uns gezeigt, dass wir nicht allein sind.“

Starke Netzwerke für Patienten

Die Motivation der Helfer ist dabei so vielfältig wie ihre Geschichten. Manche wie Walter Wahl haben selbst einen Schlaganfall erlebt. Andere bringen berufliche Erfahrungen mit, wie Birgit Danielzik aus der Versicherungsbranche. Wieder andere wie Margit Kraubmann wollen im Ruhestand ihr Wissen als Sozialpädagogin weitergeben.

„Es braucht Mut, auf Menschen zuzugehen – aber es lohnt sich“, sagt Annette Gunser. In einem Gesundheitssystem, das nach der Akutversorgung oft überfordert wirkt, füllen sie eine Lücke. Eine Lücke, die nicht nur organisatorisch ist – sondern zutiefst menschlich.

Hilfe nach dem Schlaganfall

Aufgabe
Ehrenamtliche Schlaganfall-Helfer begleiten Betroffene im Rems-Murr-Kreis persönlich, menschlich, kostenlos. Sie helfen bei Anträgen, geben Orientierung im Hilfsmittel-Dschungel, stehen für Gespräche und Begleitung im Alltag zur Verfügung.

Kontakt
Ansprechpartnerin ist Karin Gericke, Referentin für Wohlfahrts- und Sozialarbeit beim DRK in Waiblingen. Sie ist telefonisch unter 0 71 91 / 95 36 91 und per E-Mail an karin.gericke@drk-rems-murr.de erreichbar. Weitere Infos unter www.drk-rems-murr.de/schlaganfall-helfer