Die Mitte der bundesdeutschen Gesellschaft ist gespalten. Und die Kluft wird immer größer. Das zeigt eine aktuelle Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Stuttgart - Wenn es eine „öffentliche Meinung“ gäbe und es sich dabei um mehr als einen abstrakten Begriff handeln würde, so wäre diese öffentliche Meinung in Deutschland schizophren. Und ihre Pole driften immer weiter auseinander. Zu diesem Schluss kommt die Friedrich-Ebert-Stiftung aufgrund von Daten, welche das Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld seit 2002 erhebt.

 

Die Wissenschaftler versuchen damit „menschenfeindliches Denken“ in der Mitte der Gesellschaft auszuloten. Ihr aktueller Befund ist uneinheitlich: Mit Blick auf die Flüchtlinge sei „die Stimmung in der Bevölkerung deutlich positiver als vielfach unterstellt“. Die große Mehrheit der Deutschen sei stolz auf unsere Demokratie (72 Prozent) und die Verfassung (77 Prozent). 61 Prozent seien auch stolz auf die Bundesrepublik als Einwanderungsland.

Jeder Zweite hat Vorurteile gegen Asylbewerber

Allerdings bekenne sich inzwischen jeder Zweite der knapp 2000 befragten Bundesbürger zu Vorurteilen gegenüber Asylbewerbern. Klassisch rechtsradikale Ansichten wie Vorbehalte gegen Fremde, Behinderte oder Homosexuelle hätten sich seit der letzten Studie dieses Projekts vor zwei Jahren nicht weiterverbreitet. Denkmuster der neuen Rechten fänden aber zunehmend Anklang: Die Islamfeindlichkeit wachse, ebenso das Misstrauen gegenüber etablierten Parteien und gegenüber der Regierung. Die Umfrageergebnisse zeigen: „Verschwörungsmythen“ und andere Ressentiments sind inzwischen zum Teil schon mehrheitsfähig.

Zur neuen Rechten zählen die Autoren der Studie unter anderem populistische Parteien wie die AfD sowie Netzwerke wie die gewaltbereiten „Hooligans gegen Salafisten“ und die vor allem bei jüngerem Publikum erfolgreiche „Identitäre Bewegung“. Das Denken, das in diesem Milieu kultiviert wird, ist ein Puzzle von Versatzstücken, die sich in unterschiedlicher Kombination finden: Verbreitet ist etwa die Ansicht, es gebe in Deutschland ein „Diktat politischer Korrektheit“, man dürfe vieles nicht mehr laut sagen. Dazu kommen vage Vorstellungen von einer „Leitkultur“, die von „deutschen Tugenden und Werten“ geprägt sei, außerdem traditionelle Gesellschaftsbilder, in denen Feminismus und Homosexualität keinen Platz haben.

Vier von zehn glauben, Deutschland werde „vom Islam unterwandert“

Fast 55 Prozent sind inzwischen der Meinung, in Deutschland dürfe man sich nicht negativ über Ausländer äußern, ohne gleich als Rassist beschimpft zu werden. 43 Prozent haben kein Vertrauen in die Regierung, glauben vielmehr, sie „verschweigt der Bevölkerung die Wahrheit“. 40 Prozent meinen, Deutschland werde „durch den Islam unterwandert“. Das ist die zentrale These der Pegida-Demonstranten. Deren Weltsicht teilen mithin so viele Menschen wie vor vier Jahren die Partei der Kanzlerin gewählt haben. Insgesamt tendierten 28 Prozent der Bevölkerung zu den Einstellungen der neuen Rechten, Frauen häufiger als Männer und Menschen mit geringerer Bildung eher als Akademiker. Unter den Leuten, die solchen Denkmustern zuneigen, sind auch mehr für klassisch rechtsextreme Phrasen anfällig: für Nationalismus, Antisemitismus und die Verharmlosung von Naziverbrechen.

„Die AfD hat sich zu einem parteipolitischen Dach neurechter und rassistischer Protestmilieus entwickelt“, heißt es in der Studie. Deren Publikum wächst weiter. 25,8 Prozent finden deren Politik überzeugend oder könnten sich vorstellen, sie zu wählen (2014 waren es 24,9). Die Studie registriert einen „deutlichen Anstieg rechtsextremer Einstellungen bei AfD-Sympathisanten“. Zusammenfassend heißt es: „Die Menschenfeindlichkeit ist eine Brücke in die Mitte der Gesellschaft.“