Hinter dem Begriffspaar „Cum-Ex“ und „Cum-Cum“ verbirgt sich ein Wirtschaftskrimi mit Milliardenverlusten für den Staat. Der Untersuchungsausschuss des Bundestags, der mehr herauszufinden versucht hat, beendet nun seine Arbeit.

Berlin - Wenn Aktionäre auf einer Hauptversammlung die Höhe der Dividende festlegen, ist das im Börsenjargon der „Ex“-Tag. In den Genuss einer Ausschüttung kommt immer derjenige, der tags zuvor Unternehmenspapiere besaß. „Cum“-Tag sagen Finanzexperten dazu. Und sie haben rund um die beiden Tage ein lukratives Steuersparmodell zulasten der Steuerzahler entwickelt, das als Cum-Ex-Geschäft bekannt geworden ist.

 

Es lief darauf hinaus, dass Aktien um den Stichtag herum den Besitzer wechselten, um die Behörden zu verwirren. Obwohl auf eine Dividende nur einmal Kapitalertragsteuer abgeführt wurde, konnten Banken viele Bescheinigungen über angeblich gezahlte Steuern ausstellen, was zu geringeren Abgabenlasten an anderer Stelle oder Erstattungen führte. Den Gewinn teilten sich Käufer und Verkäufer.

Der Untersuchungsausschuss des Bundestags, der die Geschichte dieses Skandals untersucht, Versäumnisse von Politik und Bankenaufsicht aufdecken und Lehren daraus formulieren soll, biegt nun nach gut einem Jahr Arbeit auf die Zielgerade ein. Die Befragung von 79 Zeugen in 42 Sitzungen ist abgeschlossen, gehört wurden unter anderen Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) und sein Amtsvorgänger Peer Steinbrück von der SPD. Das Gremium lud Sachverständige ein und ließ sogar die Räumlichkeiten einer Kanzlei durchsuchen, weil Informationen fehlten. Noch vor dem Sommer wird der Bundestag den noch in Arbeit befindlichen Abschlussbericht diskutieren.

20 Ermiitlungsverfahren gegen Banken eingeleitet

Ein Fazit steht für den SPD-Obmann Andreas Schwarz bereits fest: „Die Untersuchungsarbeit hat sich schon deshalb gelohnt, weil die Staatsanwaltschaften allein währenddessen 20 Ermittlungsverfahren gegen Banken eingeleitet haben, die Cum-Ex-Geschäfte betrieben haben.“ Besonders erschüttert hat den bayerischen Abgeordneten Schwarz, dass die im Jahr 2009 mit viel Staatsgeld vor der Pleite gerettete Commerzbank auch danach Finanzgeschäfte zulasten der Allgemeinheit tätigte: „Die Commerzbank hat sich quasi zweimal am Steuerzahler vergriffen.“

Von einem gesellschaftlichen Schaden von bis zu zwölf Milliarden Euro geht der Grünen-Abgeordnete Gerhard Schick aus Baden-Württemberg aus, der maßgeblich am Zustandekommen des Untersuchungsausschusses beteiligt war. Der finanzpolitische Sprecher seiner Partei rechnet vor, dass der Staat damit zehn Jahre lang 24 000 Lehrer zusätzlich hätte einstellen können. Finanzminister Schäuble dagegen setzt den entstandenen Verlust mit mehreren Hundert Millionen Euro wesentlich niedriger an. Allgemein akzeptiert ist Schicks Zahl also nicht, sie stammt von einem Whistleblower, von jemandem aus der Branche also, der sein Wissen öffentlich gemacht hat – für Schick einer der Gründe dafür, warum er als Konsequenz aus der Aufklärungsarbeit nun ein Gesetz zum Schutz solcher Informanten fordert.

Bessere Ausstattung der Behörden gefordert

Zu den zentralen Forderungen des Untersuchungsausschusses wird eine bessere Ausstattung der Behörden gehören. „Was wir brauchen, ist mehr Personal beim Bundeszentralamt für Steuern und der Bankenaufsicht Bafin“, sagt SPD-Mann Schwarz. Der grüne Kollege Schick spricht nämlich von „Organisationsversagen“, weil der Steuerbetrug erst zu spät entdeckt und dann bestenfalls halbherzig bekämpft wurde: „Der Staat hätte viel früher gegensteuern können, da schon 2007 alle nötigen Informationen vorlagen.“

Seit 1992 lief die Cum-Ex-Schummelei, ein Urteil des Bundesfinanzhofs deutete die unklare Gesetzeslage 1999 im Sinne der Finanzwirtschaft und habe daher als, wie Ex-Minister Steinbrück vor dem Ausschuss sagte, „Türöffner für solche Geschäfte“ fungiert. Tatsächlich kam es 2007 zu einer gesetzlichen Neuregelung, die sich aber als unwirksam erwies und in den Folgejahren einen regelrechten Boom dieser Art von Gewinnmaximierung auslöste. Es gehört zu den traurigen Erkenntnissen dieses Skandals, dass ein Bankenlobbyist namens Arnold Ramackers im Bundesfinanzministerium an dem untauglichen Gesetz mitschrieb. Der damalige Hausherr Steinbrück gab die Kritik daran zum Teil an den Bundestag zurück: „Niemand hat gesagt: Vorsicht an der Bahnsteigkante, da passiert was.“

Eine EU-Richtlinie beendet Cum-Ex

Erst im Jahr 2012, viele nicht eingenommene Steuermillionen oder Steuermilliarden später, wurde die Cum-Ex-Praxis mit der Umsetzung einer EU-Richtlinie beendet – dass die meisten bekannt gewordenen Ermittlungsverfahren gerade in diese Zeit fallen, ist besonders bitter. Der noch immer amtierende Schäuble entschuldigte die lange Verzögerung in seiner Zeugenbefragung mit der schwierigen Materie: „Das Gesetzgebungsverfahren war außerordentlich komplex.“ Das etwas weniger kriminelle Steuersparmodell namens „Cum-Cum“ lief sogar noch länger und wurde erst im vergangenen Jahr untersagt.

„Wichtige Hinweise wurden ignoriert statt aufgegriffen“, sagt der Grüne Schick. Deutlich besser ausgestattete Aufsichtsbehörden sollten deshalb seiner Ansicht nach verpflichtet werden, den Markt ständig nach neuen gefährlichen Finanzprodukten abzusuchen. „Wir haben mit diesem Ausschuss viele Erkenntnisse zutage gefördert“, resümiert der Mitinitiator: „Aber das Entscheidende ist, dass nun Konsequenzen gezogen werden: Die Behörden sind immer noch zu passiv, anstatt kontinuierlich nachzuschauen, ob die Banken vielleicht schon mit einem neuen Trick arbeiten.“