Berlin - Die Materie ist komplex und undurchsichtig. Aber allzu viel Zeit bleibt nicht, um den Dingen auf den Grund zu gehen: Am Donnerstag tritt erstmals der neue Bundestagsuntersuchungsausschuss zum Skandal um den kollabierten Finanzdienstleister Wirecard zusammen. Der Ausschuss soll der Frage nachgehen, ob Bundesregierung sowie Behörden in Bund und Ländern hätten wissen müssen, dass bei dem einstigen Dax-Konzern aus Aschheim bei München vieles nicht mit rechten Dingen zuging. Im Raum steht der Verdacht, dass Politik und Aufseher viel zu lax mit einem vermeintlichen Vorzeige-Unternehmen umgingen.
Insbesondere für Finanzminister und SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz könnte die Sache heikel werden, denn er ist politisch für die Finanzaufsicht in Deutschland zuständig. Und die bekam bekanntlich kaum etwas von dem mit, was bei Wirecard lief.
Ein kleines Gremium
Nur neun Mitglieder wird der Untersuchungsausschuss haben – drei von der Union, zwei von der SPD und jeweils einen von den Oppositionsfraktionen. Die treibenden Kräfte hinter dem Geschehen sind FDP, Linke und Grüne, auf deren Antrag hin das Parlament in der vergangenen Woche die Einsetzung des Gremiums beschlossen hatte. CDU, CSU und SPD enthielten sich dabei der Stimme. Dem Beschluss waren Sondersitzungen des Finanzausschusses zur Causa Wirecard vorausgegangen, welche nach Ansicht der Opposition aber viele Fragen offenließen.
Auf die Mitglieder des neuen Gremiums kommen sehr arbeitsreiche Monate zu: „Ich rechne damit, dass die Beweisaufnahme bis Ende März gehen wird. Anschließend brauchen wir Zeit, um die Erkenntnisse zu Papier zu bringen. Bis zur Sommerpause soll der Bericht vorliegen“, sagt der Grünen-Abgeordnete Danyal Bayaz. Die Zeit drängt, weil im Herbst 2021 die Legislaturperiode endet.
Bei der Sitzung am Donnerstag wird es erst einmal darum gehen, die Arbeit der kommenden Zeit zu planen. Untersuchungsausschüsse haben besondere Befugnisse, sie können Akten von Behörden anfordern und Zeugen vernehmen. Im Laufe der Zeit dürften viele Mitarbeiter und Führungskräfte von Ministerien, Aufsichtsbehörden sowie anderen Dienststellen in den Zeugenstand gerufen werden. „Ganz sicher“ werde auch Finanzminister Scholz darunter sein, sagt FDP-Obmann Florian Toncar. Er ergänzt: „Bei der Bundeskanzlerin gibt es eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass sie erscheinen muss.“
Umstrittener AfD-Kandidat
Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte sich noch im Herbst 2019 gegenüber der chinesischen Führung für Wirecard eingesetzt – obwohl es bereits umfangreiche Verdachtsmomente gegen das Unternehmen gab. Im vergangenen Juni räumte Wirecard ein, die eigene Bilanz über Jahre hinweg künstlich aufgebläht zu haben. Angebliche Guthaben im Umfang von fast zwei Milliarden Euro waren frei erfunden.
Im Juli meldete der Konzern Insolvenz an. Die Staatsanwaltschaft München ermittelt wegen gewerbsmäßigen Bandenbetrugs. Der Schaden, den Geldgeber und Aktionäre durch den Zusammenbruch des Konzerns erleiden, soll sich auf mehr als drei Milliarden Euro belaufen.
Bei der ersten Sitzung des Untersuchungsausschusses am Donnerstag muss auch ein Vorsitzender für das Gremium gewählt werden. Nach parlamentarischen Gepflogenheiten stünde der Vorsitz der AfD zu, die dafür den Abgeordneten Kay Gottschalk vorgesehen hat. Gegen ihn gibt es aber erhebliche Vorbehalte. „Da erwarte ich eine Abstimmung mit offenem Ausgang“, sagt FDP-Vertreter Toncar. Grünen-Obmann Bayaz sagt: „Der Ausschuss-Vorsitz scheint der einzige Weg für die AfD sein, um überhaupt mit der Aufklärung des Wirecard-Skandals in Verbindung gebracht zu werden.“ Er ergänzte: „Wer den Vorsitz im Ausschuss übernehmen will, sollte dafür politisch, fachlich und charakterlich geeignet sein. Da habe ich beim AfD-Abgeordneten Gottschalk erhebliche Zweifel.“
Fiele der Kandidat durch, bliebe der Posten erst einmal unbesetzt. Weil aber auch ein Stellvertreter zu wählen ist, könnte die Arbeit des Ausschusses trotzdem beginnen. Hier gilt der CSU-Finanzexperte Hans Michelbach als gesetzt.