Im österreichisch-bayerischen Grenzland wächst die Angst vor einer Seehofer‘schen Verschärfung der Kontrollen.

Kufstein - Franz Angerer kann sich in das Thema richtig reinsteigern. Bürgermeister ist er seit 13 Jahren in Schärding; das liegt zwar am österreichischen Ufer des Inns, aber Wien ist weit und Bayern dafür – wie man an einem Schärdinger Haus seit 1809 bis heute sehen kann – im Ernstfall nur einen Kanonenschuss entfernt. Nein, sagt Angerer, wenn Bayern jetzt Flüchtlinge an der Grenze zurückweisen will, „dann geht das nur im Gleichklang mit uns in Österreich“. Dann wird der Klang härter, die Stimme des Ingenieurs und früheren Lehrers lauter: „Ich erwarte mir von Bayern . . .“, sagt Angerer, „Ich kann mir nicht vorstellen . . .“, „Ich hoffe, dass unsere Politiker jetzt nicht umfallen“, „Ich traue Bayern nicht zu, dass sie jetzt einseitig was in Szene setzen und uns im Grenzland sagen: Rutscht uns den Buckel runter.“

 

Schärding am Inn mit seinen 5800 Einwohnern präsentiert sich als farbenfrohe Barockstadt; der Stadtplatz weit und licht, italienisches Piazza-Flair. Man lebt (im Sommer) von den Tagestouristen, 40 000 bis 50 000 pro Woche; man pendelt zur Arbeit ins nahe Passau, auf jeden Fall aus Schärding weg – aber was, wenn die Straßen verstopft sind?

Mit Schrecken erinnert sich der Bürgermeister an die Herbsttag im Jahr 2015

Nahe, im Zweifel allzu nahe, führt an Schärding die Autobahn A 3 vorbei, von Linz nach Regensburg, von blühenden österreichischen in reiche deutsche Wirtschaftsräume. Auf der bayerischen Seite, hinter Pocking, steht einer von derzeit drei fixen Posten der deutschen Grenzkontrolle. Staus jeden Tag für Laster und Autos, bis zu einer halben Stunde Wartezeit. Man kann aber ausweichen: In Pocking runter und dann über die Dörfer. Durchs nahe Neuburg donnern bereits jetzt tausend Lastwagen am Tag, und wenn die Bayern ihre Grenzkontrolle nicht nur verschärfen, sondern – wie geplant – noch näher an die österreichische Grenze schieben, dann ist auch Suben dicht, Schärdings andere Ausfahrt. Dann verlagern die Bayern alle ihre Stau- und Umweglasten nach Österreich. Momentan, räumt Angerer ein, komme man mit dem Schleichverkehr zurecht. Was aber drohe, das sei „ein Horrorszenario.“

Vor allem, wenn Bayern dann auch noch mehr Menschen zurückweist als bisher. 700 sind laut Angerer schon dieses Jahr in Schärding gelandet, zuständigkeitshalber. Denn Schärding ist Bezirkshauptstadt; wer in Passau nicht nach Deutschland darf, den liefert die österreichische Polizei nach Schärding, den prüft sie näher, hält ihn fest oder lässt ihn laufen. Reguläre Flüchtlinge sind kaum mehr darunter, Verbrecher – sagt Angerer – auch nicht so viele. Beim überwiegenden Teil der Migranten scheitere der Grenzübertritt nur an Formalien wie fehlender Arbeitserlaubnis. „Aber sie erwischen auch andere.“

Mit Schrecken erinnert sich der Bürgermeister an die Herbsttage des Jahres 2015, als die eigenen, die österreichischen Behörden „täglich bis zu 50 Busse“ mit Flüchtlingen aus dem steirischen Spielfeld zum Grenzübertritt an die beiden Schärdinger Innbrücken gekarrt hätten, 70 000 in kurzer Zeit. Kaum zu bewältigen, sagt Angerer: „Das steckt noch so im Hinterkopf; das will man kein zweites Mal erleben.“ Kehren mit den bayerischen Zurückweisungen jetzt ähnliche Szenarien, ein ähnlicher „staatlicher Machtverlust“ wieder? „Ich als kleiner Bürgermeister einer kleinen Stadt kann die Situation nicht beeinflussen“, sagt Angerer: „Ich möchte allerdings, dass die Politik diesmal besser vorbereitet ist.“

Nach zweieinhalb Kontrolljahren sprechen sich die Stellen besser ab

Auch Richard Hemetsberger kann sich „vorstellen, dass unsere Bevölkerung sehr sensibel reagiert“, wenn demnächst mit den bayerischen Zurückweisungen wieder gehäuft Leute in seiner Gemeinde auftauchen, die man auch an „seinem“ Abschnitt der Grenze praktisch nicht mehr sieht: Flüchtlinge. Hemetsberger ist Bürgermeister in der Gemeinde Grödig am Untersberg, südlich von Salzburg. Dort stoßen zwei Hauptverkehrswege zusammen: die Tauernautobahn vom Süden auf die Autobahn aus Wien. Die Deutschen kontrollieren exakt auf Grenzhöhe, am Walserberg – und beim fast täglichen Rückstau nennt Hemetsberger als sein „Grundproblem“: das Navi. Digital geleitet und polizeilich unbelehrbar drängten so viele Ausweichfahrer bei ihm durch die 7000-Einwohner-Gemeinde – auch Wohnwagengespanne auf einer Steigung von bis zu 14 Prozent –, dass er jetzt schon im zweiten Jahr eine Durchfahrtssperre erwirkt hat, ab einer gewissen Staulänge wenigstens.

Die Stimmung sei „schon sehr aufgeheizt“ gewesen, sagt der Bürgermeister;: Warum sollte man als Dorf die Nachteile der bayerischen Kontrollen tragen? Und warum werde die Autobahn überwacht, und blieben die vielen kleinen Grenzübergänge offen? „Das müsste doch der dümmste Schlepper überreißen!“, sagt Hemetsberger: „Unsere Leut’ kennen sich da nimmer aus.“

Immerhin sprechen sich nach zweieinhalb Kontrolljahren die bayerischen Stellen besser mit den österreichischen ab. „Die machen auch mal eine Kontrollspur mehr auf, wenn der Verkehr allzu stark wird“, räumt – wie Hemetsberger – auch ein anderer Grenzbürgermeister ein: Joachim Maislinger aus Wals-Siezenheim. Über seine Bundesstraße, über die „Bauerndörfer“ Viehhausen und Gois, schiebt sich der Verkehr – aber nicht, weil sich dort ein Fabrikverkauf für Mozartkugeln versteckt, sondern weil man hofft, in der Landstraßenkolonne den Autobahnstau zu überholen. „Ich bin totaler Befürworter für die Aufhebung der Kontrollen“, sagt Maislinger; die ganze bayerisch-salzburgische Grenzregion sei dermaßen gut zusammengewachsen. Auch mit seiner Gemeinde, die „im Herzen Europas“ in alle Verkehrsrichtungen offen sei – mit Flughafen sogar.

Die Flüchtlinge seien das kleinste Problem, sagt der Kufsteiner Bürgermeister

„Wir haben grenzenlos genossen“, formuliert es auch Josef Flatscher, Bürgermeister im bayerischen Freilassing – mit 160 000 Flüchtlingen einem der am meisten strapazierten Orte von 2015. Flatscher hat aber „zwei Herzen in der Brust“, wie er sagt: Die Erinnerung an alte Grenzzeiten, „als wir geschmuggelt haben, die Österreicher bei uns, wir bei denen, was eben billiger war“. Die große Öffnung dann später und die unvergesslichen Busladungen, mit denen Österreicher selbst aus dem fernen Burgenland nach Freilassing gekommen seien, um dort einzukaufen. Und heute? „Klar, wir müssen kontrollieren, wir müssen wissen, wer ins Land kommt.“ Man müsse dafür „eben in Kauf nehmen, dass manche Dinge nicht mehr so vorhanden sind.“ Vielleicht, sagt Josef Flatscher, „merkt man dann erst, wie gut manches ist.“

Letzte Station dieser Grenztour: Kufstein. Eingerahmt von Staus: im Norden von Bayern her, wenn die Tiroler mal wieder Blockabfertigung machen und nur 250 bis 300 Lastwagen pro Stunde auf ihre Inntalautobahn lassen, und vom Süden, wenn die deutschen Ski- und Wochenendurlauber aus Kitzbühel durchs enge Stadtgebiet drängeln, um die Autobahnmaut, die Grenzkontrollen und die Wartezeiten zu vermeiden.

Ein ähnliches Problem hatte Kufstein schon einmal: vom Juli 1990 an, als die Innbrücke der Autobahn über Nacht absackte. Zwei lange Jahre dauerte die Reparatur. „Damals hat die Bevölkerung nicht so gestöhnt wie heute“, sagt Bürgermeister Martin Krumschnabel: „Wenn eine Brücke einstürzt, gibt’s halt keinen Ausweg. Aber heute ist sehr viel menschengemacht. Und das stört uns. Man könnte alles besser lösen, aber man will nicht; die Bevölkerung ist das anscheinend nicht wert.“ Mit Blick auf das deutsch-österreichische Verhältnis fährt der Bürgermeister fort: „Wir muten uns gegenseitig die Staus zu. So ist die Stimmung in Europa. Keine Zusammenarbeit, jeder schaut auf sich.“

Und die, um die es geht, die hereinstürmenden Flüchtlinge?„Haben wir nicht“, sagt Krumschnabel: „Gar nicht, überhaupt nicht.“ Die seien das kleinste Problem: „Das ist momentan sehr aufgeschaukelt. An den Flüchtlingen kann die ganze Problematik nicht liegen.“