Was tun, wenn man in der Straßenbahn entdeckt, dass man sich eine Zecke eingefangen hat und das Problem eigentlich diskret lösen will? Unsere Autorin hat genau zugehört.
In Straßenbahnen sollte man sich genau überlegen, was man spricht. Wobei manche Reisende Wert darauf legen, Zuhörer zu haben. Hebt ja auch die eigenen Wichtigkeit. Und dann geht man eben schnell mit dem Head of Human Ressources am Telefon noch mal eine anstehende Personalentscheidung durch, oder man erzählt der Freundin, welch abgrundtiefe Bitch die Tuss ist, die den Freund gerade permanent im Klub anmacht. Ey, Alte!
Das sind die einen. Die anderen würden die Situation, in die sie geraten sind, gerne aussitzen, als ob sie gar nicht beteiligt wären. Und am liebsten einfach weiter schweigen. Wie zum Beispiel das Ehepaar, das in zünftiger Outdoorkleidung gerade eingestiegen ist und sich auf zwei Bänken gegenüber sitzt. Eine Beobachtung aus dem Spätsommer, die in Erinnerung geblieben ist. Kariertes kurzärmliges Hemd beziehungsweise Bluse, festes Schuhwerk, ein bisschen fortgeschrittenes Alter. Vor allem aber: Die beiden haben einen Tagesausflug hinter sich. Offenbar sind sie auf dem Heimweg. Schweigend sitzen sie sich gegenüber. Alles gesagt, ein eingespieltes Duo, dem an Diskretion liegt. Eigentlich. Da gibt es nichts Intimes zu belauschen – bis er eine Entdeckung in seiner Armbeuge macht.
Er: „Oh, ich glaub’, da isch was.“
Schweigen von Gegenüber. Alles schon mal gehört. Nur nicht aufregen.
Er: „Ich glaub’, des isch a Zecke“.
Beim Gegenüber tut sich was.
Sie: „Lass!“
Er fingert weiter in seiner Armenbeuge rum.
Sie: „Lass!“
Er: „Des isch wirklich eine Zecke.“
Die Gattin wird jetzt etwas lauter.
Sie: „Lass! Das machen wir zu Hause raus.“
Er grubelt weiter. Hartnäckig.
Sein Gegenüber macht den Versuch, ihn abzulenken.
Sie: „Wo hasch die wohl her?“
Er überlegt.
Er: „Ha, von der Wiese.“
Zeckenentfernung mit Kamm?
Dann grubelt er weiter, versucht das Tier zwischen Daumen und Zeigefinger zu fassen zu bekommen. Offenbar erfolglos.
Er: „Vielleicht mit einem Kamm?“
Sie sucht in ihrer Tasche nach einem Kamm. Findet schließlich einen Stilkamm und gibt gibt ihn wortlos ihrem Mann.
Sie: „Aber nicht, dass du nur den Kopf erwischst.“
Er nimmt den Kamm, fängt an mit dem Stil auf die Zecke zu zielen. Ergebnislos. Er versucht, das Insekt zwischen zwei Zinken zu bekommen. Immer noch vergeblich. Sie versucht weiter, dass er das Experiment abbricht. Ohne Erfolg.
Sie: „Lass!“
Er dreht weiter an der Zecke.
Er: „Jetzt hab ich sie. Oh. Aber nur den Kopf.“
Sie: „Hab’ ich’s nicht gesagt. Jetzt lass aber. Da machen wir jetzt zu Hause was Desinfizierendes drauf.“
Er: „Mmmmmh“.
Der Versuch, das Tier loszuwerden
Sie holt ein Papiertaschentuch aus ihrer Tasche und gibt es ihm.
Sie: „Muss du jetzt aber schon zertreten.“
Sie zeigt auf das voll blutgesogene Etwas zwischen seinen Fingern.
Er versucht’s damit. Es gelingt ihm nicht. Er hält das Taschentuch mit Abstand von seinem Körper.
Beim nächsten Stadtbahnstopp am Pragsattel steigen sie aus. Sie ruft ihm etwas zu. Ihre Gesichtsausdruck sagt, dass das eher unfreundlich war. Ihre Worte gehen im Lärm der anfahrenden Bahn unter.
Reihe
Lauschangriff
In loser Folge erzählen wir in unserer Serie von Gesprächen aus dem Alltag, die nicht zu überhören sind.