Cem Özdemir war auf Sommerreise. Der Landwirtschaftsminister wollte über etwas anderes als die Bauern sprechen. Doch auch in diesen Tagen holen sie ihn ein.
Am Busbahnhof steht ein kleines Rudel Traktoren. Etwa 20 Fahrzeuge, mitten im Zentrum von Lüchow, einer Kleinstadt im niedersächsischen Wendland. Hier will Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir über öffentlichen Nahverkehr auf dem Land sprechen. Der Grünen-Politiker ist angemeldet, um sich ein Rufbus-Projekt anzuschauen. Doch vor Ort warten nicht nur die, mit denen er verabredet ist. Sondern auch Bauern, die den Minister zur Rede stellen wollen.
Wenn ein Landwirtschaftsminister über Rufbusse sprechen will, kann man sich kurz wundern. Doch der ländliche Raum gehört zu Özdemirs Zuständigkeiten. Auf seiner Sommerreise in der vergangenen Woche schaute er sich deshalb viele Dörfer, Projekte und Betriebe auf dem Land an. Die Bauern kamen nur am Rande vor. Die Landwirtschaft, so sieht man es im Ministerium, stehe ja sonst im Fokus von Özdemirs Arbeit. Während seiner Landpartie saß der Minister zwar auf einer Streuobstwiese und besuchte ein Hofprojekt für Menschen mit Behinderung. Aber ein regulärer landwirtschaftlicher Vollbetrieb stand nicht auf seinem Reiseplan.
„Dabei sind wir der größte Arbeitgeber im ländlichen Raum“, schnaubt einer der Landwirte in Lüchow. Es sind vor allem Männer, die in der Morgensonne auf den Minister warten. Freundlich sehen sie nicht aus. Aber sie sind friedlich. Und sie halten Abstand zu den Stehtischen und Festzelten, die die Beteiligten des Rufbus-Projekts für Özdemirs Empfang aufgebaut haben.
Özdemir hat seine Reise unter ein Motto gestellt: „Kraft des Landes“. Es solle mal nicht um Probleme auf dem Land, sondern um Lösungen gehen – und um die, die sie umsetzen. „Wir reden vor allem über diejenigen, die sich beschweren“, sagte Özdemir auf der Reise. Er wolle mehr über die Anständigen reden. Die Leisen, die machen statt meckern. Doch in Lüchow holen ihn die Bauern trotzdem ein.
Ein umstrittener Sparbeschluss
Die Proteste der Bauern begleiten Özdemir seit Jahresanfang. Kurz zuvor beschlossen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP), die Subventionen für Agrardiesel und die Befreiung der Kfz-Steuer für Landwirte zu streichen. Özdemir soll angeblich nicht mal vorab informiert gewesen sein. Er zeigte sich danach fast so sauer wie die Bauern. Er aber ließ sich wieder beruhigen. Viele Landwirte nicht.
Die Bauern sind nicht erst seit den Sparbeschlüssen auf der Straße. Seit 2019 protestieren viele von ihnen regelmäßig, damals war die Ministerin noch von der CDU und hieß Julia Klöckner. Der Frust trifft nun aber Özdemir. Mit den Sparbeschlüssen kippte bei vielen Bauern die Stimmung – obwohl die Streichung inzwischen in weiten Teilen zurückgenommen wurde. Bis heute gibt es vereinzelte Proteste. Die Wut ist geblieben.
„Wie einen Schlag ins Gesicht“
Wer zur Versammlung in Lüchow aufgerufen hat, wollen die Bauern nicht verraten. Trotzdem nimmt sich Özdemir zwanzig Minuten, um mit ihnen zu sprechen. Ein Mann im Kapuzenpullover tritt hervor, der Wortführer. „Sie besuchen nicht einen Betrieb auf dieser Reise“, sagt er. „Das habe ich persönlich wie einen Schlag ins Gesicht empfunden.“
In dem Gespräch geht es um alles: um den Getreidepreis, um das Düngemittelgesetz, um die Auflagen zum Stallbau. Özdemir erklärt, was er getan habe. Wie das Baurecht angepasst wurde, was die neue Kennzeichnung zur Tierhaltung bringen soll, was überhaupt in seiner Hand liege. Der Bauer verschränkt die Arme. Auf viele seiner Fragen bekommt er Antworten. Aber er bleibt skeptisch. Am Ende des Gesprächs geben sich der Minister und der Landwirt die Hand.
Frustrierend für Özdemir
Özdemir hat den Ruf, selbst Gegner seiner Partei für sich gewinnen zu können – oder gerade die. Bei den Grünen weiß man, dass Özdemir sich auch mal über alles hinwegsetzt, was ihnen wichtig ist. In seiner eigenen Partei ist er deshalb umstritten. Sein Pfund, das waren immer „die Leute“. Gerade deshalb muss es für Özdemir frustrierend sein, dass manche Bauern in ihm einen Ideologen sehen. Dabei hat er einiges für sie rausgekämpft. Auch auf Kosten von Klima- und Umweltschutz.
Nach dem Gespräch in Lüchow stehen die Bauern noch zusammen. Und wie fanden sie Özdemir? Einer der Männer schüttelt den Kopf. „Stimmt ja ohnehin nicht, was der sagt.“ Was genau ihn an Özdemirs Politik stört, kann er nicht benennen. Er traut ihm einfach nicht.