Vor 66 Jahren wanderte Alfred Geiger in die USA aus und machte dort seinen persönlichen American Dream wahr. Seine Geburtsstadt Bietigheim hat ihn aber nie losgelassen. Komme, was wolle: Wenn Pferdemarkt ist, reist er aus Fair Oaks bei Sacramento an.

Ludwigsburg: Susanne Mathes (mat)

Bietigheim-Bissingen - Eines steht für Alfred Geiger schon lange felsenfest. Seinen 100. Geburtstag wird er in Bietigheim feiern. Er will sein Lebensjahrhundert dort vollenden, wo es seinen Anfang nahm. Auch wenn er seit 66 Jahren in den USA lebt, es dort zu Wohlstand gebracht hat und nur noch zu Besuch nach Bietigheim kommt – immer zum Pferdemarkt. Das jedoch so verlässlich, dass vom früheren Oberbürgermeister Manfred List das Bonmot überliefert ist, wenn Geiger es einmal nicht schaffe, müsse der Pferdemarkt eben verlegt werden.

 

Dass es bis seinem Hundertsten nur noch 13 Jahre sind, mag man Alfred Geiger allerdings kaum abnehmen. Auch nicht beim zweiten Hinschauen. 87 Jahre soll der drahtige Mann sein, der beim Gang durch die Altstadt-Gassen das Tempo vorgibt, übermütig kleine Vorsprünge hinaufhüpft oder sich behände auf die Metter-Mauer schwingt? „Mein Sohn ist Chiropraktiker“, erklärt er. „Meine Frau und ich trainieren regelmäßig bei ihm an seinen Geräten.“

Als junger Mann war er ein gefragter Läufer

Alfred Geiger – rosiger Teint, Lachfältchen um die Augen, stets einen schlagfertiger Spruch auf den Lippen und zur Feier des Tages in ein Trikot gekleidet, das Olymp-Seniorchef Eberhard Bezner seinem Jugendfreund mit einem persönlichen Aufdruck verehrte – ist ein Energiebündel. Schon immer. Aufgewachsen mit zwei Schwestern und ohne Vater mitten in der Stadt – in der Schieringerstraße, wo seine Mutter ein kleines Textilwarengeschäft hatte – , zeigte sich früh sein sportliches Talent. Er war gefragter Feldhandballer und kam durch Zufall, weil einem Läufer-Team des TSV ein Mann ausgefallen war, zum Mittel- und Langstreckenlauf. Er war so gut, dass ihm 1952 die Teilnahme an den Olympischen Spielen winkte. Doch Geiger entschied sich für etwas anderes: fürs Auswandern. „Ich bin am letzten Tag gegangen, an dem mein Visum gut war.“ Ein bereits in den USA lebender Onkel bürgte für ihn. „Er hatte uns nach dem Krieg immer Lebensmittelpakete geschickt. Und Zigaretten“, erzählt Geiger. „Die hab’ ich dann auf dem Schwarzmarkt für sechs Mark pro Stück verkauft.“

Tagsüber paukte er Englisch, nachts kruppte er in der Sägemühle

Nach acht Volksschuljahren in der Bietigheimer Hillerschule war er Bau- und Möbelschreiner-Lehrling bei der Firma Knodel geworden. Doch sein Tatendrang verlangte nach einem Tapetenwechsel. „Ich war von jeher abenteuerlustig“, lautet Geigers Selbst-Charakterisierung. „Überall hat man was von der weiten Welt gelesen. Ich wollte es nicht lesen, sondern sehen.“