Wie fühlt sich das an, wenn über Stuttgart das Unwetter hereinbricht? Bewohner im Norden haben einiges erleben müssen. Meteorologen warnen vor der Fortsetzung.

Rems-Murr: Chris Lederer (cl)

Stuttgart - Normalerweise ist der Feuerbach ein Rinnsal. „Ein unscheinbares, friedliches Gewässer“, sagt Ralf Bohlmann über den zu großen Teilen kanalisierten Bach, der 15 Kilometer quer durch den Stuttgarter Norden in den Neckar fließt. Am Donnerstagabend erlebt der Bezirksvorsteher des Stadtbezirks Mühlhausen keinen Bach, sondern einen reißenden Strom. „Ein Schock für die Anwohner“, sagt Bohlmann, „man rechnet ja nicht damit, dass plötzlich das eigene Auto am Fenster vorbeischwimmt.“

 

Land unter in Stuttgart und der Region. Besonders in Mühlhausen, im Nordosten der Stadt. Konstantinos Doukas, der das Café Mythos in der Mönchfeldstraße betreibt, hat die gesamte Nacht zum Freitag in seinem Lokal verbracht. Gegen 20 Uhr war das Wasser plötzlich von der Straße in die Räumlichkeiten gelaufen. „Ich habe sofort die Feuerwehr angerufen, aber es kam erst um 2 Uhr nachts jemand“, sagt Doukas, „die waren komplett überlastet.“ Sein Versuch, die Tür mit Lumpen abzudichten – vergebens. Die Tiefgarage, in der Doukas sein Auto geparkt hat, steht auch am Freitagmittag noch unter Wasser. „Was damit ist, kann ich noch gar nicht sagen. Ich komme an den Wagen überhaupt nicht ran.“

Diakonie-Autos werden fortgespült

Er ist nicht der Einzige. 14 Fahrzeuge werden in der Mönchfeldstraße weggespült oder demoliert. Betroffen ist besonders die Diakonie: Von sechs Einsatzwagen sind fünf nicht mehr zu gebrauchen. Betroffen ist auch eine Filiale der BW-Bank. Die sollte nach längeren Renovierungsarbeiten wieder öffnen. „Wir waren justament fertig, und dann regnet es uns da rein“, sagt Pressesprecher Bernd Wagner. Mit der Wiedereröffnung kann es jetzt noch etwas dauern.

Nicht viel besser sieht es an jenem Donnerstagabend Richtung Westen aus. Bachaufwärts sozusagen, besser: flussaufwärts im Stadtbezirk Zuffenhausen. Punkt 20.18 Uhr reagiert eine Umspannstation in der Colmarer Straße auf die Wassermassen mit einem Kurzschluss. Neun weitere Stationen fallen ebenfalls aus. Nur 14 Minuten später sind zwei Stationen in der Taläckerstraße außer Gefecht. 8400 Menschen in Zuffenhausen, Feuerbach und Zazenhausen sind zeitweise ohne Strom – manche 33 Minuten, manche bis nach Mitternacht. Moritz Oehl von Stuttgart Netze sagt: „Im Schnitt fällt der Strom pro Bürger und Jahr weniger als zehn Minuten aus.“

Frühstück um drei für die Feuerwehr

Bei Dieter Graefe war’s etwa eine Stunde. „Ich habe mich dann halt ins Bett gelegt und gewartet“, sagt der Anwohner der Zazenhäuser Straße. Ein Hotel in der Nachbarschaft traf es dagegen schlimmer. Dort floss der Strom der Regengüsse in den Keller. „Das komplette Untergeschoss stand meterhoch unter Wasser“, berichtet Benjamin Eberbach von der Freiwilligen Feuerwehr Stammheim. Alle 24 Abteilungen der Freiwilligen sind neben der Berufsfeuerwehr im Dauereinsatz. Keine Ruhe auch für die Werkfeuerwehr bei Bosch in Feuerbach. Pause gibt es nur gegen 3 Uhr – als Bosch-Mitarbeiter Verpflegung vom Bäcker herbeischaffen. „Eine Gefahr bestand zu keinem Zeitpunkt, es waren allerdings die Liftschächte vollgelaufen“, sagt Unternehmenssprecherin Christiane Spindler.

Stuttgart ist am Donnerstagabend offenbar ein Schwerpunkt des Unwetters gewesen. Ähnlich heftig geht es allenfalls im Kreis Esslingen zu – mit über 350 Notrufen und 192 Feuerwehreinsätzen. Blitzeinschläge in Häuser werden in Aichschieß und Kirchheim unter Teck gemeldet. Zum zweiten Mal binnen zweier Wochen sind in Filderstadt-Harthausen die Keller vollgelaufen – das Wasser kam vom höher gelegenen Acker. Oberbürgermeister Christoph Traub tröstet nach einem Ortstermin: „Mit den Fachamtsleitern werden wir am Montagmorgen die Situation auswerten.“

Auch am Wochenende Unwettergefahr

Und wie wird das Wetter am Samstag und Sonntag? „Die Wetterlage bleibt unverändert“, sagt Meteorologe Clemens Steiner. Die Luftmasse sei die gleiche, die Unwettergefahr sei am Samstag genauso groß wie am Donnerstag und Freitag. Also Hagel und Sturmböen mit bis zu 70 Kilometer pro Stunde. Nur über wen das Unwetter hereinbrechen wird – das lässt sich für Steiner überhaupt nicht vorhersagen: „Eine Regionalisierung der Wetterprognose ist nicht möglich“, sagt er. Es kann also auch wieder Stuttgart treffen. Dabei ist der Feuerbach gerade wieder ein friedliches Rinnsal.