Die Reaktion von Sendern, Filme und Serien aus dem Programm zu nehmen, weil sie Rassismus bedienten, regt viele auf - auch in Deutschland. Ist es Selbstzensur oder eine respektvolle Maßnahme?

London - Mit Wucht trifft die neue Rassismusdebatte jetzt auch Medieninhalte. Als bekannteste Beispiele zogen in den USA und Großbritannien ein Filmklassiker und TV-Comedy die Aufmerksamkeit auf sich: das Epos „Vom Winde verweht“, das der US-Streaminganbieter HBO max nur noch mit einordnenden Hinweisen zur dargestellten Sklaverei zeigen will, und die britische Comedy-Serie „Little Britain“. Die BBC nahm sie aus ihrer Mediathek, weil die weißen Comedians darin auch Schwarze lächerlich machten (sogenanntes Blackfacing). Der britische Streaming-Anbieter UKTV nahm eine Folge des Comedy-Klassikers „Fawlty Towers“ aus dem Programm, um sie wegen rassistischer Beleidigungen zu prüfen. Auch in Deutschland sprechen die einen angesichts solcher Maßnahmen von einer überfälligen und respektvollen Reaktion, die anderen dagegen von Hexenjagd, Heuchelei, Paranoia oder Kulturkampf.

 

In den Amazon-Verkaufscharts wurde das Südstaatendrama „Vom Winde verweht“ - womöglich als Trotzreaktion - innerhalb eines Tages zum Bestseller. Das zu Warner Media gehörende Unternehmen HBO max will den Film von 1939 nur noch „mit einer Erläuterung seines historischen Kontexts und einer Distanzierung von den rassistischen Darstellungen“ zeigen. „Vom Winde verweht“ erzählt die Geschichte der Gutsherrin Scarlett O’Hara in den US-Südstaaten zu Zeiten des Bürgerkrieges im 19. Jahrhundert. Auch nach der Abschaffung der Sklaverei stehen mehrere afroamerikanische Charaktere loyal zu Scarletts Familie, Probleme durch Sklaverei werden nicht thematisiert.

John Ridley, Drehbuchautor des 2014 mit dem Oscar als bester Film ausgezeichneten Sklavendramas „12 Years a Slave“, hatte von HBO gefordert, das Liebesdrama aus dem Angebot zu nehmen. „Vom Winde verweht“ gewann acht Oscars, darunter der erste überhaupt für eine Schwarze, was viele Twitterer nicht müde wurden zu betonen: Hattie McDaniel wurde 1940 als beste Nebendarstellerin ausgezeichnet.

Die BBC entfernte diese Woche die Comedy „Little Britain“ - produziert in den Jahren 2003 bis 2006 - aus ihrer Mediathek. „Die Zeiten haben sich geändert“, hieß es zur Begründung. Die Parodie der Komiker David Walliams und Matt Lucas wurde auch in Deutschland ausgestrahlt, synchronisiert von Oliver Kalkofe und Oliver Welke. Vor allem einige Sketche gerieten spätestens im Zuge der Proteste gegen den gewaltsamen Tod des Afroamerikaners George Floyd in die Kritik, weil die Darsteller auch schwarze und asiatische Charaktere mimten. Auch die Streamingdienste Netflix und BritBox entfernten die Sketche aus ihrem Angebot im Vereinigten Königreich.

In Deutschland teilte ein WDR-Sprecher mit, „unabhängig von der Entscheidung der BBC war und ist eine erneute Ausstrahlung der Serie nicht geplant“. Die Serie war zuletzt beim ARD-Sender One gelaufen. Sie ist auch nicht in der Mediathek abrufbar.

In Deutschland steckt eine solche Debatte noch in den Kinderschuhen

Komiker Lucas äußerte schon vor Jahren sein Bedauern über bestimmte Aspekte. Er würde heute keine schwarzen Charaktere mehr spielen, betonte er. In Großbritannien ist die Debatte um Inklusion und Diversität im Fernsehen institutionalisierter als in Deutschland. So soll seit einigen Jahren das Programm „Diamond“ (Diversity Analysis Monitoring Data) von BBC, Channel 4, ITV und Sky ein realistischeres Gesellschaftsabbild gewährleisten, also zum Beispiel mehr lesbische oder schwarze Charaktere statt nur weiße Heterofiguren.

In Deutschland steckt eine solche Debatte noch in den Kinderschuhen. Der Schauspieler Pierre Sanoussi-Bliss („Keiner liebt mich“, „Der Alte“) kritisierte erst kürzlich im Podcast des Bloggers Johannes Kram (Queerkram), als schwarzer Schauspieler sehe er kaum Vielfalt in Film und Fernsehen. Ein „Traumschiff“-Kapitän müsse automatisch weiß sein. Damit sich etwas ändere, sollten Fördermittel und Filmpreise an Diversitätsvorgaben geknüpft werden, schlug er vor.

Micky Beisenherz, Moderator und TV-Autor („heute-Show“, „Extra3“, RTL-Dschungelcamp), schrieb in seiner „Stern“-Kolumne „Sorry, ich bin privat hier“, Diskriminierung beginne da, „wo wir uns wie Albert Schweitzer vorkommen, weil wir dem schwarzen Fahrer fünf Sterne in der Taxi-App geben“, weil der ganz normale Freundlichkeitsstandards eingehalten habe, „anstatt erwartungsgemäß wild auf uns einzustechen“. Er ergänzte: „Es ist toll, wenn man von sich sagen kann: Ich bin kein Rassist. Hilfreicher wäre es, sich mit Misstrauen zu betrachten und zu schauen, wo man eben doch den Unterschied macht. Wenn wir ganz ehrlich sind, stecken sehr viele Muster dieser erlernten Überheblichkeit noch tief in uns. Das ist nicht schön.“