Immer mehr Labels aus Stuttgart widmen sich der Wiederverwertung alter Stoffe und zeigen, dass Upcycling mehr als nur ein Trend ist. Wir haben die Designer besucht und uns die Produkte aus alten Stoffen angeschaut.

Stuttgart - Seit einigen Monaten mischt das neue Stuttgarter Modelabel Wiederbelebt die hiesige Szene auf: Mit einem Laden samt Atelier sind die Macher im Leonhardsviertel in der Innenstadt und bieten Mode aus gebrauchten Textilien an. „Uns war von Anfang an klar, dass wir etwas Faires und Nachhaltiges schaffen möchten“, so Sarah Kürten. Die junge Frau hat das Label mit ihrem ehemaligen Kommilitonen Oguzhan Deniz gegründet. Die beiden sind gelernte Modedesigner und Textiltechnologen und kennen sich aus dem Studium an der Hochschule in Albstadt-Sigmaringen.

 

Unter dem Label Wiederbelebt verarbeiten Kürten und Deniz alte und gebrauchte Stoffe neu. Die Textilien für ihre Blusen, Jacken und Hosen stammen aus dem Überschuss, der bei der Produktion neuer Kollektionen anderer Marken erzeugt wird. Normalerweise landet das meiste davon auf dem Müll oder wird verbrannt. Eine Verschwendung, wie Kürten und Deniz finden. Deshalb haben sie sich mit Textilunternehmen aus Baden-Württemberg in Verbindung gesetzt und nach Restware gefragt – mit Erfolg. Die Kleidung besteht nun aus aufgekauften Überschüssen, das gilt nicht nur für die Stoffe, sondern auch für Materialien wie Knöpfe und Reißverschlüsse.

Wer jetzt an Patchwork denkt, liegt falsch. Im Laden nahe der Leonhardskirche reihen sich schlichte, minimalistische Kleidungsstücke aneinander. Die Farben sind gedeckt: Schwarz, Grau, Dunkelgrün, höchstens ein Hellblau ist zu entdecken. „Unsere Mode soll zwar fair, aber auch tragbar sein. Wir designen das, was uns gefällt und was wir selbst tragen“, sagt Kürten. Sie seien selbst überwältigt gewesen, wie viel sie abkaufen dürfen, wie groß die Überschuss-Stofflager waren. Limitiert sind die Kleidungsstücke trotzdem, fünfzigmal gibt es jedes Modell – in unterschiedlichen Stoffen.

Manchmal bekommen die beiden ganze Kleidungsstücke. Wie die Parkas von der Bundeswehr. An einem Kleiderständer hängen außerdem Unikate, Retourware, die von Kürten und Deniz aufgewertet wird. Etwa eine Jeans mit aufgenähten Blumen im osmanisch geprägten Stil, wie Deniz erklärt. Entworfen wird die Mode im an den Laden angeschlossenen Atelier. Produzieren lassen die Designer in Deutschland und in Polen. „Wir haben Produktionsstätten gefunden, die gute Standards haben“, so Deniz. Auch habe man jemand, der diese immer wieder vor Ort kontrolliert.

Originell mit Originalem

Upcycling nennt sich diese Form der Wiederverwertung von alten Materialien. Für den Abfall bestimmte Produkte werden dabei zu neuen Kleidungsstücken. Den Trend gibt es in der Do-it-yourself-Szene schon länger, er wird aber immer ausgeprägter und ausgefallener. Immer mehr junge Designer und Labels wollen nachhaltig produzieren und verwenden dafür altes Material. Im kleineren Stil, aber mit demselben Grundgedanken fertigt Katja Waibl unter ihrem Label Es war einmalKleidungsstücke aus gebrauchten Stoffen an. „Ein Rock war zum Beispiel früher mal eine Tischdecke“, sagt Waibl und präsentiert einen Damenrock aus gemustertem Blümchenstoff. „Bei mir kommen gebrauchte Bettwäsche, Kittelschürzen, Tischdecken, Jeans und Vorhänge zum Einsatz“, sagt sie. Angefangen habe alles mit alten Kindersachen: „Ich hing an manchen Kinderklamotten so sehr, dass ich mir überlegt habe, was ich daraus machen könnte.“ Heraus kamen dabei wieder neue Kindersachen. Das ist neun Jahre her.

Mittlerweile haben Damenkleider und -röcke die Kinderkleider abgelöst. Die Nachfrage sei in diesem Bereich so groß, deshalb habe sie auf Erwachsene umgestellt, sagt die gelernte Modedesignerin. „Es ist viel origineller und individueller als Kleidung von der Stange. Viele Designs und Muster gibt es so heute gar nicht mehr.“ Durch das Umarbeiten blieben sie erhalten und sorgten dafür, dass sich die Person, die das Stück trage, vom Mainstream abhebt. Zu kaufen sind ihre Röcke und Kleider mit Vorleben im Ladenverbund Südstatt im Stuttgarter Süden sowie noch bis Ende Januar im Pop-up-Store Der Laden in der Steinstraße 2 in der Innenstadt.

Seit Kurzem zieht das Schaufenster des Textilhandels Rakete an der Neuen Weinsteige, ebenfalls im Stuttgarter Süden, die Blicke der Passanten an. Ausgestellt werden dort zahlreiche große und kleine Stofftaschen. Keine gleicht der anderen, was das Design und die Stoffe angeht. Dahinter steckt Michelle Keetman mit ihrem Label Mikee, die für ihre selbst gemachten Taschen eine temporäre Verkaufsplattform im Laden Rakete hat. Keetman kombiniert alte und neue Stoffe und fertigt daraus kleine Clutches und große Shopping-Bags an. „Ein Hemd von meinem Mann, getragene Jeans, Omas Tischdecke sowie auffällige Stoffe, die ich auf Reisen entdecke, arbeite ich in Taschen um“, sagt sie über ihre Unikate. Wer nicht selbst Hand anlegen, aber sich nicht von lieb gewonnenen Textilien trennen will, kann sie bei Keetman abgeben, die daraus etwas Neues anfertigt.

Kritischer Blick auf die Wegwerfgesellschaft

Dinge erhalten und nicht alles gleich wegwerfen, dieses Prinzip verfolgt auch Renata Domogalla. Die Textildesignerin arbeitet hauptberuflich für die Industrie und entwirft Fußmatten, Bettwäsche und Bodenbeläge. In ihrem Atelier im Stuttgarter Süden widmet sie sich aber auch der Wiederverarbeitung gebrauchter Stoffe. „Durch meine berufliche Verbindung zu Textilbetrieben komme ich häufig an Restbestände“, sagt Renata Domogalla. Dieses Material und Stoffe von Flohmärkten sowie aus ihrem privaten Kleiderschrank bilden die Basis für ihre Eigenproduktionen. In ihrem kleinen Atelier verkauft Renata Domogalla Kissenbezüge, Kinderlätzchen, Taschen aus getragenen Jeans, Mützen aus alten Fleecejacken oder auch Schlüsselanhänger aus ehemaligen Krawatten.

„Ich wasche und dämpfe natürlich alle Stoffe, bevor ich sie einsetze“, erzählt die Designerin. Sie zeigt auf Kissenbezüge, in die sie alte Stickbilder eingenäht hat. „Diese alten gestickten Motive sieht man immer seltener. Das war einmal viel Handarbeit, so kann man sie erhalten, und sie haben in dem neuen Kissenbezug auch einen praktischen Nutzen.“ Ihr neuester Entwurf ist ein warmes Halstuch aus einem ehemaligen Rock, hochwertigem Kaschmir und Lederapplikationen. Domogalla arbeitet seit rund 15 Jahren Stoffe professionell um. Sie hat einen kritischen Blick auf die Konsumgesellschaft: „Ich würde mir wünschen, dass die Menschen bewusster einkaufen würden und Dinge wiederverwenden.“

Im Sommer hat Renata Domogalla in einem Projekt ihr Wissen und Können an Schüler weitergegeben und mit ihnen aus alten T-Shirts Taschen genäht. Vielen sei überhaupt nicht bewusst, was hinter einem T-Shirt steckt, das nur 2,50 Euro kostet.