Wie und wo lernt man am besten Deutsch? In der neuen Produktion des Theaters Tri-Bühne lädt ein russischer Lehrer fünf Migrantenkollegen zur pädagogischen Performance: „Warum, warum?“ von Géza Révary

Stuttgart - Real sieht es so aus: „Deutschkurse“ ist in großen Lettern an einer Fensterfront am Berliner Platz in Stuttgart zu lesen. Dahinter ein karger, von Neonlicht erhellter Zweckraum mit engen Tisch- und Stuhlreihen vor der Tafel. Kopf an Kopf büffeln hier gut und gerne 40 Migranten Deutsch.

 

Das Theater bietet dagegen ein ganz anderes Szenario: In einer wohnlichen Dachstube treffen sich bei Wladimir, dem russischen Deutschlehrer, fünf Individuen. Sie kommen aus Italien, Spanien, Griechenland, Namibia und aus den Vereinigten Staaten. Mit der deutschen Sprache werden sie vertraut, indem sie miteinander plaudern und musizieren. Die Verständigung klappt schon ganz gut. Zitate aus der deutschen Literatur können Goethe und Schiller, Wilhelm Busch und Rainer Maria Rilke zugeordnet werden. Vom Start weg ist das Theaterstück „Warum, warum?“ des gebürtigen Ungarn Géza Révay mit Reverenz an Mark Twains Deutschkritik ein Gegenentwurf zur Paukerei im Frontalunterricht. Am Freitag wurde das Werk im Theater Tri-Bühne unter der Regie der Intendantin Edith Koerber uraufgeführt.

Der Lehrer korrigiert nicht nur die Grammatik, sondern auch menschliche Schwächen

„Lesen, lesen, lesen“, rät Wladimir seinen Zöglingen und offeriert seine Bücherberge auf dem Fußboden und im Regal als Bibliothek. Auch sonst setzt er auf die Kraft des Mit- und Füreinander und nimmt so eine afrikanische Lebensphilosophie vorweg, die sich im Lauf des Stücks nach und nach herauskristallisieren wird.

Alexej Boris, 1973 in Leningrad geboren und in der deutschen Hochsprache akzentfrei zu Hause, spielt Wladimir als einen manisch engagierten Pädagogen. Dieser ist nicht nur Grammatikfehlern auf der Spur, sondern auch menschlichen Schwächen. So erhält die karrierebewusste Fiorella (lebensecht: Serena Bellini) Nachhilfe in sozialer Marktwirtschaft, als sie sich darüber mokiert, dass ihre Firma die Kursgebühr der namibischen Putzfrau mitfinanziere, einer Schwarzen namens Hilde, das bringt ihr Weltbild ohnehin ins Wanken.

Solche Szenen konfrontieren das Publikum mit eigenen Gewissheiten. Doch spätestens mit Tobias Thieles Musikeinlage, dramaturgisch mit einem Zeitsprung verknüpft, zeigt sich: Diese mit allerlei biografischen Erfahrungen gespickte Versuchsanordnung findet nicht zu einem bühnentauglichen Kernkonflikt.

In der Heimat gebildete Frau, in Deutschland schlecht bezahlte Hilfskraft

Viel Brisantes kommt hier zur Sprache, auch mal in Englisch, auf Italienisch oder Spanisch: der Völkermord an den Herero, der gesamteuropäisch verordnete Sparzwang in Griechenland oder der Fortbestand der Sklaverei in moderner, postkapitalistischer Form zum Beispiel. Doch alle diese Themen münden letztlich in eine Art unterhaltsames Medley. So eine Liedcollage hat die Eigenheit, Inhalte verkürzt anklingen zu lassen. Für eine tiefere Auseinandersetzung taugt sie nicht.

Dass manche Szene dennoch unter die Haut geht, liegt vor allem an Evangelia Karipoglou als innerlich aufgewühlte, äußerlich gefasste Sophia. Ihre Blicke legen die Zumutungen einer gebildeten Frau offen, die in der Fremde bestenfalls als schlecht bezahlte Hilfskraft gilt. Wenn sie ob der Fülle an Modalverben irritiert fragt „wollen oder müssen?“, verdeutlicht das zugleich den Spagat zwischen Integrationswunsch und Anpassungsdruck.

Auch die Lebenslust der aus Simbabwe stammenden Musikerin Babra Tandare-Gundermann als Hilde scheint deren traurige Seite nicht ganz verdecken zu können. Doch weil „Warum, warum?“ weiter in Richtung Gesellschaftsutopie drängt, bleibt nur für vage Ahnungen Zeit und Raum.

Nächste Vorstellungen: 24. und 25. März, 13. und 14. April, jeweils um 20 Uhr im Theater Tri-Bühne. Karten: 2 36 46 10.