Forscher müssen in renommierten Fachzeitschriften veröffentlichen, und die Verlage verdienen gut daran. Das Justizministerium will nun den Autoren das Recht einräumen, ihre Artikel zusätzlich online zu publizieren. Die deutschen Verleger sind entsetzt.

Stuttgart - Volker Hirschel hält einen Packen Papier hoch. Es ist der Vorgang zu einem Artikel in der „Deutschen Medizinischen Wochenschrift“ – alle ausgedruckten E-Mails, die über ein halbes Jahr hinweg zwischen der Redaktion, dem Autorenteam, den Gutachtern und der Herausgeberin ausgetauscht wurden. Sie sollen verdeutlichen, wie viel redaktionelle Arbeit in einem Fachartikel stecken kann – Arbeit, die ihren Preis hat. Hirschel wehrt sich gegen das Bild der Fachverlage, das sich seit den 90er Jahren verfestigt hat: Obwohl weder Autor noch Gutachter bezahlt werden, kassieren die Verlage saftige Abogebühren. Nicht selten kostet eine Fachzeitschrift mehrere tausend Euro im Jahr.

 

An den Wänden des Büros stehen bis unter die Decke die alten Jahrgänge des Fachjournals – „die Ahnen“, sagt Hirschel. Die DMW, wie sie genannt wird, ist die älteste deutsche Zeitschrift für Ärzte. Seit 1887 erscheint sie im Thieme-Verlag: erst in Leipzig, seit 1947 in Stuttgart. Hirschel zeigt die erste Röntgenaufnahme, es ist Anna Bertha Röntgens Hand mit dem Ehering, die 1896 im Druck erschien. Das Layout der Zeitschrift ist über die Jahrzehnte schlicht geblieben. Heute wird zwar in Farbe gedruckt, es gibt mehr Bilder und Infokästen. Aber Fachzeitschriften sind längst nicht so ansprechend gestaltet wie populärwissenschaftliche Magazine.

Die Zeitschrift zu füllen ist kein leichtes Geschäft, denn ihr Impact Factor liegt bei nur 0,525. Diese Zahl ist in der Wissenschaft das Maß für Relevanz: Je häufiger die Artikel eines Fachjournals zitiert werden, umso höher steigt der Wert – und je höher er ist, umso attraktiver ist das Journal für einen Autor. Englische Zeitschriften liegen deutlich darüber: das „British Medical Journal“ hat zum Beispiel einen Impact Factor von 14 und das „New England Journal of Medicine“ einen von 53. Dort ist der Andrang so groß, dass die meisten Manuskripte abgelehnt werden müssen.

Die Debatte ist den Verlegern entglitten

Mediziner würden dennoch in der DMW publizieren, um sich national einen Namen zu machen, sagt Hirschel. Er wird aber nicht mit Angeboten überschwemmt, er überlegt sich auch selber Themen und spricht Autoren an. Der Beispielartikel, den er vorstellt, gehört zu einem Heft, das einem Krebskongress gewidmet war. Das Manuskript wurde an drei Gutachter geschickt, alle hatten Einwände. Die Redaktion bemühte sich, die Autoren nicht zu vergrätzen – schließlich ist der Artikel auf Einladung geschrieben worden. Hirschel zeigt, wie im Hin und Her der E-Mails die Schaubilder differenzierter und das Fazit präziser wurden. Am Ende sei der Redaktion noch aufgefallen, dass in der englischen Übersetzung des Titels ein falscher Fachbegriff stand, berichtet er stolz.

Aus Sicht des Geschäftsführers des Thieme-Verlags, Albrecht Hauff, haben einige Großverlage das Image der ganzen Branche ruiniert. Früher oder später fällt in jeder Diskussion der Name des Verlags Elsevier in Amsterdam, der besonders viel Geld für seine Zeitschriften nimmt und 2011 eine Umsatzrendite von 37 Prozent auswies. Er kann es sich leisten, denn viele seiner Zeitschriften sind bei Wissenschaftlern begehrt. Die deutschen Verlage hätten keine unverschämten Gewinnmargen, versichert Hauff. Die „Deutsche Medizinische Wochenschrift“ kostet im Inland-Jahresabo mit 46 Ausgaben 322 Euro.

Doch die Debatte ist den deutschen Verlegern entglitten. Seit gut einer Woche liegt ein Gesetzentwurf des Bundesjustizministeriums vor, dem gute Chancen eingeräumt werden. Er gibt allen Wissenschaftlern das Recht, ihre Arbeiten nach zwölf Monaten im Internet frei zugänglich zu machen, wenn die Arbeit daran überwiegend mit öffentlichen Mitteln gefördert wurde. Sollte ein Verlag etwas anderes verlangen, ist das nichtig, auch wenn der Verlag im Ausland sitzt. Albrecht Hauff und seine Kollegen, etwa die Verleger Vittorio Klostermann und Jürgen Hogrefe, sind entsetzt, denn die Wissenschaftler könnten ihr Recht auf eine Zweitverwertung nicht an Verlage verkaufen, ihnen also nur für ein Jahr Exklusivität zusichern. Damit werde die Vertragsfreiheit der Wissenschaftler eingeschränkt, kritisieren die Verleger.

Die US-Regierung hat vor wenigen Tagen ein ähnliches Gesetz für ihre großen Forschungsorganisationen angekündigt. Nur in Großbritannien setzt man darauf, dass die Wissenschaftler direkt in Fachjournalen publizieren, die kostenlos online erscheinen. In diesen Fällen müssen die Autoren entweder eine Begutachtungs- oder eine Veröffentlichungsgebühr bezahlen – und die Hochschulen und Förderorganisationen stellen dafür die Mittel bereit. Gegen dieses Modell hätten die Verleger nichts einzuwenden. Sie haben in den vergangenen Jahren viel Geld in die Technik des Online-Publizierens investiert: weltweit fast drei Milliarden Euro, sagt Hauff. Im Thieme-Verlag sind alle 150 Fachzeitschriften online abrufbar; einzelne Artikel werden gegen eine Gebühr kostenlos freigeschaltet (siehe 3. Seite).

Wie sehen die Wissenschaftler ihr neues Recht?

In der Begründung des Gesetzentwurfs heißt es, der Markt werde „von wenigen großen Wissenschaftsverlagen dominiert“, die ihre „Marktmacht“ nutzten, um den Autoren die Bedingungen zu diktieren. Das sieht auch Johannes Fournier von der Deutschen Forschungsgemeinschaft so. Er unterstützt das Gesetzesvorhaben ebenso wie alle anderen großen Forschungsorganisationen, die sich zu einer Allianz zusammengeschlossen haben. „Die Vertragsfreiheit ist ohnehin eingeschränkt. In der Praxis müssen Wissenschaftler in bestimmten Fachzeitschriften veröffentlichen, die dann die Bedingungen diktieren können“, sagt Fournier. Wer in der Wissenschaft Karriere machen will, muss seine Arbeiten in Fachzeitschriften mit hohem Impact Factor veröffentlichen. Und wer gute Forschungsarbeiten lesen möchte, muss hohe Abogebühren bezahlen. Das könne sich manche Instituts- und Universitätsbibliothek nicht leisten, beklagt die Allianz in einer Stellungnahme. „Wissenschaftler haben sogar häufig keinen Zugriff mehr auf ihre eigenen Beiträge.“

Das neue Recht gebe Wissenschaftlern die Möglichkeit, selber zu entscheiden, ob ihnen die Publikation in einem Fachjournal reicht, argumentiert Fournier. Wenn sie wollen, können sie die „Sichtbarkeit“ ihrer Forschung erhöhen, indem sie den Text in eine frei zugängliche Datenbank einstellen. Das würden zwar viele Verlage schon heute unter bestimmten Bedingungen gestatten, doch die unterschiedlichen Regelungen der Verlage müssten vereinheitlicht werden. Auch das Justizministerium beschreibt den gegenwärtigen Zustand als unhaltbar: mit Steuergeld finanzierte Forschungsergebnisse müssten ein zweites Mal bezahlt werden, um sie in Forschung und Lehre nutzen zu können, heißt es in der Begründung des Gesetzentwurfs. Doch dieses Argument will Fournier nicht in den Vordergrund stellen: Ihm gehe es vielmehr darum, die Texte besser nutzen zu können und die wissenschaftliche Diskussion zu erleichtern.

Ob sich etwas am System ändern wird, ist unklar

Wie die Wissenschaftler das neue Recht sehen und ob sie es nutzen würden, ist umstritten. Sie werden sich auch weiterhin in einem harten Wettbewerb bewähren und in hochrangigen Fachjournalen publizieren müssen. „Das Urheberrecht ist das falsche Werkzeug, um an diesem System etwas zu ändern“, sagt Albrecht Hauff vom Thieme-Verlag. Doch Johannes Fournier entgegnet: „Es ist ein wichtiger Schritt, mit diesem Problem umzugehen.“ Derzeit sei die Rechtslage so unübersichtlich, dass sich viele Wissenschaftler nicht trauten, ihre Arbeiten frei zugänglich zu machen.

Die Allianz zitiert eine mit SOAP abgekürzte weltweite Umfrage, derzufolge es in jeder Disziplin mehr als 75 Prozent der Befragten begrüßen würden, wenn mehr Fachartikel frei zugänglich wären. Doch es wurde nicht nach der Zweitverwertung gefragt, so dass die Befragten vermutlich an eine direkte Publikation in einem kostenlosen Online-Journal gedacht haben. Der Deutsche Hochschulverband, in dem zwei Drittel aller Professoren Mitglied sind, lehnt das geplante Recht auf Zweitverwertung hingegen ab. Er verweist auf einen PEER genannten Versuch, europaweit Wissenschaftler dazu zu bewegen, ihre Artikel in eine frei zugängliche Datenbank einzustellen. Nur 0,2 Prozent der Forscher folgten dieser Aufforderung.

Der Gesetzentwurf sieht vor, dass nicht die publizierte Fassung vom Autor ein zweites Mal veröffentlicht werden darf, sondern die vom Verlag angenommene Version des Manuskripts. Es fehlen also die Seitenzahlen der Fachzeitschrift und das Literaturverzeichnis ist nicht mit den zitierten Texten verlinkt, wie es viele Verlage inzwischen anbieten. Wenn ein Wissenschaftler einen Artikel aus einer Zweitverwertungs-Datenbank zitieren möchte, wird er nicht umhin kommen, sich das Original zu beschaffen.

Wenn das neue Recht allerdings selten genutzt würde, entstünde den Verlagen auch kein großer Schaden. Es gibt aber eine Berufsgruppe, die den Wandel bereits vollzogen hat: Unter Bibliothekaren gelte es inzwischen als unschicklich, für ein teures Fachjournal zu schreiben, berichtet der Verleger Vittorio Klostermann. Er verlegt die „Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie“. Sie werde demnächst kostenlos online erscheinen, weil er sonst keine Autoren mehr finden würde.

Open Access – frei verfügbare Forschung für alle

Geschäftsmodell
Inzwischen sind mehrere Online-Magazine gegründet worden, bei denen die Autoren die Publikationskosten tragen. Einige Hochschulen wie die Uni Stuttgart unterstützen ihre Mitarbeiter mit einem Fonds, der von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) zur Verfügung gestellt wird. Darin darf eine Publikation in einem Open-access-Journal maximal 2000 Euro kosten.

Alternative
Viele Fachverlage bieten ihren Autoren an, einen Beitrag in einem ansonsten kostenpflichtigen Magazin auf eigene Kosten freizugeben. Der Stuttgarter Thieme-Verlag veranschlagt dafür typischerweise 2500 Euro – und versichert, im folgenden Jahr die Abogebühren entsprechend zu senken. Die DFG sieht noch kein überzeugendes Abrechnungssystem der Verlage und unterstützt diese Praxis bisher nicht.