Die Bundesregierung will Nutzer im Internet vor mutmaßlich illegalen Streaming-Angeboten warnen. Doch ein Gutachter hat Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Warnsystems.

Stuttgart - Die Streaming-Plattformen Kino.to und Megaupload, auf der aktuelle Spielfilme und Fernsehserien zu sehen waren, sind geschlossen. Der Chefprogrammierer von kino.to ist zu einer Haftstrafe von knapp vier Jahren verurteilt. Doch damit ist die Aufarbeitung der Fälle noch nicht abgeschlossen, denn nun drohen den Premium-Nutzern Abmahnungen und Schadenersatzforderungen. Die Betreiber der Plattformen dürften die Bezahldaten dieser häufigen Kunden gespeichert haben, und diese Daten verwendet nun die Generalstaatsanwaltschaft Dresden zur Vorbereitung von Klagen.

 

Bis jetzt ist es juristisch umstritten, ob das Ansehen von Streams illegaler Filme das Urheberrecht verletzt, weil diese Art der Nutzung auf ein einmaliges Anschauen ausgelegt ist. Im Dezember wies das Amtsgericht Leipzig in seiner Begründung zur Verurteilung eines kino.to-Mitarbeiters aber darauf hin, dass auch beim Ansehen eines gestreamten Films Daten auf den eigenen Rechner heruntergeladen und damit kopiert werden. Dies müsste nun juristisch erst einmal angefochten werden. Der auf Internetrecht spezialisierte Anwalt Christian Solmecke glaubt, dass beim Ansehen keine Kopie eines Werks angefertigt wird und dass eine aus technischen Gründen erfolgende Teilspeicherung das Urheberrecht nicht verletzt.

Als Hilfe für juristisch Unerfahrene gedacht

Schüler, die Streaming-Angebote häufig nutzen, dürften sich in der komplizierten Rechtsmaterie kaum auskennen. Gerade sie könnten daher von einer Regelung profitieren, die sie bei der Nutzung eines solchen Angebotes warnen würde. Sie würden dann nicht mehr unversehens mit kostenpflichtigen Abmahnungen oder Gerichtsverfahren konfrontiert werden können. Das Bundeswirtschaftsministerium bereitet derzeit eine gesetzliche Regelung für ein solches Warnsystem vor. Es sieht noch einen zweiten Schutz vor: Internetprovider sollen demnach Nutzerdaten erst dann an die Rechteinhaber wie die Filmindustrie herausgeben, wenn die Verstöße ein „gewerbliches Ausmaß“ erreichen. Die SPD hat sich kürzlich in einer Anhörung im Bundestag gegen dieses System ausgesprochen.

Das Ministerium greift bei seinem Vorschlag auf eine umstrittene Studie zurück, die Rolf Schwartmann von der Fachhochschule Köln erstellt hat. Sie schlägt ein „vorgerichtliches Mitwirkungsmodell“ vor, das aus zwei Stufen besteht: Der Provider soll einen Internetnutzer warnen, wenn er mutmaßlich illegales Material verwendet hat. Nach wiederholten Warnungen wird der Provider den Rechteinhaber informieren, und dieser wird per Gericht Auskunft über den Anschlussinhaber verlangen und weitere Schritte einleiten.

Der vorgewarnte Nutzer wiederum kann dem Hinweis nachgehen und prüfen, ob von seinem Anschluss aus illegale Tätigkeiten vorgenommen wurden und diese gegebenenfalls unterbinden. Thomas Hoeren von der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster glaubt durchaus, dass dieses Verfahren „aus Sicht des Nutzers vielleicht ja noch positiv sein könnte“. In seinem Gegengutachten im Auftrag des Internetprovider-Verbandes Eco kommt er allerdings zu dem Schluss, dass ein solches Verfahren vermutlich rechtswidrig wäre. Zu viele Rechtsgüter wie etwa das Telekommunikationsgeheimnis seien betroffen.

Ein Gutachter hat Zweifel

Erst kürzlich hat der Europäische Gerichtshof in einem Urteil darauf hingewiesen, dass ein solcher Eingriff ein grundrechtliches Problem sei. Vor allem hält Hoeren ein lückenloses Durchforsten der Datenströme, wie es die Unterhaltungsindustrie fordert, für eine „Massenspionage“. Selbst Stichproben seien problematisch, weil das Bundesverfassungsgericht den grundrechtlichen Schutz für das Internet über die technisch mögliche umfassendere Überwachung gestellt habe.

Problematisch ist aus Hoerens Sicht aber auch das Filtersystem selbst, das die Internetprovider installieren müssten, um mutmaßlich illegale Inhalte zu registrieren. Hoeren bezweifelt, dass es ein effizientes, zuverlässiges Filtersystem geben kann, auch wenn einige europäische Länder dies bereits praktizieren (siehe folgende Seite). Unklar ist zum Beispiel, nach welchen Stichworten das System fahnden sollte? Im Fall des Films „Insomnia“ hatten die Kläger von den Betreibern des Portals Rapidshare zum Beispiel verlangt, alle Dateien mit dem Begriff „Insomnia“ zu löschen. Damit hätte Rapidshare aber auch Shakespeare-Texte und medizinische Literatur zensieren müssen. Letztlich sperrte Rapidshare – gerichtlich abgesegnet – nur konkret benannte Links zum Film „Insomnia“.

„Sperrwünsche können über das Ziel hinausschießen“

Für Hoeren ist der Fall ein Beispiel dafür, dass „die Sperrwünsche zu schnell über das Ziel hinausschießen können“. Die Provider sieht er zwischen zwei Stühlen sitzen: Ein Internetprovider könne wohl kaum alle Angaben der Unterhaltungsindustrie gerichtsfest prüfen und dafür sorgen, dass nur absolut korrekte Warnungen ausgegeben werden. Das müsse er aber tun, um seine Kunden nicht zu verärgern. Er handle sich aber auch Ärger mit der Unterhaltungsbranche ein, wenn er ihrem Verlangen nicht nachkomme. Zudem müssten alle Provider erst einmal die Verträge mit ihren Kunden ändern, um ein solches Filtersystem einsetzen zu dürfen. Über die Allgemeinen Geschäftsbedingungen sei das nicht möglich, meint Hoeren.

Zwar setzen Provider auch heute schon Filter ein – vor allem um Spam-Mails auszusortieren, das gehe jedoch nur, so Hoeren, weil die Kunden dem explizit zugestimmt haben und ihre Zustimmung jederzeit widerrufen können. Bei Spam wissen die Kunden in etwa, was die Provider tun. Doch im Falle der Streaming-Angebote blieben sie im Unklaren darüber, welche Begriffe gerade gefiltert werden.

Wie in anderen Ländern verwarnt wird

Frankreich:
Nach zwei Warnhinweisen innerhalb von zwei Monaten und einem weiteren Verstoß im folgenden Jahr kann gegen den Anschlussinhaber eine Geldbuße von bis zu 1500 Euro verhängt und der Internetanschluss für bis zu einen Monat gesperrt werden. Während der ersten zwölf Monate, in der diese Regelung in Kraft war, sank die Nutzung von Tauschbörsen in Frankreich um 31 Prozent.

Großbritannien:
In Großbritannien kann der Rechteinhaber, also beispielsweise die Filmindustrie, ab einer bestimmten Anzahl von Warnhinweisen Auskunft über die Identität des Anschlussinhabers verlangen. Technische Sperrungen sind geplant, wurden aber in der Praxis noch nicht umgesetzt.

Irland
: In Irland können Rechteinhaber den Provider auffordern, Warnhinweise an Anschlussinhaber zu versenden. Nach einem zweiten Hinweis erfolgt eine Warnung, dass im Wiederholungsfall der Anschluss für eine Woche unterbrochen wird. Bei einer wiederholten Urheberrechtsverletzung kann dieser für ein Jahr gesperrt werden. Der Anschlussinhaber kann jederzeit Beschwerde gegen den Provider erheben.

Finnland
und Belgien: In Finnland und Belgien gibt es Gesetzesentwürfe, die bisher noch nicht umgesetzt wurden.